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Kultusministerkonferenz
Ein historischer Tag für den Bildungsföderalismus?

Nach Beendigung der Sitzung wurde die Kultusministerkonferenz als historisch bezeichnet. Doch die Anpassungen gehen immer noch nicht weit genug.
Unterricht in Schleswig-Holstein - immer noch mit Overhead-Projektor.
Unterricht in Schleswig-Holstein - immer noch mit Overhead-Projektor. © picture alliance/dpa | Gregor Fischer

Fast auf den Tag genau vor 56 Jahren trat das „Hamburger Abkommen“ in Kraft, mit dem die Ministerpräsidenten der westdeutschen Bundesländer 1964 das Schulwesen in Deutschland vereinheitlichten. Damals sandte Sean Connery Liebesgrüße aus Moskau, Drafi Deutscher trällerte „Marmor, Stein und Eisen bricht“, und der Vietnamkrieg ging nach dem „Tonkin-Zwischenfall“ in eine neue Phase. Befürworterinnen und Befürworter einer Schulreform haben lange – und vielleicht nicht ganz zu Unrecht – argumentiert, dass sich die Welt seitdem verändert hat. Obwohl in den letzten Jahren mit mehr oder minder großem Erfolg an verschiedensten Stellschrauben gedreht worden ist, blieb die föderale Struktur mit ihren sechzehn, teils sehr unterschiedlichen, Schulformen weitestgehend unverändert. Zumindest bis zur 371. Plenarsitzung der Kultusministerkonferenz (KMK) am 15.Oktober 2020, mit der eine „Ländervereinbarung über die gemeinsame Grundstruktur des Schulwesens und die gesamtstaatliche Verantwortung der Länder in zentralen bildungspolitischen Fragen“ beschlossen und das Hamburger Abkommen endgültig in Rente geschickt worden ist. Für die Präsidentin der KMK, Stefanie Hubig, war es ein „historischer Tag für die Bildung in Deutschland“, der zu mehr Einheitlichkeit im deutschen Schulsystem führen sollte. Für Liberale sind mangelnde Vergleichbarkeit der Abschlüsse und unterschiedliche Bildungsstandards lange ein Dorn im Auge gewesen. Auch wenn der große Wurf noch nicht gelungen ist, so ist die Vereinbarung zumindest ein wichtiger Schritt auf dem richtigen Weg.

Die neue Ländervereinbarung umfasst ganze 44 Artikel zu Fragen der Qualitätssicherung, Ferienzeiten und Lehrkräfteausbildung ebenso wie zu Inklusion, der Gliederung des Schulsystems und zum „Lernen in der digitalen Welt.“ Besonders interessant ist Artikel 9, der die Bildung einer „ständigen wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz“ vorsieht. Wie die entsprechende Verwaltungsvereinbarung vorsieht, soll dieses Gremium aus sechzehn Expertinnen und Experten die Länder in Fragen der Weitentwicklung des Bildungswesens, der Qualitätssicherung und der Vergleichbarkeit beraten. Dabei soll eine „interdisziplinäre, längerfristige, systemische Perspektive entlang der Bildungsbiographie“ eingenommen werden. Im Gegensatz zum Nationalen Bildungsrat, dessen Umsetzung im vergangenen Jahr gescheitert ist, soll das neue Gremium den Bund nur in den Fragen einbeziehen, die Bund und Länder gemeinsam betreffen. Ob die neue Kommission lediglich ein Papiertiger wird, oder sich doch zu einer wichtigen Gestaltungskraft in der Bildungspolitik entwickelt, wird wohl wesentlich von der Unabhängigkeit der Besetzung sowie dem Reformelan der Länder abhängen.

Wie es um diesen Reformwillen bestellt ist, verrät ein Blick in die Liste der „Politischen Vorhaben“, welche die Ländervereinbarung flankiert. Wie der Bildungsjournalist Jan-Martin Wiarda treffend kommentiert hat, lassen sich die ursprünglich vorhandenen Ambitionen zwar noch anmerken, doch wurden die Vereinbarung in vielen Teilen „abgeschwächt, relativiert, eingehegt“. So wollen sich die Kultusministerinnen und –minister lediglich „die Möglichkeit einer einheitlicheren Namensgebung für die Schularten“ prüfen (S.16), was angesichts des selbst für die beteiligten Minister oft schwer zu durchblickenden Wirrwarrs an Bezeichnungen deutlich zu wenig ist.

