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Bremen-Wahl 2023
Zwischen Wut und Tradition

Brehmen Wahl
© picture alliance/dpa | Hauke-Christian Dittrich

Nach derzeitigem Stand hat die SPD mit deutlichem Zugewinn zur vorherigen Wahl die Bürgerschaftswahl in Bremen gewonnen und damit ihre Führungsposition im Zwei-Städte-Land zurückerobert. Die CDU kann ihr Ergebnis von 2019 annähernd verteidigen und kommt auf Platz zwei. Die Grünen verlieren deutlich und landen unter ihren Erwartungen und nur knapp vor der Linkspartei. Die FDP schafft nach dem Motto „Drei Mal ist Bremer Recht“ den erneuten Wiedereinzug in die Bürgerschaft, aus dem die AfD selbst verschuldet ausscheidet, weil sie es nicht geschafft hat, vorschriftsmäßig ihre Wahllisten aufzustellen und nicht zur Wahl zugelassen wurde. Das auch in Bremen vorhandene Protestpotenzial wanderte offensichtlich zur Partei „Bürger in Wut“.

Wohlgemerkt, das sind alles noch Hochrechnungen; ein vorläufiges Wahlergebnis gibt es am Tag danach noch nicht. Der Grund ist einfach: 2006 beschloss die Bremische Bürgerschaft ein neues Wahlrecht für Bremen, nach dem die Wähler in Bremen seit der Wahl 2011 fünf Personenstimmen haben, die sie an die Kandidaten der Parteien direkt und mit Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens verteilen können. Und da dauert die Auszählung natürlich länger – der Landeswahlleiter rechnet mit einem Ergebnis erst Mitte der Woche.

Aber auch in der aktuellsten Hochrechnung von Infratest dimap zeigen sich belastbare Tendenzen, die eine Betrachtung lohnen:

Stimmungswahl

Es war in großem Umfang eine Bremen-Wahl, und Landesangelegenheiten standen im Vordergrund bei der Stimmabgabe. So orientierten sich die Befragten, nach Darstellung im Politbarometer eine Woche vor der Wahl, in ihrer Wahlentscheidung zu 81 Prozent an der Politik in Bremen und zu 16 Prozent an der Bundespolitik; 3 Prozent legen sich nicht fest.

Eine Wechselstimmung bezüglich SPD und Bürgermeister war nicht erkennbar. So äußerten sich bei der Wahltagsbefragung von Infratest dimap zwar nur 41 Prozent der Befragten sehr zufrieden bzw. zufrieden mit der Arbeit des Senats – ein im Vergleich zu anderen Bundesländern recht geringer Wert. Aber: Die Kritik traf vor allem die Grünen, und etwas weniger die Linke, aber eher nicht die SPD. Und: Dass ein CDU-geführter Senat die Probleme würde besser lösen können, erwarteten dann auch nur 33 Prozent, während 49 Prozent gegenteiliger Auffassung waren.

Mit der Arbeit von Bürgermeister Bovenschulte (SPD) äußerten sich am Wahltag 64 Prozent der Befragten sehr zufrieden bzw. zufrieden, 68 Prozent hielten ihn für einen „guten Bürgermeister“. Er erreichte damit einen deutlich besseren Wert als sein Vorgänger Sieling bei der Wahl 2019 und kam im Ländervergleich auf einen ordentlichen Mittelplatz. In den Umfragen wurde Bovenschulte im Vergleich zu seinem Konkurrenten als sympathischer, kompetenter und glaubwürdiger eingeschätzt.

Auffällig beim durch die Hochrechnung dargestellten, zu erwartenden Wahlausgang ist zum einen die schlechte Stimmung gegenüber den Grünen, zum anderen das große, sich in der Wahl von „Bürger in Wut“ manifestierende Protestpotenzial.

