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Internationale Politik
TOGG: Einstieg der Türkei in die Elektrofahrzeugbranche – Fortschritt oder Flop?

Höchste Steuern, geringster Konsum – die restriktive Alkoholpolitik als Herausforderung für die türkischen Liberalen
Erdogan steht neben ersten TOGG
© picture alliance / AA | Turkish Presidency / Murat Cetinmuhurdar / Handout

Der Traum von der eigenen Autoproduktion

Seit den 1990er Jahren werden in der Türkei Autos hergestellt, mehrere große internationale Unternehmen unterhalten Werke im Land. Und schon länger als ein Jahrzehnt träumt Recep Tayyip Erdoğan bereits davon, auch ein einheimisches Automobil zu produzieren. Der verstorbene Vorsitzende des türkischen Großkonzerns Koç, Mustafa Koç, spottete seinerzeit über diese Idee und erklärte, man sei doch gar nicht in der Lage, ein eigenes Auto zu bauen: Angesichts der Größenverhältnisse in der Branche, die zu Fusionen, Übernahmen und Partnerschaften führten, sei die eigentliche Herausforderung, überhaupt ohne Verluste zu produzieren. Damit zog er wiederum Erdoğans Zorn auf sich, der erklärte, er werde „mutige Köpfe“ finden, die diese Herausforderung annehmen würden, wenn Koç nicht interessiert sei.

Er fand diese mutigen Köpfe schließlich auch: Fünf türkische Großkonzerne (einer wurde später fallen gelassen) und die Union der Kammern und Börsen der Türkei (TOBB) gründeten im Juni 2018 die TOGG, deren Name sich aus den Initialen der Türkischen Automobil-Initiativgruppe zusammensetzt. Trotz Behauptungen der Opposition, dass das Projekt nie zustande kommen würde, lief das erste TOGG-Fahrzeug, ein roter SUV, im Oktober 2022 vom Band.

Für das Jahr 2023 sind zunächst nur 20.000 Autos, allesamt SUVs, geplant. Die meisten davon werden an die Regierung geliefert, so dass nur sehr wenige Türken, wenn überhaupt, im nächsten Jahr hinters Lenkrad eines TOGG kommen werden. In den kommenden Jahren sollen weitere Modelle hinzukommen und die Gesamtproduktion bis 2030 voraussichtlich eine Million erreichen. Jeder Analyst der Autoindustrie wird bestätigen, dass diese Zahlen nicht ausreichen, um Gewinne zu erzielen. Mustafa Koç hatte also doch recht. Dennoch könnte TOGG gerechtfertigt sein, wenn das Projekt nämlich andere Vorteile für die Wirtschaft wie zum Beispiel „positive externe Effekte“ bringt.

Der wichtigste davon ist wahrscheinlich die Elektrofahrzeug-Infrastruktur: TOGG geht eine Partnerschaft mit Shell ein, um alle 81 Provinzen der Türkei mit Ladestationen auszustatten. Damit würde das Land über ein vollständigeres Ladestationsnetz verfügen als die meisten Länder mit ähnlichem Einkommens- und Entwicklungsniveau, aber auch viele entwickelte Länder.

Fehlinvestition oder doch der Anfang einer Produktion

Interessanterweise hat TOGG in den internationalen Medien fast keine Beachtung gefunden: Der Economist, die Financial Times und das Wall Street Journal, die fast täglich über die Türkei berichten, widmeten TOGG nicht einen Artikel. Lediglich das Handelsblatt veröffentlichte mehrere aktuelle Beiträge. Die türkische Opposition hingegen hat sich in ihren Kommentaren auf die (Nicht-)Bezahlbarkeit des TOGG-Elektroautos konzentriert. Der Preis soll laut Hersteller zwar erst im Februar 2023 bekannt gegeben werden, aber es wird erwartet, dass besondere Steuervergünstigungen den Preis bei etwa 900.000 Lira (46.000 Euro) halten werden – das 161-fache des derzeitigen Mindestlohns von 5.500 Lira (285 Euro). Zum Vergleich: Ein BMW X1 SUV, der ab 41.700 Euro kostet, ist das 28-fache des aktuellen deutschen Nettomindestlohns von ca. 1.484 Euro in Steuerklasse 1 bei einer 40-Stunden-Woche. Wenn die Deutschen wirklich neidisch auf die Türken sind, wie Erdoğan so oft behauptet, dann liegt das wahrscheinlich nicht an der Kaufkraft.

Die Opposition hat auch einen Thread in den sozialen Medien gestartet, in dem Erdoğan als „tok“ bezeichnet wird (was ähnlich wie TOGG klingt und „satt“ bedeutet), während der Durchschnittsbürger hungrig sei. Aufgrund der wirtschaftlichen Probleme wie der hohen Inflation, der Währungsrisiken, steigender Arbeitslosigkeit und Armut wird TOGG bei den bevorstehenden Wahlen wahrscheinlich keine Rolle spielen. Die Tatsache, dass der Automobilhersteller fünf Monate vor dem Verkaufsstart noch keinen Preis ankündigen kann, zeigt das Ausmaß der wirtschaftlichen Probleme. Erdoğan versucht stattdessen, die Wähler mit wirtschaftlichen Entlastungspaketen zu überzeugen. So soll der Mindestlohn im Januar auf mindestens 8.000 Lira steigen, was eine satte Erhöhung um 45 Prozent bedeuten würde – vor einem Jahr lag er noch bei 2.324 Lira.

Es bleibt abzuwarten, ob TOGG sich als nachhaltiger Automobilhersteller etablieren wird – oder ob das türkische Elektroauto nur eine weitere Fehlinvestition ist, die schließlich verschrottet wird, sobald Erdoğan die Macht abgibt.

 

 

Ein Gastbeitrag von Wirtschaftsexperte Emre Deliveli.