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Marokko
Spanien und Deutschland versöhnen sich mit Marokko

Diplomatischer Neustart im Schatten des russischen Überfalls auf die Ukraine
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König Mohammed VI. von Marokko zusammen mit dem spanischen Premierminister Pedro Sanchez im Königspalast in Rabat, Marokko

© picture alliance / abaca | Balkis Press/ABACA

Die spanisch-marokkanischen Beziehungen befanden sich seit April 2021 in einem desolaten Zustand, als Brahim Ghali, ein prominenter Anführer der Westsahara-Befreiungsbewegung Frente Polisario - und als solcher von Marokko als Staatsfeind betrachtet - aufgrund einer Covid-19-Erkrankung in einem spanischen Krankenhaus behandelt wurde.

Noch schlechter stand es bis vor Kurzem um die deutsch-marokkanischen Beziehungen. Das marokkanische Außenministerium hatte im März 2021 ein Kontaktverbot aller staatlichen Einrichtungen zur Deutschen Botschaft und deutschen Organisationen verfügt, nachdem Deutschland unter anderem die Anerkennung der marokkanischen Ansprüche auf die Westsahara durch den amerikanischen Präsidenten Donald Trump bei den Vereinten Nationen angeprangert hatte. Doch nun herrscht Tauwetter an beiden Fronten.

Spanisch-marokkanische Beziehungen

Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez wurde am 7. April mit allen Ehren von König Mohammed VI. in Rabat empfangen und in diesem Rahmen sogar zum traditionellen Fastenbrechen während des Ramadan eingeladen. Das Treffen läutet eine neue Phase der bilateralen Beziehungen ein und markiert einen radikalen Kurswechsel Spaniens. In einem Brief an Mohammed VI. hatte Sánchez zuvor erstmalig Sympathien für den Plan Rabats zum Ausdruck gebracht, der Westsahara weitgehende Autonomierechte zuzugestehen, um im Gegenzug die territoriale Zugehörigkeit des Gebiets zu Marokko zu untermauern. Bislang war Spanien als ehemalige Kolonialmacht in dieser hochsensiblen Frage neutral geblieben.

Für den mit seinem linkspopulistischen Koalitionspartner Unidas Podemos nicht abgestimmten Schritt musste Sánchez in Spanien selbst herbe Kritik einstecken. Nur wenige Stunden vor der Abreise nach Rabat stimmte der spanische Kongress mit den Stimmen des Koalitionspartners und weiterer Unterstützer der Minderheitsregierung, aber auch der konservativen Partido Popular für einen Antrag, der den Kurswechsel ablehnt und stattdessen ein Referendum fordert.

Zwar wäre es nach Ansicht von Experten wie Eduard Soler i Lecha vom renommierten Think Thank „CIDOB“ aus Barcelona (Co-Autor unserer Studie „Creating Euro-Mediterranean bonds that deliver“) zur Normalisierung der Beziehungen vermutlich früher oder später auch so gekommen, doch der Ukraine-Krieg hat den Prozess beschleunigt. Denn Marokko fungiert traditionell als Partner der EU bei deren Migrationspolitik im westlichen Mittelmeer und soll dabei irreguläre Migranten am Verlassen des Staatsgebiets in Richtung Spanien hindern. Eine Politik, die immer wieder als mit internationalem Recht kaum vereinbar kritisiert wird.

Die Partnerschaft mit Marokko und ihre Ausgestaltung ist umso wichtiger, da der kriegsbedingte Ausfall der Weizenernte schon heute Grund zur Sorge gibt, dass es hierdurch insbesondere in der Sahelzone zu zusätzlichem Migrationsdruck auf die EU-Außengrenzen kommen könnte. Zusätzlich erschöpft die große Anzahl Geflüchteter aus der Ukraine die Aufnahmekapazität und –bereitschaft vieler EU-Staaten. Zu den Profiteuren der spanisch-marokkanischen Versöhnung zählen immerhin Tausende Marokkaner, die ihren Lebensunterhalt in der EU verdienen und denen fortan wieder eine direkte Route nach oder durch Spanien und zurück offensteht.