Bei den Grünen ist in der Wahltagsbefragung ein massiver Verlust in der Kompetenzbeimessung in der Klima- und Umweltpolitik zu erkennen, wo sie zwar mit 37 Prozent der Nennungen immer noch deutlich vor den anderen Parteien liegen, aber gegenüber der vorherigen Wahl 2019 massiv (-24 Prozentpunkte) verlieren. Ihre Arbeit im Senat wird deutlich negativ bewertet; die Zufriedenheit mit der Arbeit ihrer Spitzenkandidatin (und bisherigen Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau) hat gegenüber 2019 massiv abgenommen und liegt deutlich unter den Werten der Kandidatinnen und Kandidaten von SPD, Linken und CDU. 81 Prozent der Befragten sagen, dass die Pläne der Grünen für neue Heizungen die meisten Bürger überforderten; 64 Prozent kritisieren, dass „die Grünen so tun, als seien sie moralisch besser als die anderen Parteien“. Deutlich weniger Befragte als bei der Wahl zuvor sagen, dass die Grünen für Werte stünden, die ihnen selbst persönlich wichtig sind (44 Prozent / -15 zu 2019); nur noch 30 Prozent sagen, die Grünen seien „die einzige Partei, die sich konsequent für Umwelt- und Klimaschutz einsetzt“ (-15). Die Probleme in Bremen für die Grünen sind also durchaus strukturell – ob das nun Bremen-spezifisch ist oder ob darin mehr steckt, werden die nächsten Wahlgänge in Hessen und Bayern zeigen.

Die „Bürger in Wut“ haben bei dieser Wahl in großem Umfang das bereitstehende Protestpotenzial aufgesogen und dabei erkennbar vom Ausschluss der AfD profitiert, indem sie vor allem bei ehemaligen AfD-Wählern hinzugewannen. Aber auch bei denen, die bislang CDU gewählt haben, und bei den vormaligen Nichtwählern konnten sie deutliche Zugewinne verbuchen. In Bremerhaven zeigt die Hochrechnung einen Stimmenanteil von 22,4 Prozent; hier wurde die CDU gar vom zweiten Platz verdrängt. Von übergroßen Kompetenzbeimessungen ist das nicht gedeckt, denn hier kommt BiW nur bei den Themen Sicherheit und Ordnung (7) bzw. „gute Flüchtlings-und Zuwanderungspolitik“ (5) auf Werte über zwei oder drei Prozent.

Wer hat was gewählt?

Der Wahlsieg der SPD, die sowohl in Bremen-Stadt wie auch in Bremerhaven stärkste Kraft wurde, beruht laut Wähleranalyse von Infratest dimap vor allem auf einem starken Zugewinn ehemaliger Grünen- Wählerinnen und -Wähler. Allerdings gingen auch viele (-4.000) ehemalige eigene Wählerinnen und Wähler ans Nichtwählerlager verloren. Die Zugewinne zogen sich nahezu gleichförmig durch die unterschiedlichen sozio-demographischen Gruppen; der Trend, dass die SPD mit steigendem Alter häufiger gewählt wird, bleibt bestehen. Ein wesentlicher Faktor der Wahlentscheidung war für viele Wählerinnen und Wähler der SPD die Person Bovenschulte: Während bei den übrigen im Senat vertretenen Parteien das Programm maßgeblich für die Stimmabgabe war, war es bei der SPD-Wählerschaft mehrheitlich der Kandidat.

Die CDU hat ihr Wahlergebnis von 2019 gehalten und konnte sich dabei – wie auch die SPD - vor allem auf die Altersgruppen ab 45 Jahren stützen. Auffällig sind starke Zugewinne bei den Selbständigen, aber auch deutliche Rückgänge bei den Rentnern. Auffällig ist der relativ geringe Wert derer, die die CDU aus Überzeugung gewählt haben (52 Prozent), und damit einhergehend der relativ hohe Anteil derer, die angeben, aus Enttäuschung über andere Parteien für die CDU gestimmt zu haben.

Die Grünen verloren vor allem bei den jüngsten Wählerinnen und Wählern; überdurchschnittliche Rückgänge gab es auch bei den Selbstständigen. Im Parteienwettbewerb gingen vor allem an die SPD, aber auch an die übrigen Parteien und die Nichtwähler Stimmen verloren. Zudem überzeugten die Grünen nicht wie gewohnt als Programmpartei – hier gab es einen deutlichen Rückgang derer, die angaben, die Grünen wegen deren Inhalten gewählt zu haben (63 Prozent, -14 zu 2019). Zudem war der Kandidatenfaktor bei den Grünen im Vergleich zu den übrigen Parteien am wenigsten wichtig für die Wahlentscheidung.

