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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Speak-up nach Shut-down!
Aufstieg ist schwerer als Abstieg

Die Wirtschaftsgeschichte lehrt, wie lange massive Konjunktureinbrüche nachwirken. So wird es auch bei der Corona-Krise sein.
Leere Tische und Stühle
Leere Tische und Stühle von geschlossenen Cafés und Restaurants – die Gastgewerbe ist besonders von der Corona-Krise betroffen. © picture alliance/Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/ZB

Der Shutdown Deutschlands ist seit Anfang Mai beendet. Allmählich schält sich ein Bild heraus, wie er auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt gewirkt hat. Die simple Antwort lautet: katastrophal!

Auf das ganze Jahr umgerechnet wird inzwischen mit einem Einbruch der Wirtschaftsleistung um 10 Prozent gerechnet. Die Anzeige von Kurzarbeit überschritt bis Ende April seit Beginn der Corona-Krise die 10 Millionen-Grenze – so viel wie noch nie in der deutschen Geschichte. Im Mai 2009, beim letzten „Gipfel“ der Unterbeschäftigung im Zuge der Weltfinanzkrise, waren noch nicht einmal zwei Millionen Kurzarbeiter avisiert - weniger als ein Fünftel von heute. Zwar lehrt die Erfahrung: Anzeige von Kurzarbeit heißt noch nicht, dass diese wirklich kommt, aber selbst wenn - sehr optimistisch geschätzt - nur die Hälfte davon Wirklichkeit wird, wären dies fünf Millionen Menschen. Mit den derzeit über 2,6 Millionen Arbeitslosen ergäbe das fast acht Millionen unterbeschäftigte Arbeitnehmer – also rund 20 Prozent der rund 40 Millionen abhängig Beschäftigten.

Hinzu kommt eine strukturelle Besonderheit: Betroffen sind vor allem jene Bereiche der Wirtschaft, in denen ein besonders hoher Anteil von relativ schlecht bezahlter, „prekärer“ Beschäftigung von Arbeitnehmern ohne hohes formales Niveau der Qualifikation anzutreffen ist, so zum Beispiel das Gastgewerbe (mit ganzen 91,5 Prozent Kurzarbeit), private Haushalte, der Handel, Verkehr und Lagerei sowie allerdings auch die Metall-, Elektro- und Stahlindustrie. Man glaubt es kaum, aber selbst im Gesundheitswesen ist mehr als jeder Fünfte in Kurzarbeit. Es hat wirklich die gesamte Privatwirtschaft getroffen. Der öffentliche Dienst dagegen blieb weitestgehend verschont.

Kurzarbeit - Betroffenheit nach Wirtschaftszweigen

Soweit, so dramatisch. Ein naiver Betrachter mag einwenden, dass nach dem Einbruch sich doch eigentlich normale Verhältnisse wieder einstellen sollten: Die Nachfrage kehrt zurück – und mit ihr die Arbeitsplätze. So funktioniere eben die Marktwirtschaft. Man ist geneigt, zu antworten: Schön wär‘s, denn die historische Erfahrung zeigt, dass dies fast nie der Fall ist. Ein Blick auf die vier größten Konjunktureinbrüche der letzten 100 Jahre in Deutschland macht dies deutlich.

