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Freispruch für Dangarembga
Ein Präzedenzfall für die Demokratie

Tsitsi Dangarembga

Tsitsi Dangarembga, die in einem Schauprozess wegen Friedensbruchs verurteilte Friedenspreisträgerin aus Simbabwe, triumphiert vor dem Obersten Gerichtshof ihrer Heimat.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Sechs Monate Haftstrafe auf Bewährung, ausgesetzt für fünf Jahre, in denen sich die Verurteilten nicht politisch äußern dürfen: So lautete im September 2022 das Strafmaß gegen die Schriftstellerin Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe und ihre Mitstreiterin Julie Barnes, weil diese auf Plakaten institutionelle Reformen und die Freilassung von inhaftierten Journalisten gefordert hatten. Mit ihrer friedlichen Demonstration in der simbabwischen Hauptstadt Harare hätten die beiden Frauen, so die Begründung der Richterin in erster Instanz, zu „öffentlicher Gewalt aufgestachelt“.

Die Urteilsverkündung war der Tiefpunkt eines zermürbenden und absurden Schauprozesses: Mal war der Staatsanwalt nicht aufzufinden, mal gaben Zeugen versehentlich die Manipulation von Beweisen zu. Mit rechtsstaatlichen Prinzipien hatte das zweijährige Verfahren wenig gemein. Das erkannte an diesem Montag auch der Vorsitzende Richter im von Dangarembga und Barnes an­gestrengten Berufungsprozess vor dem Obersten Gerichtshof von Simbabwe. Nach einer nur fünfzehnminütigen Anhörung hob Richter Happious Zhou das vorherige Urteil auf. Tsitsi Dangarembga und Julie Barnes sind frei.

Dieses Ergebnis war angesichts der jüngsten Entwicklungen in Simbabwe nicht zu erwarten. Mit Blick auf die anstehenden Wahlen im August zieht das Regime die Schlinge um Aktivisten und Journalisten immer enger. Allein in den vergangenen Wochen wurden drei führende simbabwische Oppositionelle aufgrund ähnlicher Vorwürfe verurteilt. Dass die beiden Frauen nun freigesprochen wurden, ist vor allem der Integrität und Unabhängigkeit des verhandlungsführenden Richters zu verdanken.

Nicht „obszön, bedrohend, ausfallend oder beleidigend“

Zhou hatte in der Vergangenheit immer wieder mit Urteilen auf sich aufmerksam gemacht, die zwar den Ge­setzen der liberalen Verfassung entsprachen, dem Regime jedoch missfielen. So urteilte er im Jahr 2021 gegen eine Verlängerung der Amtszeit des Obersten Richters von Simbabwe – konträr zum Wunsch des autokratischen Präsidenten Emmerson Mnangagwa. Zwar ist der Oberste Richter nach einer persönlichen Intervention Mnangagwas noch immer im Amt, doch zeigte das damalige Ur­teil: Zhou scheut keine Konfrontation. Es war ein glücklicher Zufall für Dangarembga und Barnes, dass über ihre Be­rufung von ihm entschieden wurde.

Sie repräsentiert ein ganzes Land

Überraschung und Erleichterung war allen Anwesenden anzusehen. Denn der Berufungsprozess hätte auch anders en­den können – mit einer Bestätigung oder sogar Verschärfung des vorherigen Urteils. Selbst eine mehrjährige Gefängnisstrafe war realistisch. Warum also gingen die beiden Frauen gegen das Urteil vor? Schon einmal hatte Dangarembga manche Beobachter überrascht. Während des Verfahrens im vergangenen Jahr reiste sie für einige Tage nach Deutschland, wo ihre Kinder leben und ihr Mann herstammt. Sie hätte Prozess und Schikanen daheim hinter sich lassen und in Deutschland ein Leben in Frieden und Freiheit führen können. Doch sie kehrte nach Simbabwe zurück.

Dangarembga wusste, dass die Be­deutung ihres national wie international viel beachteten Prozesses über das eigentliche Urteil hinausging. Mit ihr auf der Anklagebank saßen symbolisch die zahlreichen Oppositionellen, Aktivisten und Journalisten, die jeden Tag abseits des öffentlichen Interesses verfolgt und inhaftiert werden. Simbabwes berühmteste Künstlerin repräsentiert ein ganzes Land, dessen Bevölkerung seit Jahrzehnten systematisch von seiner Regierung unterdrückt wird und das sich nach Freiheit und Gerechtigkeit sehnt. Dangarembga wusste: Es ist richtig, in ihre Heimat zurückzukehren und persönlich dafür zu kämpfen.

Ein ungewohnt guter Tag

Diesen Kampf führte sie nun vor dem Obersten Gerichtshof fort und gewann ihn. In erster Instanz wollte der dem Präsidenten direkt unterstellte „Antikorruptionsgerichtshof“ ein Exempel sta­tuieren, das einschüchtert und potentielle Nachahmer abschreckt. Es sollte ein Präzedenzfall geschaffen werden, auf den sich staatliche Ankläger bei Verfahren gegen andere Kritiker hätten be­rufen können. Ein Präzedenzfall wurde nun geschaffen – jedoch nicht im Sinne des Regimes. Künftig werden sich an­geklagte Regierungskritiker auf das Ur­teil des Obersten Gerichtshofes berufen und Freispruch einfordern können.

Man sollte sich indes keinen Illusionen hingeben: In Simbabwe herrscht seit Jahrzehnten ein kleptokratisches Regime, das die eigentlich liberale Verfassung mit Füßen tritt und jegliche demokratische Partizipation im Keim er­stickt. Daran wird dieses Urteil wenig ändern. Das Regime wird andere Möglichkeiten finden, seine Kritiker zum Schweigen zu bringen, und alles dafür tun, um seine Macht zu erhalten.

Umfragen deuten darauf hin, dass die Opposition die anstehenden Wahlen ge­winnen könnte. Doch in dem von Frustration und Perspektivlosigkeit geprägten Land glauben nur noch wenige an politischen Wandel durch faire Wahlen. Es sind mutige Aktivisten wie Tsitsi Dangarembga und Julie Barnes, die mit ihrem engagierten Eintreten für Demokratie, Freiheit und Bürgerrechte den Menschen Hoffnung machen. Das Urteil an diesem Montag zeigt, dass dieser Kampf nicht vergeblich ist. Es war ein ungewohnt guter Tag für Simbabwe.

Dieser Beitrag erschien erstmals am 8. Mai 2023 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung