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RUMÄNIEN
Quo vadis, Romania? - Bestürzende Übergriffe gegen Frauen in der rumänischen Politik

BUCHAREST, ROMANIA
©  picture alliance / AA | Mehmet Serkan Eruysal

In Rumänien entgleitet der politische Diskurs. Immer mehr Berichte über Beschimpfungen, Gewalt und Übergriffe in der Politik verunsichern das Land. Zunehmend häufig richten sich die Angriffe gegen Frauen in der Politik, die ohnehin unterrepräsentiert sind. Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit arbeitet gegen die Entwicklung an. Aus Bukarest berichtet FNF-Projektleiter Raimar Wagner: 

 

„Selbst wenn ich dafür ins Gefängnis komme: ich mach dich rollstuhlreif!” – Mit dieser unverhohlenen Drohung wurde jüngst ein rumänischer Stadtrat der Volkspartei PMP gegen eine Kommunalpolitikerin der liberalen USR handgreiflich, als er versuchte, ihr das Handy zu entwenden. Unterstützt wurde er dabei von einem Kollegen der konservativen Nationalliberalen Partei PNL, als die Rätin die Szene filmen wollte. Der Fall löste landesweit Bestürzung aus. Verbale und physische Gewalt gegen Politikerinnen und Journalistinnen sind in Rumänien leider keine Seltenheit mehr, das Phänomen weitet sich aus.

Der Übergriff kam bei einer Ausschusssitzung im Rat der Kleinstadt Mogoșoaia bei Bukarest. Auslöser für die Attacke: die Angegriffene widersetzte sich mit ihrer liberalen Fraktion dem Entwicklungsplan des Bürgermeisters, einen sogenannten Bezirk 0 mit einer Fläche von 1.100 Hektar neben der Hauptstadt aus dem Boden zu stampfen. Neben anderen ranghohen Politikern sind offenbar auch die beiden Stadträte mit eigenen Grundstücken in das undurchsichtige Immobiliengeschäft verwickelt. Die liberale USR, die Partnerpartei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Rumänien, reichte Strafanzeige bei der Antikorruptionsbehörde gegen den Bürgermeister ein. Die Angreifer wurden bei der Integritätsbehörde angezeigt und müssen sich strafrechtlich verantworten. Ungeachtet dessen bleibt das Problem der verbalen und physischen Übergriffe gegen Politikerinnen bestehen.

Die Liste der Übergriffe wird länger

In einem gemeinsamen Projekt des Stiftungspartners „Dela0.ro“ und dem Zentrum für Unabhängigen Journalismus (CJI) gaben im vergangenen Jahr 15 von 18 befragten weiblichen Senatoren und Abgeordneten an, dass sie seit ihrem Amtsantritt mit Hassreden konfrontiert wurden. Die Liste reicht von frauenfeindlichen Kommentaren, herabsetzenden Äußerungen, verbalen Angriffen bis zu Beschimpfungen – all das ist für die überwältigende Mehrheit dieser weiblichen Parlamentsmitglieder Alltag geworden, warnt die Studie.

Die angegriffene Gemeinderätin von Mogoșoaia antwortete auf die Frage von Radio France International, ob sie Angst habe, zu den Ausschusssitzungen zurückzukehren, wörtlich:  „Ehrlich gesagt, ja, und das hatte ich schon vorher, denn es war nicht das erste Mal, dass ich bedroht wurde.“ Deshalb sei ihr Mann immer mit mir zu den Ausschusssitzungen gegangen und hätte auf sie gewartet, weil es ihr ein Gefühl der Sicherheit gegeben hätte. „Außerdem sagte mir der Polizist, der Dienst hatte, als ich Anzeige erstattete, ich solle nicht allein zu den Anhörungen gehen, sondern einen Polizisten bitten, mich zu begleiten.“ Solidarität zeigte auch die USR-Parteispitze, die nach diesem Fall geschlossen der nächsten Stadtratssitzung in Mogoșoaia beiwohnte.

Auch in Kronstadt (rum. Brașov) sah sich die USR-Vizebürgermeisterin mit Entgleisungen konfrontiert. Ein Parteifreund schildert den Fall: „Der stellvertretende Vorsitzende der PNL-Jugend veröffentlichte gestern auf Facebook eine Aufforderung zur Gewalt gegen Flavia Boghiu, stellvertretende Bürgermeisterin von Brașov. Er postete ein mit Photoshop bearbeitetes Bild von Frau Boghiu, dass sie so aussehen ließ, als sei sie verprügelt worden und fügte den Kommentar hinzu: ‚Das steht ihr gut‘. Es handelt sich um eine breitere Kampagne, hinter der sich Immobilieninteressen in Brașov verstecken, mit denen sich die stellvertretende Bürgermeisterin anlegt.“

Frauen sind stark unterrepräsentiert

Rumänische Politikerinnen werden offenbar auch am politischen Aufstieg systematisch gehindert. Dies zeigt eine von Expert Forum (EFOR) im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung durchgeführte Studie: https://www.freiheit.org/romania-and-republic-moldova/womens-representation-romanian-politics. Danach werden weniger als fünf Prozent der Regierungsämter von Frauen bekleidet, und auch in den Parlamenten stellen sie weniger als zwanzig Prozent der Mandatsträger.

In den drei Kabinetten seit der Parlamentswahl im Dezember 2020 fanden insgesamt lediglich zwei Ministerinnen Platz auf dem Antrittsfoto. Weltweit belegt Rumänien im „Global Gender Gap“-Bericht des World Economic ForumPlatz 88 von 156 untersuchten Ländern. Beim Kapitel „Zugang zu politischer Teilnahme“ schneidet Rumänien noch schlechter ab: Hier reicht es nur zu Platz 129. Das zeugt von einem realen Demokratiedefizit im Land, und unsere Studie spricht von einem „akuten Handlungsbedarf“.

In der Partnerpartei USR wird das Problem zunehmend anerkannt. In der Partei hat sich informell eine stetig wachsende Initiativgruppe „Frauen in der Politik“ gebildet. Noch fehlt die offizielle Anerkennung durch die Parteigremien. Aber nach einer ersten von der Stiftung für die Freiheit mit der Gruppe initiierten Debatte sollen weitere folgen, die die Stiftungsstudie als Diskussionsgrundlage nutzen.

 

Raimar Wagner ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Rumänien und der Republik Moldau mit Sitz in Bukarest.