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Russland
Gelenkte Demokratie – gelenkte Wahlen

Nachwahlbericht zu den Duma-Wahlen 2021 in Russland
Demonstranten versammeln sich während eines Protestes gegen die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Moskau, Russland, Samstag, 25. September 2021.
Demonstranten versammeln sich während eines Protestes gegen die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Moskau, Russland, Samstag, 25. September 2021. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Pavel Golovkin

Die Wahlen zur Duma, dem Unterhaus des russischen Parlaments, und zu 39 Regionalparlamenten brachten nach der beispiellosen Ausschaltung und Repression gegen die politische Opposition im Vorfeld wie erwartet den Wahlsieg der Machtpartei „Einiges Russland“ und der auch bisher schon in der Duma vertretenen Parteien, der sogenannten „Systemopposition“.  

 

Die Wahlbeteiligung lag nur bei knapp über 50 Prozent und spiegelte das überwiegende Desinteresse und eine passive Hinnahme der herrschenden Politik durch einen Großteil der Bevölkerung wider. Russlands Präsidialsystem begrenzt den parlamentarischen Einfluss und damit auch die Bedeutung von Parlamentswahlen für eine demokratische Mitbestimmung ohnehin deutlich. Allerdings sind die Duma-Wahlen von Bedeutung für eine scheindemokratische Legitimation der Macht. Dazu richtete sich die Wahlmobilisierung der „Partei der Macht“ insbesondere auf die große Anzahl von Staatsbediensteten auf föderaler, regionaler und lokaler Ebene, die Militär- und Sicherheitsorgane sowie die Mitarbeiter in den Staatskonzernen.

Darüber hinaus wurden unter eklatanter Verletzung des Völkerrechts diejenigen Bürger der ukrainischen Gebiete Lugansk und Donezk, denen zuvor russische Pässe ausgegeben worden waren, zur Teilnahme an den Duma-Wahlen zugelassen und zu Tausenden mit Bussen in die Wahllokale der russischen Region Rostow-am-Don gefahren. Nicht zuletzt dienten dazu auch die in Moskau und sieben weiteren Regionen praktizierten Online-Abstimmungen, bei denen innerhalb der drei Wahltage die Wahlentscheidung z. T. mehrfach nachträglich geändert werden konnte. Mangels fehlender öffentlicher Transparenz „verwandelten“ sich in den Wahllokalen erzielte deutliche Stimmenmehrheiten der Kommunisten nach einer späteren Auszahlung der Online-Stimmen zu einer Stimmenmehrheit für „Einiges Russland“.

Zehntausende Online-Stimmen in Moskau gingen unauffindbar ganz verloren; in St. Petersburg wurden zahlreiche Wahlfälschungen öffentlich gemacht. Es kann insofern weder von fairen noch demokratischen Wahlen, sondern es muss von ganz klar gelenkten Wahlen gesprochen werden. Dem entsprechen auch die Ergebnisse: die Partei „Einiges Russland“ erhielt nach offiziellen Angaben 49,8 Prozent der Stimmen und siegte in fast allen Einzelwahlbezirken, sodass sie mit 324 von 450 Sitzen wiederum die verfassungsgebende Mehrheit in der Duma besitzt. Die Kommunisten erreichten als zweitstärkste Partei, u. a. auch dank der „Smart Voting“ - Wahlempfehlung der Nawalny-Initiative, mit knapp 19 Prozent Stimmenanteil und 57 Sitzen im Parlament das zweitbeste Resultat. Die rechtsnationalistische LDPR büßte gegenüber den Wahlen von 2016 deutlich an Stimmen (7,6 Prozent) und Sitzen (21/-18) ein, während sich die Linkspopulisten „Gerechtes Russland- für die Wahrheit“ mit 7,5 Prozent Stimmenanteil und einem Stimmenzuwachs (27/+4) behaupten konnten.

Erstmals seit 2003 schaffte es eine fünfte Partei, die erst 2020 gegründeten „Neue Leute“ über die 5-Prozent-Hürde – sie erhielt 5,32 Prozent und 13 Sitze in die Duma. Diese Partei richtete sich mit wirtschaftsliberalen Aussagen insbesondere an die Mittelschicht, die von „Einiges Russland“ nicht ausreichend erreicht werden konnte, und erfüllte damit für die „Partei der Macht“ eine wichtige Hilfsfunktion. Die einzig wirklich oppositionelle Partei, „Jabloko“, erreichte lediglich 1,3 Prozent der Stimmen und verlor damit weiter gegenüber den Wahlen 2016. Dieses Resultat ist nicht nur der beispiellosen Bekämpfung und Behinderung der Opposition durch die Machthaber geschuldet, sondern auch dem fehlenden Vermögen der Partei, wirksame Strategien zu entwickeln diese in praktische Politik umzusetzen und als reale parteipolitische Plattform das oppositionelle Protestpotential zu vereinen.

Als wesentliches Fazit ist festzuhalten, dass die Duma-Wahlen 2021 von den Machthabern neben dem scheindemokratischen Ausweis ihrer Legitimationsbasis insbesondere als Stimmungsbarometer und Generalprobe für die Methoden zur Ausschaltung der Opposition in Vorbereitung auf die in 2024 anstehenden Präsidentschaftswahlen genutzt worden sind.