Am schlimmsten kam es in der Weltwirtschaftskrise 1930-32, auch „Große Depression“ genannt. Der scharfe Anstieg der Arbeitslosenquote unter dem „Hungerkanzler“ Heinrich Brüning auf etwa 30 Prozent führte zum Zusammenbruch von Demokratie und Marktwirtschaft; der anschließende „Aufschwung“ unter Nazi-Herrschaft war vor allem auf den Rüstungsboom und die beginnende Kriegsvorbereitung zurückzuführen, und er beruhte auf rohen Zwangsmaßnahmen. Die beiden schweren Konjunktureinbrüche 1973-75 und 1981-83 folgten massiven Öl- und Rohstoffpreissteigerungen, die in Westdeutschland über zwei Millionen industrielle Arbeitsplätze unrentabel machten. Diese verschwanden für immer und die Arbeitslosenquote kletterte in zwei Stufen von einem auf etwa acht Prozent, wo sie trotz konjunktureller Erholung auf Dauer verharrte. Ähnliches gilt für die noch viel tiefere industrielle Krise Ostdeutschlands im Zuge der Deutschen Einheit, die für zwei Jahrzehnte die neuen Länder zum Epizentrum zweistelliger Arbeitslosenquoten werden ließ - trotz schrittweiser wirtschaftlicher Erholung. Lediglich die Weltfinanzkrise 2008ff hinterließ in Deutschland nur relativ kurzfristige Spuren: Nach dem drastischen Einbruch der Wirtschaftsleistung von fünf Prozent im Jahr 2009 erholte sich die deutsche Wirtschaft erstaunlich zügig, aber die Lage in den schuldenbelasteten Nachbarländern trübte noch Jahre das europäische Konjunkturbild - mit schweren politischen Verwerfungen samt Aufstieg des Rechtspopulismus.

Fazit: In keiner der vier großen Krisen war die Rückkehr zur Normalität auch nur annähernd so schnell wie das Hineinstürzen in die Krise. Der Grund ist im Kern einfach: Jede tiefe Konjunkturkrise in einer Marktwirtschaft wirkt asymmetrisch. Die betroffenen Unternehmen - und vor allem der Mittelstand - bringen in der Krise sofort Maßnahmen des Notstands auf den Weg, prüfen aber anschließend sehr genau, ob die weitere Perspektive nach der Krise überhaupt die Nutzung der vormals vorhandenen Kapazitäten und Beschäftigung lohnt. In der Wirtschaftswissenschaft nennt man dies „Hysterese“ oder „Pfadabhängigkeit“: Einmal aus der normalen Bahn geworfen beginnt eine Art neues unternehmerisches Wirtschaftsleben: Es wird vermehrt scharf kalkuliert, unter den Beschäftigten nach Alter und Qualifikation selektiert, und gelegentlich wird der Betrieb sogar ganz eingestellt.

All dies droht nach der Corona-Krise. Und es droht mehr noch als bei früheren Konjunktureinbrüchen, weil die Krise gerade jene Branchen besonders trifft, die relativ viel unterdurchschnittlich qualifizierte Arbeitskräfte beschäftigen. Eine überaus gefährliche Situation! Sie hat das Zeug dazu, all die gewaltigen Fortschritte am deutschen Arbeitsmarkt der letzten Jahre mit Rekordniveaus der Beschäftigung und niedrigem Stand der Arbeitslosenquote rückgängig zu machen.

Wir waren in Deutschland nämlich auf einem sehr guten Weg. Der Verfasser dieser Zeilen veröffentlichte 2012 ein Buch mit dem Titel „VOLLBESCHÄFTIGT“. Er prognostizierte seinerzeit, dass ein neues deutsches Jobwunder - gekoppelt mit der demografischen Schrumpfung der Bevölkerung - langfristig hervorragende Perspektiven für die junge Generation am Arbeitsmarkt mit sich bringen würde. Bisher lag er richtig, und bis Corona sah es so aus, als ginge es auch so weiter. Jetzt aber wird klar: Es könnte auch ganz anders kommen.

In dieser kritischen Situation ist die Wirtschaftspolitik besonders gefordert. Wir brauchen ein Programm, das die deutsche Wirtschaft langfristig zurückführt auf einen stabilen Wachstumspfad. Mittelfristig bedeutet dies: Es bedarf einer kraftvollen Beschleunigung, um möglichst alle derzeitigen Kurzarbeiter und Arbeitslose in diesem Prozess schnellstmöglich wieder mitzunehmen, bevor jene Wirkungen der Verfestigung am Arbeitsmarkt einsetzen, die wir aus früheren großen Krisen kennen.

Darüber wird zu reden sein. Ich werde in meinen nächsten Beiträgen dazu einige politische Anstöße geben.

Die Kolumne als Podcast

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