Transvestigation
Brigitte Macron gegen die vier Reiter der "Trans-pokalypse"
Der französische Präsident Emmanuel Macron und seine Frau Brigitte Macron.
© picture alliance / abaca | Vernier Jean-Bernard/JBV News/ABACABrigitte Macron wehrt sich aktuell mit juristischen Mitteln gegen Verschwörungstheorien, dass sie ein Mann sei. Die Theorie klingt bizarr, das juristische Vorgehen fast übertrieben. Doch dahinter steht ein Phänomen, das viel weiter verbreitet ist als man vielleicht auf den ersten Blick meinen mag: sogenannte Transvestigations. Dabei „investigieren“ Nutzerinnen und Nutzer online, welche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eine Geschlechtsumwandlung vollzogen haben. Diese gender inversion ist laut der Transvestigatoren ein Rite de Passage, den Prominente durchlaufen müssen, um in die Eliten aufzusteigen. Klingt so absurd, dass man sich fragen muss, warum man es ernst nehmen sollte. Doch hinter der Abmessung von Armen, welche angeblich darauf hinweisen, dass Taylor Swift als Mann geboren wurde, stehen Misogynie, Homophobie, Transphobie und latenter Antisemitismus. Und durch die Verbreitung von Bildmaterial im Click-Bait Stil kommt das Phänomen außerdem mittlerweile bei immer mehr Menschen an.
Transphobie als zentrales Elemen
Am offensichtlichsten ist vielleicht die Transphobie der Transvestigatoren. Zum einen verweigert sie trans Menschen das Recht auf Privatsphäre, weil Nutzer verzweifelt versuchen, Personen, von denen sie glauben, dass sie trans sind, zu „outen“. Das passiert dann oft mit transfeindlicher Sprache. Gleichzeitig zeigt sich darin die Vorstellung, dass trans Menschen eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen und ausfindig gemacht werden müssen. Wie diese Transphobie im Mainstream ankommt, sieht man am Beispiel von Imane Khelif, der algerischen Boxerin, die 2024 Gold bei Olympia gewann. Obwohl sie laut Olympischem Komitee alle Kriterien für ihre Kategorie erfüllt, verbreiteten nach ihrem Sieg im Olympia-Viertelfinale russische Netzwerke, rechtspopulistische Politiker und einige Medien gezielt Gerüchte, Khelif sei „eigentlich ein Mann“ oder trans. Die Debatte wurde von der IBA und russischen Akteuren systematisch angeheizt, um die Integrität der Olympischen Spiele zu untergraben und westliche Gesellschaften über die kontroverse Debatte zu dieser Frage zu spalten. Die Falschbehauptungen wurden von internationalen Rechtspopulisten, aber auch von prominenten Stimmen wie J.K. Rowling, die seit Jahren eine transfeindliche Kampagne führt, und sogar von Donald Trump übernommen. Das zeigt, der Vorwurf trans zu sein, bleibt nicht in obskuren Ecken des Netzes, sondern hat direkte Auswirkungen auch im Mainstream.
First Ladies im Fadenkreuz
Besonders betroffen sind auch die Frauen von Politikern. Neben Brigitte Macron zum Beispiel Michelle Obama. Seit 2008 versuchen Verschwörungstheoretiker wie Alex Jones mit teils bearbeiteten Bildern zu „belegen“, dass Michelle Obama eine trans Frau sei und eigentlich traditionelle männliche Züge habe. Sogar Britta Ernst, Ehefrau von Olaf Scholz, wurde bei Telegram transvestigiert. Was uns zur Homophobie bringt: Es wird versucht, Zweifel an der Sexualität der Partner der betroffenen Personen zu säen und diese zu diffamieren, indem unterstellt wird, dass sie dadurch eigentlich schwul seien. Das ist gleichzeitig transphob, weil es suggeriert, dass eine Anziehung zu trans Frauen nicht mit Heterosexualität vereinbar sei. Außerdem wird damit auf dem homophoben Vorurteil aufgebaut, dass schwule Männer weniger gute Leader sind und es ihnen gegebenenfalls an der erforderlichen Männlichkeit fehle.
