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Transatlantische Beziehungen: Wo stehen die Kandidaten Biden und Sanders?

Zwischen Multilateralismus und nationalen Interessen: Unser Transatlantik-Experte Sascha Tamm analysiert die Perspektive beider Kandidaten
Bernie Sanders und Joe Biden
Demokratische Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders und Joe Biden © picture alliance / AP Photo

Joe Biden und Bernie Sanders haben unterschiedliche Herangehensweisen an wichtige Fragen der internationalen Politik. Welche Konsequenzen könnte das für Europa und die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft haben?

Im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten gibt es nur noch zwei ernstzunehmende Kandidaten – Joe Biden und Bernie Sanders. Nach den gestrigen Vorwahlen in mehreren Bundesstaaten hat Biden seine Führung bei der Zahl der Delegierten zur Convention der Demokraten deutlich ausgebaut. Einer von beiden wird den amtierenden Präsidenten bei den Wahlen am 3. November herausfordern. Der Wahlsieger wird großen Einfluss auf die Weiterentwicklung der transatlantischen Beziehungen haben. Diese sind eine tragende Säule für Sicherheit und Wohlstand in Deutschland und Europa. Es lohnt also, sich die Positionen der demokratischen Kandidaten unter diesem Gesichtspunkt anzuschauen.

Zwei Themenfelder sind nicht erst seit dem Amtsantritt von Donald Trump besonders von Interessengegensätzen geprägt: die Verteidigungs- und die Handelspolitik. Unter Präsident Trump haben sich die bereits vorhandenen Konflikte verschärft. Auf dem Gebiet der Verteidigung wird das bei den Debatten über die Zukunft der NATO und das Engagement der einzelnen Mitgliedsstaaten deutlich. Handelspolitisch geht es um das Spannungsfeld zwischen einer globalen Freihandelsordnung und nationalen Interessen, insbesondere um die verstärkte Tendenz seitens der USA, Handelssanktionen als politische Waffe einzusetzen.

Die Positionen beider demokratischen Kandidaten unterscheiden sich hier deutlich und verhalten sich folglich in verschiedener Weise zur Politik des amtierenden Präsidenten. Zugleich gibt es Gemeinsamkeiten, die nicht übersehen werden dürfen.

Die Zukunft der NATO

Der frühere Vizepräsident und langjährige Senator Joe Biden ist ein überzeugter Befürworter des amerikanischen Engagements in der NATO. Das hat er bereits zu Beginn seiner Wahlkampagne betont und zu einem wesentlichen Punkt seiner politischen Attacken auf Donald Trump gemacht. Er fürchtet, dass vier weitere Jahre der Präsidentschaft von Donald Trump zu einem Zerfall der NATO führen würden, und sieht sich im Gegensatz dazu als einen Garanten für die Stabilität und Zukunftsfähigkeit der NATO, die er als essentiell für die Sicherheit der USA ansieht. Im Laufe seiner Karriere hat er stets den Erweiterungsprozess der NATO unterstützt. Als Vizepräsident betonte er z.B., dass die Vereinigten Staaten langfristig die Tür für einen Beitritt der Ukraine und Georgiens zur transatlantischen Allianz offenhalten wollen und ein russisches Veto dagegen nicht akzeptieren würden. Er ist der Überzeugung, dass die Sicherheit der Vereinigten Staaten am besten in einem Netz aus globalen Partnerschaften garantiert werden kann, deren mit Abstand wichtigste die NATO ist. Sein Wahlkampf setzt darauf, dass er weltweit angesehen ist und gemeinsam mit den Entscheidungsträgern anderer Länder Konflikte lösen und damit Stabilität schaffen kann.

Die Perspektive von Bernie Sanders ist eine andere. Sein Angebot an die Wähler ist weit weniger global ausgerichtet, internationale Fragen nehmen mit Ausnahme des Klimaschutzes einen geringeren Stellenwert ein. Die Interessen des Landes und insbesondere der eigenen Wählergruppen werden sehr stark gewichtet. Was das betrifft, ist Sanders Ansatz nicht so weit entfernt von Trumps „America first“. Folgerichtig teilt Sanders auch die große Skepsis von Trump gegenüber dem weltweiten militärischen Engagement der USA, die bei vielen Wählern gerade in den sogenannten Swing States populär ist. Er kritisiert Biden immer wieder für seine Zustimmung zu militärischen Interventionen in der Vergangenheit. Er selbst unterstützte nur punktuell Interventionen, etwa im Kosovo. Sanders wandte sich auch immer wieder gegen die Erweiterung der NATO Richtung Osten, wenn er auch die Weiterexistenz und die Mitgliedschaft der USA in der Allianz nie infrage stellt. Aus seiner Sicht sollten die Militärausgaben insgesamt sinken. Das ist in der Logik seines Wahlprogramms schon allein deshalb notwendig, um die großen Ausgaben, die eine auch nur teilweise Erfüllung seiner Wahlversprechen mit sich bringen würde, wenigstens ansatzweise zu refinanzieren.

Die Europäer würden also in Biden einem Präsidenten gegenüberstehen, für den die Weiterentwicklung der transatlantischen Sicherheitspartnerschaft eine hohe Priorität hat und der auf seine Partner zugeht. In dieser Beziehung unterscheidet er sich vom amtierenden Präsidenten. Auf der Agenda von Sanders stehen diese Fragen dagegen weiter unten. Zugleich tritt er für einen – wenigstens teilweisen – Rückzug der USA von der sicherheitspolitischen Weltbühne ein. Das würde ihn zu einem schwierigeren Verhandlungspartner machen.