Die Linke wurde vor allem unter den jüngeren Altersgruppen (bis 34) und bei den Personen mit formal höherer Bildung gewählt. Zugewinne gab es auch unter den ehemaligen Wählerinnen und Wählern der Grünen, Abwanderung dagegen zur SPD und zu den Nichtwählern. Zudem wurde die Linke deutlich seltener aufgrund ihrer programmatischen Aussagen gewählt (59 Prozent / -20 zu 2019), dennoch aber zu einem hohen Prozentsatz aus Überzeugung (71 Prozent).

Die FDP fand ihre Wählerschaft vor allem bei den Jüngsten, speziell bei den jungen Männern, wo sie deutlich überdurchschnittlich abschnitt. Überproportional hohe Verluste gab es (nur) bei den Selbstständigen. Von Grünen und AfD konnten leicht Wählerinnen und Wähler hinzugewonnen werden, an SPD, BiW und vor allem ins Nichtwählerlager gingen Stimmen verloren. Auffällig ist der hohe Prozentsatz (43 Prozent / +6 zu 2019) derer, die angeben, aus Enttäuschung FDP gewählt zu haben – hier gab es deutliche Verschiebungen gegenüber der vorherigen Wahl. Weiterhin hoch ist der Prozentsatz derer, die angeben, aufgrund der programmatischen Aussagen FDP gewählt zu haben (69 Prozent / +2 zu 2019).

Die bislang eher unbedeutende Partei „Bürger in Wut“ (BiW) band erkennbar in hohem Maße das Protestpotenzial und gewann vor allem bei den ehemaligen AfD-Wählern, aber auch von der CDU und aus dem Nichtwählerlager hinzu. Vor allem die Altersgruppen zwischen 35 und 60 Jahren stimmten für BiW, darüber hinaus vor allem Personen mit formal niedrigerer Bildung, Arbeiter und Personen, die die wirtschaftliche Lage als weniger gut bzw. schlecht beurteilen. 74 Prozent der Befragten gaben an, die Partei wegen ihres Programms gewählt zu haben – aber nur 27 Prozent wählten „aus Überzeugung“ BiW, während 68 Prozent Enttäuschung über die anderen Parteien als Wahlgrund angaben. So recht will das nicht zusammenpassen.

Die Wahlbeteiligung sank deutlich auf 57,5 Prozent. Einer der Gründe war sicherlich, dass mehr als ein Viertel der ehemaligen AfD-Wähler in die Wahlenthaltung ging. Aber auch die anderen Parteien – mit Ausnahme von BiW – verloren zum Teil reichlich an das Nichtwählerlager.

Erkenntnisse und Effekte

Was man – obwohl es noch nicht das „Ergebnis“ ist – feststellen kann: Die SPD kann Wahlen gewinnen – auch wenn das für sie in der langjährigen SPD-Hochburg Bremen wohl leichter ist als anderswo. Die CDU ist noch lange nicht, und vor allem nicht überall, natürlicher Profiteur der Kritik an der „Ampel“ im Bund. Die Grünen haben massiven Druck, der neben ihrer Politik im Land (und den handelnden Personen) erkennbar auch ihr Image betrifft. Die FDP kann auch in Städten Erfolg haben, profitiert aber nicht von der Schwäche der Grünen – und ist anderseits bei dieser Wahl auch nicht der Ansprechpartner für heimatlose Protestwähler. Und: Das Protestgeschrei sucht sich ein Megafon – diesmal eben nicht die AfD, sondern BiW, aber das wird beim nächsten Mal wohl wieder anders, oder vielleicht auch ganz anders sein.

Was bleibt, ist das flaue Gefühl über den politischen Erfolg des Begriffs „Wut“ bei dieser Wahl. Anhänger von Demokratie, offener Gesellschaft und vernunftorientiertem politischem Diskurs lässt das schaudern.