Misogynie und das unerreichbare Bild von Weiblichkeit
Zuletzt zeigt es auch die Misogynie der Transvestigationen. Denn es bedeutet auch, dass Männer in Machtpositionen nicht von Frauen im Hintergrund unterstützt werden können. Barack Obama zum Beispiel sprach oft davon, wie sehr ihn Michelle Obama unterstützte – aber eine einflussreiche Frau im Hintergrund eines so mächtigen Mannes scheint für Transvestigatoren unvorstellbar. Zudem zeigt es, welche unerreichbaren Schönheitsstandards für Frauen gelten. Dem zu Grunde liegt ein unrealistisch enges Verständnis von Weiblichkeit und Frausein, und jede Person, die nicht in dieses Raster passt, wird nicht als „wirkliche“ Frau betrachtet. Um deutlich zu machen, wie eng das Verständnis ist, kann ein weiteres Opfer von Transvestigationen dienen: Taylor Swift. Doch es trifft nicht nur Frauen. Auch der rechte Influencer Andrew Tate wurde transvestigiert, nachdem er ein Foto in Speedo-Badehose postete. Ein nicht bekannter Nutzer postete das Bild mit der Überschrift: „Ich schätze, sie hat vergessen, ihr Fake anzuziehen“. (Hervorhebung redaktionell ergänzt.) „Fake“ sollte sich hier auf ein falsches Genital beziehen.
Damit kommen wir zur Ebene des zu Grunde liegenden latenten Antisemitismus. Im Zentrum von Transvestigation steht, wie eingangs erwähnt, die Verschwörungstheorie, dass eine geheime Elite die Gesellschaft kontrolliert. Die Transition zum anderen Geschlecht ist Teil einer rituellen Initiation, um in diesen Kreis zu gelangen. Die Wortwahl der „kontrollierenden Eliten“ deutet dabei oft auf einen Euphemismus für Juden hin, was auch in anderen Zusammenhängen schon häufig als Bedeutung nachgewiesen wurde.
Sind Transvestigationen das neue Q-Anon?
Bei all der Absurdität muss man sich fragen, warum sich die Inhalte trotzdem so stark verbreiten. Auffällig ist, dass Transvestigatoren selten große oder bekannte Accounts sind. Die meistgefolgten Profile auf Plattformen wie X oder YouTube haben oft nur ein paar Tausend Follower. Trotzdem verbreiten sich ihre Inhalte erstaunlich weit – auch auf TikTok, obwohl das Unternehmen 2022 eigentlich versprochen hatte, transphobe Inhalte stärker zu bekämpfen. Abgesehen davon, dass Transvestigationen ein Paradebeispiel für das tiefste, dunkelste Ende der Verschwörungswelt sind, zeigt sich hier auch, wie sich soziale Bewegungen online organisieren und immer mehr Menschen ins Boot holen. Sie laden Nutzerinnen und Nutzer dazu ein, digital zu „ermitteln“, wer von den Eliten trans ist, und somit permanent neue Inhalte zu liken, zu teilen und zu kommentieren. Somit geben sie das Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein. Das erinnert an Q-Anon, bei dem viele Influencer nicht nur Likes, sondern auch Geld damit gemacht haben, die Nachrichten von Q zu analysieren und Vorhersagen zu machen. Auch die heutige US-Abgeordnete Marjorie Taylor Greene war eine laute Verfechterin von Q-Anon und hat diese Verschwörungstheorien in ihre Politik gebracht. Der Blick auf Eliten ist bei den Transvestigatoren ähnlich, und so könnten diese transfeindlichen, homophoben und misogynen Narrative auch bald noch stärker im politischen Diskurs auftauchen.
Wer sucht, der findet – auch wenn nichts da ist
Ironisch ist dabei, dass die Transvestigatoren letztlich an allen Menschen irgendetwas finden, das sie als „typisch männlich“ oder „typisch weiblich“ interpretieren. Damit verwischen sie selbst die Grenzen, die sie eigentlich so streng verteidigen wollen. Besonders deutlich wird das am Beispiel von Dylan Mulvaney. Mulvaney ist eine bekannte Influencerin und offene trans Frau. Doch selbst bei ihr konstruieren die Transvestigatoren ihre absurden Theorien: Sie behaupten, Mulvaney sei in Wirklichkeit als Mädchen geboren worden, dann gezwungen worden, als Junge zu leben, um schließlich wieder zur Frau zu „transitionieren“. Plötzlich akzeptieren sie Mulvaney als Frau – aber nur, um ihre eigenen verschwörungsideologischen Narrative zu bedienen und sie in ihre „Logik“ einzupassen. Damit zeigen sie unfreiwillig, wie beliebig und widersprüchlich ihre Argumentation eigentlich ist. Am Ende entlarvt sich die Szene damit selbst: Wer überall Anzeichen für eine angebliche Täuschung findet, zeigt vor allem, wie willkürlich und menschenfeindlich diese Verschwörungstheorien sind.