Nicht zu unterschätzen sind dagegen die Maßnahmen auf dem Gebiet der Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung, wobei insbesondere die verstärkten Anforderungen an Schulstatistiken hervorzuheben sind. So werden alle Länder zu Einführung von schulstatistischen Individualdaten sowie des sogenannten Kerndatensatzes (KDS) verpflichtet (S. 4). Auch die Rolle des gemeinsamen Aufgabenpools für Abiturprüfungen wird gestärkt. So sollen die Länder „bis zur Abiturprüfung 2023 (in den Fächern Deutsch, Mathematik, Englisch, Französisch) bzw. zur Abiturprüfung 2025 (Biologie, Chemie, Physik) jeweils fachspezifisch verbindliche Regeln zur quantitativen Entnahme aus dem gemeinsamen Aufgabenpool“ aufstellen – die Zielmarke zwischen 50 und 100 Prozent ist dabei durchaus beachtlich (S.20). Sicherlich – auch diese Vorgaben sind von einem bundesweit einheitlichen Abitur noch weit entfernt. Dieses Ziel wäre, zum jetzigen Zeitpunkt, angesichts der Heterogenität der Schulsysteme allerdings auch illusorisch gewesen – zudem gilt, dass die „Vergleichbarkeit“ der Bildungsabschlüsse nicht zu einem Fetisch werden sollte. Mit Blick auf die zentrale Bedeutung der einzelnen Schulen – und der einzelnen Lehrkräfte – ist eine wirkliche Vergleichbarkeit selbst innerhalb eines Bundeslands nicht zu erreichen.

Zum Bildungsbrandherd der letzten Monate sagt die neue Vereinbarung dagegen (zu) wenig. So enthält Artikel 14 zwar einige schöne Sätze zum „Lernen in der digitalen Welt“, doch die Forderung an die Länder, die Zusammenarbeit zu verstärken und „die inhaltliche Ausrichtung einer Bildung in der digitalen Welt sowie die zu erwerbenden Kompetenzen so auf- und miteinander ab[zustimmen], dass regionale Vielfalt und dezentrale Verantwortung mit länderübergreifenden Strategien verbunden werden“, reicht angesichts der Coronanotlage nicht aus. Auf diese Weise wurde eine Gelegenheit verpasst, die Schulen auf sinnvolle Formen des digitalen Unterrichts zu verpflichten, und für technische Ausstattung sowie entsprechende Lehrerfortbildungen die notwendigen Ressourcen bereitzustellen. Auch die Vorschläge zur dringend benötigten Gewinnung von Lehrkräften (Artikel 38) bleiben hinter den Erwartungen zurück. Zwar ist es sicherlich richtig, Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern „zusätzliche Qualifizierungsangebote zu machen, um so ein Ausbildungsniveau sicherzustellen, das dem der Absolventinnen und Absolventen mit einschlägiger Lehramtsausbildung entspricht.“ (S.25), doch wäre angesichts des immer weiter steigenden Bedarfs an geeigneten Lehrkräften ein mutigerer Schritt notwendig gewesen. In den 30 Thesen für beste Bildung bis 2030 fordert die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit nicht nur eine „flexiblere und durchlässigere Lehrkräfteausbildung“, sondern macht auch Vorschläge, wie eine Karriere als „Spitzenlehrkraft“ aussehen kann. Wenn die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft an der vorliegenden Vereinbarung bemängelt, dass „kein Wort zur notwendigen Reform der Lehrkräfteausbildung und deren Ausbau“ gesagt wird, so hat sie damit nicht unbedingt Unrecht.

Zumindest bis zur letzten Woche galt – „Marmor, Stein und Eisen bricht“, nur die mangelhafte Vergleichbarkeit innerhalb des deutschen Bildungsföderalismus nicht. Zwar ist sich die KMK auch mit diesem Abkommen treu geblieben und an entscheidenden Stellen unscharf geblieben. Doch die Fortschritte auf dem Weg zu aussagekräftigeren Statistiken sind nicht zu unterschätzen. Bereits fällt es den Bildungsschlusslichtern der Republik immer schwerer, ihr jeweiliges Versagen vor einer breiteren Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Mehr Licht kann hier durchaus den Weg aus manch einer Sackgasse weisen. Zwar wurde die liberale Forderung nach einem Staatsvertrag auch dieses Mal nicht erfüllt, und auch die Bedeutung der neuen Kommission muss sich erst zeigen. Vielleicht war der 15. Oktober 2020 noch kein „historischer“ Tag, doch er weist dennoch in vielerlei Hinsicht in die richtige Richtung. Jetzt gilt es, beherzt die nächsten Schritte zu einer „besten Bildung bis 2030“ zu gehen. Wie diese aussehen könnten, diskutieren wir bereits morgen in einer Veranstaltung mit Dr. Daniel Dettling und Björn Försterling.