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Abschied von „Dr. Rutt“

Ein Leben für Patientenwürde und Gesundheit in Pakistan
Abschied von „Dr. Rutt“

Grabsteine in Karatschi, Pakistan

© www.pixabay.com, bearbeitet

Am 10. August verstarb 87jährig Dr. Ruth Pfau, die seit 1960 als Ärztin in Pakistan wirkte. Ohne ihr Wirken wäre Lepra in Pakistan nicht seit 1996 unter Kontrolle. Denn der pakistanische Staat ist nicht in der Lage, sich flächendeckend um die Gesundheitsversorgung im Lande zu kümmern. Vom Recht auf Gesundheitsversorgung als Menschenrecht könnte Pakistan kaum weiter entfernt sein. Doch Ruth Pfau lebte vor – und genießt dafür eine außergewöhnliche Verehrung in Pakistan -, dass mit Kranksein nicht automatisch ein Würdeverlust einhergehen muss.

Kranksein ist nirgendwo auf der Welt angenehm. Wenn es um Pakistan geht, gibt es jedoch mehr als graduelle Unterschiede im Vergleich zu anderen Ländern. Ein Krankenversicherungswesen existiert nicht, und glücklich kann sich derjenige schätzen, der entweder einen Arzt in der Familie hat oder aber dessen Gesundheitskosten vom Arbeitgeber übernommen werden. Das Gesundheitswesen befindet sich in dreierlei Händen: 1) in staatlicher Hand, 2) in der Hand des Militärs und 3) in privater Hand. Sogenannte Regierungskrankenhäuser stehen der Bevölkerung kostenlos zur Verfügung, die für Medikamente anfallenden Kosten müssen allerdings vom Patienten getragen werden. 2) Militärkrankenhäuser stehen Militärangehörigen und deren Familien offen. Einige Krankenhäuser des Militärs sind gegen Bezahlung auch der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich. 3) Privatkliniken sind zahlreich und lassen sich im Regelfall ihre Dienste sehr gut bezahlen, so dass sie insbesondere von der Oberschicht in Anspruch genommen werden. Die Militärkrankenhäuser haben einen tadellosen Ruf. Das gilt häufig jedoch nicht für die Regierungskrankenhäuser aufgrund des dort chronisch herrschenden Geldmangels und der oft unzureichenden hygienischen Zustände. Darüber hinaus besteht ein großes Gefälle in Hinblick auf die Provinzen: In Punjab und Khyber Pakhtunkhwa ist das staatliche Gesundheitswesen weitaus besser als in Sindh oder Belutschistan. Privatkliniken können nicht pauschal kategorisiert werden – es gibt gute und schlechte.

Ein klar zu benennendes Problem ist, dass Gesundheit einen großen Markt darstellt, was weidlich ausgenutzt wird. Das ist ohne größere Schwierigkeiten möglich, da für viele Patienten Ärzte eine Autorität haben, die nicht in Frage gestellt wird. Patienten sind entmündigte Objekte, die allenfalls darauf hoffen können, dass sie ins Krankenhaus begleitende Familienmitglieder die Tragweite der jeweiligen Behandlung verstehen und als Fürsprecher für den Angehörigen eintreten können. Denn wenn beispielsweise ein Bein amputiert werden soll, wird das nicht zwangsläufig mit dem Patienten besprochen, sondern mit seinen Angehörigen. Sollte ein Patient zu fragen wagen, warum ausgerechnet das und das Medikament eingenommen werden soll, so ist die lapidare Antwort meist: „Because it is good for you!“ Selbst bei einer ordinären Erkältung eines Kindes werden die Eltern mit Antibiotika ausgestattet, die sich sehen lassen können – je mehr, desto besser! Nur ein schlechter Arzt verschreibt keine Medikamente.

Unerwähnt bleiben an dieser Stelle all diejenigen, die sich nicht in die Mühle staatlicher Krankenhäuser begeben können, weil sie in entlegenen Gegenden leben, und sich die Medikamente ohnehin nicht leisten könnten. Sie suchen lokale Heiler auf, die ihnen für ein paar Rupien Heilung versprechen.

Von dem Menschenrecht auf Gesundheitsversorgung ist Pakistan weit entfernt, und aufgrund des anhaltend hohen Bevölkerungswachstums ist eine Verbesserung der medizinischen Versorgung auch nicht in Sicht.