Aus marokkanischer Sicht zahlt sich die Normalisierung der Beziehung gleich doppelt aus: Spanien kommt Marokko für eine Rückkehr zum bilateralen Status quo ante nicht nur in der Westsahara-Frage entgegen, sondern handelt sich genau deshalb auch neuen Ärger mit Algerien, Marokkos Erzfeind, ein. Algerien unterstützt die Frente Polisario Bewegung, die in der Westsahara nach einem unabhängigen Staat strebt. Als Reaktion auf das Einlenken Spaniens gegenüber Marokko im Streit um die Westsahara hat Algerien sogar seinen Botschafter zurückbeordert. Für Spanien könnte dieser neue Eklat brenzlig werden, denn das Land bezieht knapp 50 % seiner Gasimporte aus Algerien und ist somit in hohem Maße abhängig – zumal an zweiter Stelle mit knapp 20 % Russland steht. Doch Algerien dürfte letztlich der Versuchung widerstehen, seine Gaslieferungen als Druckmittel einzusetzen: Zu gut ist der Ruf als verlässlicher Lieferant selbst in Krisenzeiten und zu verlockend ist die Aussicht auf neue Geschäfte mit Europa angesichts des Ukraine-Kriegs (Italien hat jüngst bereits ein entsprechendes Abkommen geschlossen, um seine Abhängigkeit von Russland zu verringern). Allerdings warnt Algerien Spanien davor, kein bisschen algerisches Gas nach Marokko weiterzuleiten – ein solcher Affront könnte dann tatsächlich zu einem Lieferstopp führen.

Deutschland und Marokko nähern sich an

Die Versöhnung zwischen Deutschland und Marokko begann bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Sie fußt auf dem mutmaßlich großen Interesse beider Seiten an einer Wiederaufnahme der umfangreichen Entwicklungszusammenarbeit und erfolgte anlässlich der Amtsantritte der neuen Regierungen in beiden Ländern. Berlin setzte den Auftakt, indem das Auswärtige Amt auf seiner Homepage eine inhaltlich zwar unveränderte, aber freundlichere Haltung gegenüber Marokko öffentlich machte. Es folgte ein Brief des deutschen Bundespräsidenten sowie ein Video-Austausch zwischen den Außenministern beider Länder.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dürfte auch die deutsch-marokkanischen Beziehungen weiter intensivieren. Neben der Zusammenarbeit in der Migrationspolitik ist für Berlin vor allem die Energiepartnerschaft mit Rabat interessant. Mithilfe von Marokko könnte Deutschland gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die eigene Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren und mithilfe von grünem Wasserstoff aus der marokkanischen Wüste gleichzeitig den Kampf gegen den Klimawandel vorantreiben. Ein entsprechendes Abkommen unterzeichneten beide Länder bereits 2020.

Schon damals hatte die Energiepartnerschaft mit Marokko große Bedeutung für Deutschland, da wenige Länder eine vergleichbare Kombination aus Sonneneinstrahlung, politischer Stabilität und technischem Know-how vorweisen können. Dies dürfte angesichts des drohenden Ausfalls russischer Gaslieferungen heute umso mehr gelten.

Marokko bleibt UN-Abstimmung gegen Russland fern

Trotz des diplomatischen Tauwetters gelang es den EU-Mitgliedsstaaten allerdings nicht, Marokko für die breite Allianz von 141 Staaten zu gewinnen, die Anfang März den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in der UN-Vollversammlung verurteilten. Marokko blieb der Abstimmung fern, wohl aus Sorge, Russland könne sich sonst durch die Unterstützung der Frente Polisario in der Westsahara rächen. Dies unterstreicht ebenso wie die diplomatischen Reibereien des vergangenen Jahres, dass Marokko mit seiner Außenpolitik mitunter Interessen verfolgt, die im Widerspruch zu denen der europäischen Partner stehen können.

Spanien und Deutschland sind deshalb gut beraten, ihre Partnerschaft mit Marokko zu pflegen und weiter auszubauen, um die daraus entstehenden Potenziale für beide Seiten des Mittelmeers auszuschöpfen. Gleichzeitig dürfen sie sich insbesondere im Bereich der Migrations- und Energiepolitik nicht zu sehr von einzelnen Ländern abhängig zu machen.