Bei dieser Differenzierung sollte man jedoch nicht vergessen, dass sich beide demokratischen Kandidaten mit Präsident Trump in der Frage der Finanzierungsanteile der anderen NATO-Partner einig sind. Hier muss sich niemand in Europa Illusionen hingeben – alle relevanten Kräfte in der amerikanischen Politik teilen die Forderung nach einer deutlichen Aufstockung der Militärausgaben der Europäer, die Biden schon als Vizepräsident gemeinsam mit Präsiden Obama vertrat.

Freier Handel und nationale Interessen

Die Handelspolitik nimmt bisher im Wahlkampf von Bernie Sanders eine deutlich größere Rolle ein als in der Kampagne von Joe Biden. Biden hat in der Vergangenheit internationale Handelsabkommen, wie z.B. das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA zumeist unterstützt und wird dafür von Sanders heute heftig attackiert. Sanders kritisiert Freihandel und wirtschaftliche Freiheit – das ist als „demokratischer Sozialist“ nur folgerichtig. Er spricht damit Wählergruppen an, die für das Narrativ empfänglich sind, dass internationaler Wettbewerb ihre Löhne drückt und ihre Arbeitsplätze vernichtet. In diesem Zusammenhang ist seine Rhetorik nicht sehr verschieden von der des amtierenden Präsidenten.

Biden ist bis heute ein Anhänger von internationalen Handelsabkommen, wenn er auch einem Trend gefolgt ist, der in den letzten Jahren beide Parteien in den USA erfasst hat: Freihandelsabkommen werden zunehmend kritischer gesehen, einseitig gefasste nationale Interessen und insbesondere die Ansprüche von bestimmten Interessen- und Wählergruppen werden höher gewichtet. In dieser Beziehung interessant ist die Positionierung der beiden demokratischen Kandidaten zum unter Trump abgeschlossenen Nachfolgeabkommen zu NAFTA, dem USMCA. Biden unterstützt das Abkommen, mit dem Trump ein Wahlkampversprechen erfüllte, Sanders lehnt es ab. Zu den wenigen Veränderungen gegenüber NAFTA, die es überhaupt enthält, gehören Regelungen, die die Mindestlöhne in der mexikanischen Automobilindustrie betreffen und die Automobilherstellung in den USA wieder wettbewerbsfähiger machen sollen. Während sogar die wichtigsten US-amerikanischen Gewerkschaften das Abkommen unterstützten, begründet Sanders seine Ablehnung damit, dass es die Rechte der Arbeiter in den USA nicht ausreichend schützt und amerikanische Standards nicht intensiv genug auf Mexiko ausdehnt. Seine eindeutig protektionistische Agenda erstreckt sich auch auf die Bewertung anderer Handelsabkommen.

Das ist besonders deutlich bei seiner grundlegenden Bewertung der Handelsbeziehungen zu China – hier ist er auf einer Linie mit Donald Trump. Wie dieser glaubt er, dass das Handelsdefizit gegenüber China in den USA Wohlstand vernichtet und Armut erzeugt und sieht Handelsbarrieren als Gegenmittel. Im Gegensatz zu Biden setzt er zur Lösung von Interessengegensätzen im internationalen Handel nicht auf internationale Abkommen und Organisationen. Seine Skepsis gegenüber dem freien Handel erstreckt sich auf alle Regionen mit denen die USA Handel treiben. Sein Argument ist, dass die USA oft übervorteilt werden, wenn er es – wie Trump in Verkennung der ökonomischen Zusammenhänge – auch stärker auf die Arbeiter und ihre Einkommen fokussiert. Beide vertreten eine protektionistische und letztliche nationalistische Politik, wenn sie sich auch in der Bewertung der Instrumente unterscheiden. Das würde für die zukünftige Gestaltung der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen einige Schwierigkeiten mit sich bringen.

Die Auseinandersetzung um die Handelspolitik gegenüber China zeigt jedoch auch Gemeinsamkeiten zwischen Biden, Sanders und Trump, die aus europäischer Sicht zu berücksichtigen sind. Alle drei sehen wesentliche Teile der chinesischen Handlungspolitik als Problem und Bedrohung an, von den staatlichen Subventionen über den unzureichenden Schutz geistigen Eigentums bis zum direkten staatlichen Einfluss in Unternehmen und glauben nicht, dass die Europäer und die WTO mit diesen Problemen richtig umgehen.

Es wird keine Fortschritte beim transatlantischen Handel geben, wenn die Europäer diesen Problemen nicht Rechnung tragen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Verhandlungen über intensivere Wirtschaftsbeziehungen mit Biden in einer kooperativeren Atmosphäre verlaufen würden als mit Trump oder Sanders.

Ausblick

Insgesamt ist festzuhalten, dass Sanders bei einigen für die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft wichtigen Problemfeldern näher bei Trump ist als oft angenommen wird. Beide teilen die Überzeugung, dass die USA beim Handel und der Verteidigung von ihren Partnern oft übervorteilt werden. Damit befeuern sie eine Haltung, die bei vielen Wählern populär ist. Das stellt die europäischen Partner vor Probleme. Bidens Haltung ist stärker an multilateralen Arrangements ausgerichtet – in der Sicherheitspolitik und in schwächerer Weise auch bei Handel und Wirtschaftsbeziehungen. Mit ihm als Präsident wären sicher manche Konflikte leichter auszuräumen. Doch es gibt auch nicht wenige Punkte, bei denen sich alle drei Politiker einig sind und bei denen sie US-amerikanische Interessen klar vertreten werden – von der Lastenteilung bei der Verteidigung bis hin zur stärkeren Eindämmung chinesischer Machtansprüche, vor allem in der Handels- und Wirtschaftspolitik.

 

Sascha Tamm ist Referatsleiter Transatlantischer Dialog und Lateinamerika bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.