Es existieren jedoch einige wenige Orte der Gesundheit, welche die Menschen mit Hoffnung erfüllen – seien es kleine von ausländischen Missionaren betriebene Krankenhäuser, sei es das Agha-Khan-Krankenhaus in Karatschi, in dem am 10. August 2017 Dr. Ruth Pfau verstarb, die ihrerseits 1962 das Marie-Adelaide-Lepra-Zentrum ebenda gegründet hatte.

 

Abschied von „Dr. Rutt“

Dr. Ruth Pfau

© FNF-Projektbüro Pakistan

Ruth Pfau kam 1960 durch einen Zufall nach Pakistan und blieb, nachdem sie zufällig einen Einblick in die Misere der Leprakranken bekommen hatte. Das Lepra-Zentrum trägt den Namen der Begründerin der Gesellschaft der Töchter vom Herzen Mariä – dem Orden, dem Ruth Pfau angehörte. Ein wichtiger langjähriger Förderer war die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe. Zusammen mit der Christoffel-Blindenmission werden heute auch zur Erblindung führende Augenkrankheiten behandelt. Das Zentrum hat 157 Zweigstellen in verschiedenen Teilen des Landes. Die Behandlung der Patienten ist kostenlos und das rund 800 Mitarbeiter umfassende Personal besteht zu großen Teilen aus ehemaligen Patienten und freiwilligen Spezialisten. Lepra, eine der am wenigsten ansteckenden Krankheiten aus der langen Liste der wirklich ansteckenden, ist erst seit 1982 heilbar. Unter Anwendung moderner Methoden erfolgt eine Heilung innerhalb von maximal einem Jahr.

In Deutschland haben wir viele Krankheiten aus dem Auge verloren, die in anderen Teilen der Welt nach wie vor zur Realität vieler Menschen gehören. In Pakistan sind das nach wie vor Kinderlähmung (Poliomyelitis), aber eben auch Lepra („Aussatz“), die erst seit 1996 in Pakistan unter Kontrolle ist. Mit dem signifikanten Rückgang der Lepraerkrankungen widmen sich die entsprechenden Einrichtungen nun verstärkt der Tuberkulose. Beide Krankheiten werden durch Mykobakterien verursacht und gelten als „Krankheiten der Armut“, da befallene Menschen meist ein geschwächtes Immunsystem (bedingt durch Mangelernährung, schlechte Hygienebedingungen) haben. Die erfolgreiche Aufklärungsarbeit, die Ruth Pfau auf diesem Gebiet leistete, erklärt das hohe Ansehen, das Ruth Pfau unter Pakistanern genießt. Von sieben Staatsbegräbnissen seit der Gründung Pakistans vor siebzig Jahren ist sie die dritte zivile Person, die erste Ausländerin und die einzige Christin, der ein solches zu Teil wurde. Das bedeutet viel in der Islamischen Republik Pakistan, reflektiert aber auch die Offenheit der Pakistaner in Hinblick auf die Anerkennung außerordentlicher Leistungen.

„Ruth Pfau ist weit mehr als eine Heilige“ – das ist das Verständnis der Menschen hier, die insbesondere in Karatschi (geschätzte 23 Millionen Einwohner) in einer Umgebung leben, in der die staatlichen Behörden meist versagen. Karatschi ist auf einer Liste von bewerteten Städten auf Platz 134 von 140! Die Sicherheitslage in Karatschi hat sich zwar nach dem Eingreifen des Militärs vor rund zwei Jahren signifikant verbessert, aber alles andere ist in einem desolaten Zustand. Alle für einen Bürger relevanten Bereiche liegen im Argen: Wasser- und Stromversorgung, Verwaltung, Bildung und eben auch Gesundheit. Shehri – Citizens for a Better Environment ist eine langjährige Partnerorganisation des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Pakistan. Im Rahmen einer Mitgliederversammlung dieser umtriebigen Initiative von Bürgern Karatschis setzte sich Ruth Pfau erst kürzlich wieder mit ihrer Unterschrift für die Ziele der Organisation ein, denn sie war seit mehr als zwanzig Jahren ein Mitglied von Shehri. Es war wohl Ruth Pfaus letzte Unterschrift, die sie gab, um sich für ihre Mitmenschen einzusetzen. Sie sah Gesundheit immer in einen größeren Kontext eingebettet, zu dem das Wirken hin auf bessere Lebensbedingungen – für ein Leben in Würde – insbesondere in Karatschi gehörte. Die Pakistaner wünschen sich viele Ruth Pfaus. Langfristig kann sich jedoch nur etwas im Sinne Ruth Pfaus entwickeln, wenn jeder einzelne bereit ist, ihrem Vorbild zumindest ansatzweise nachzueifern.

Almut Besold leitet das FNF-Projekt in Pakistan.