Verfassungsrichter-Wahl
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Wie politisch darf die Wahl zur Verfassungsrichterin werden?
Der Verhandlungssaal des Bundesverfassungsgerichts.
© picture alliance/dpa | Uwe AnspachHendrik Plaß: Früher war alles besser, das sagt man ja oft. In der Politik war manches zumindest anders. Zum Beispiel, wenn es darum ging, einen der 16 Richterposten am Bundesverfassungsgericht neu zu besetzen. Früher machten Union und SPD abwechselnd Vorschläge, manchmal auch FDP oder Grüne. Dann ging das Ganze in den Wahlausschuss, dann durch den Bundestag – fertig. Eine öffentliche, politische Debatte wie in diesem Sommer, etwa über die zunächst nominierte Frauke Brosius-Gersdorf, sowas gab es noch nie. Jetzt hat sich der Wahlausschuss auf eine neue Kandidatin geeinigt: Sigrid Emmenegger, bisher Richterin am Bundesverwaltungsgericht. Zusammen mit dem Arbeitsrichter Günter Spinner und der Juraprofessorin Ann-Kathrin Kaufhold soll sie heute vom Bundestag bestätigt werden. Die Chancen stehen gut, dass das klappt. Aber: Ist damit alles gut, oder bleibt etwas zurück? Darüber spreche ich jetzt mit einer Frau, die zweimal für die FDP Bundesjustizministerin war – Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Schönen guten Morgen!
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen.
Es geht ja um das Bundesverfassungsgericht, eine der tragenden Säulen der Judikative, also am Ende auch um Gewaltenteilung. Hat das politische System in Deutschland durch diese öffentliche, von rechts initiierte Kampagne gegen Brosius-Gersdorf Schaden genommen?
Also ich denke nicht, dass es jetzt massiv Schaden genommen hat. Aber es ist doch deutlich geworden, dass hier aus ganz offenkundig politischen Gründen versucht wurde, einen Vorschlag, eine vorgeschlagene Verfassungsrichterin wirklich zu diffamieren – mit teilweise auch vollkommen falschen Behauptungen. Und allein dieser Vorgang, der muss einem wirklich Sorgen machen. Vor allen Dingen deshalb, weil es nicht nur aus der rechtspopulistischen, rechtsradikaleren Ecke kam, sondern dass nachher eben auch aus dem Bundestag, von den Koalitionsfraktionen, aus der Union heraus, die Bedenken aufgegriffen wurden und man sich teilweise, einzelne Abgeordnete, an der Kampagne beteiligt haben.
Ist denn das Amt des Verfassungsrichters, der Verfassungsrichterin wirklich so unpolitisch? Dahinter stehen ja auch Menschen, die eine Meinung, eine Haltung haben.
Ja, natürlich. Und die Menschen kommen auch aus einem bestimmten Umfeld und sind sozialisiert. Aber letztendlich geht es um die richterliche, die rechtliche, die verfassungsrechtliche Kompetenz, auch die Berufserfahrung. Deshalb ja Richter oder auch Verfassungsrechtlerinnen, die vorgeschlagen werden. Und die ganzen Jahrzehnte hat das Bundesverfassungsgericht dadurch überzeugt, dass kein Richter, keine Richterin am Ende ihre politische Meinung in Urteile hineingegossen hat, nach dem Motto: Jetzt mache ich mal den Marsch durch die Institutionen über das Bundesverfassungsgericht. Sondern, egal aus welcher Partei sie kamen – CSU, SPD, Grüne, FDP – am Ende war man dem Grundgesetz verpflichtet und hat dann eben auch diese Kompetenz eingebracht in die Beratungen, in den ersten oder zweiten Senat. Also die sind nicht unpolitisch, aber sie agieren nicht politisch.
Sie waren zweimal Bundesjustizministerin für die FDP, in den 90er Jahren im Kabinett Kohl, dann nochmal 2009 bis 2013. Auch in Ihren Amtszeiten gab es ja viele teils aufgebrachte Debatten, Großer Lauschangriff zum Beispiel. Aber über Verfassungsrichterinnen und -richter wurde nie öffentlich diskutiert. Zu Recht eigentlich? In den USA ist ja die Anhörung von Supreme-Court-Richtern immer öffentlich, zum Beispiel.
Ja, ich halte da wirklich nicht viel von. Denn man merkt ja, wie das instrumentalisiert werden kann, wie dann schon Personen vielleicht beschädigt werden durch so eine öffentliche Debatte, bevor sie dann gewählt sind. Und damit will man ja Vertrauen in diese wichtige Institution, in dieses oberste Gericht, minimieren. Und dann geht es wirklich an die Gewaltenteilung, die Gewaltentrennung. Und von daher halte ich nichts davon, daraus so ein öffentliches Schauspiel zu machen.
Heute steht jetzt die Wahl an, unter anderem von Sigrid Emmenegger. Der Wahlausschuss hat sich schon bestätigt. Bleibt denn bei dieser Vorgeschichte etwas zurück? Wird sie jetzt immer den Ruf haben, nur die zweitbeste Wahl zu sein?
Also man wird jedenfalls sehr, sehr genau hinschauen. Ich glaube nicht, dass sie jetzt zweitbeste Wahl ist. Es hat immer mal Vorschläge intern gegeben, die am Ende dann wieder verworfen wurden. Das ist so ein normaler Prozess. Aber jetzt wird sie gewählt, und dann hat sie die Legitimation. Aber es bleibt schon, dass hier versucht wurde, aus der rechtspopulistischen Ecke, von bestimmten Plattformen aus, Persönlichkeiten zu diffamieren und in ihrem Ruf zu beschädigen. Das bleibt leider.
Sagt die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf Bremen Zwei zum zweiten Anlauf heute in Sachen Verfassungsrichterwahl im Bundestag. Vielen Dank!
Mit freundlicher Genehmigung von Radio Bremen.
Dieses Interview erschien erstmals am 25. September 2025 bei Bremen Zwei.