EN

Paraguay
Im Schatten der Weltmeisterschaft

Vorwahlen in Paraguay
Wahllokal in der Stadt Fernando de la Mora

Wahllokal in der Stadt Fernando de la Mora

© Copyright: Iniciativa Ciudadana

Paraguay hat mit gleich zwei großen, dominanten Nachbarn klarzukommen: im Norden mit Brasilien, im Süden mit Argentinien. In Brasilien hat man ein schweres Wahljahr hinter sich; dort bereitet sich Luiz Inácio Lula da Silva nach seinem knappen Sieg bei der Stichwahl im Oktober auf die neuerliche Übernahme des Präsidentenamtes am 1. Januar vor. In Argentinien hatte man anderes – manche würden sagen: Besseres – zu tun, als man in Paraguay noch vor den Wahllokalen Schlange stand: Man feierte den Fußball-Weltmeistertitel.

Als sich Argentinien am Nachmittag des 18. Dezember in eine einzige große Volksfestbühne verwandelte, wurde in Paraguay noch fleißig abgestimmt. Knapp fünf der rund siebeneinhalb Millionen Einwohner waren dazu aufgerufen, über die Kandidatinnen und Kandidaten zu entscheiden, mit denen die Parteien und Parteienbündnisse die Präsidentschafts- und Kongresswahlen am 30. April kommenden Jahres bestreiten werden.

Zwei-Parteien-System: Produkt des 19. Jahrhunderts

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht dabei die Wahl zum Staats- und Regierungschef – wie in fast allen Ländern Lateinamerikas umfasst das Präsidentenamt beide Positionen. Amtsinhaber Mario Abdo Benítez darf nach fünf Jahren nicht noch einmal antreten. Die Verfassung verbietet die Wiederwahl zwecks Verhinderung von Machtmissbrauch. Gewählt wird die Präsidentin bzw. der Präsident zusammen mit der Vizepräsidentin bzw. dem Vizepräsidenten. In Paraguay spricht man wie in Argentinien von einer Formula.

Typisch für das Land ist das Zwei-Parteien-System, das sich bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat: auf der einen Seite die konservative Asociación National Republicana – Partido Colorado (Nationale Republikanische Vereinigung – Rote Partei, kurz PC), auf der anderen die Liberalen, die Partido Liberal Radical Auténtico (Wahre Radikal-Liberale Partei, PLRA). Die PLRA hat die Geschicke des Landes über weite Teile der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmt, während die PC den Ton seit dem Zweiten Weltkrieg angibt, mit einer kurzen Unterbrechung zwischen 2008 und 2013.

Eindruck von Übersichtlichkeit und Stabilität trügt

Der Eindruck von Übersichtlichkeit und Stabilität trügt allerdings. Das Führungspersonal beider Traditionsparteien ist notorisch zerstritten. Es nimmt daher nicht wunder, dass beide mit gleich zwei aussichtsreichen Tandems antraten.

In der PC konkurrieren schon länger zwei Gruppen um die personelle und strategische Vorherrschaft: Fuerza Republicana (Republikanische Kraft, FR) und Honor Colorado (Rote Ehre, HC). Beide haben kein erkennbares ideologisches Profil, in beiden Fällen handelt es sich vor allem um Karrierenetzwerke. Führender Kopf der FR ist Präsident Abdo Benítez, starker Mann der HC dessen Vorgänger, der ehemalige Staats- und Regierungschef Horacio Cartes. Bei den Vorwahlen am 18. Dezember ging das Tandem Santiago Peña und Pedro Alliana mit gut fünfzig Prozent der für die PC abgegebenen Stimmen als erstes durchs Ziel. Peña ist eigentlich ein Gewächs der PLRA. Erst 2016 trat er zur PC über, während seiner Zeit als Finanzminister im Kabinett Cartes. Kein Wunder also, dass dieser ihn nun nach Kräften unterstützt. Abdo Benítez hingegen hatte sich für das zweite, aus Arnoldo Wiens und Juan Manuel Brunetti bestehende Kandidatenduo starkgemacht. Wiens, Journalist, evangelikaler Pastor und bis August Kabinettsmitglied, kam mit seinem Running Mate auf nur 43 Prozent. Damit ist die Entscheidung gefallen: Peña, der Cartes-Zögling, tritt im April als Präsidentschaftskandidat der PC an.

Ein eher ungewöhnlicher Vorgang

Abdo Benítez hatte aber noch eine zweite innerparteiliche Niederlage zu verkraften. Am Tag der Vorwahlen wurde auch über den PC-Vorsitz abgestimmt. Hier traten der scheidende Präsident und Cartes direkt gegeneinander an. Cartes errang knapp über fünfzig Prozent der Stimmen, Abdo Benítez sah sich mit knapp unter vierzig gehörig deklassiert. Er scheint das Präsidentenamt kommendes Jahr als flug- und gleichermaßen schwimmunfähige lahme Ente zu verlassen.

Die Abstimmungen wurden im PC-Lager von Korruptionsvorwürfen überschattet. Im August hatte die US-Botschaft in Asunción im Namen von Außenminister Anthony Blinken zwei hochrangige PC-Vertretern ganz offiziell der Korruption beschuldigt. Ein eher ungewöhnlicher Vorgang. Beim einen handelte es sich um den amtierenden Vizepräsidenten Hugo Velázquez, beim anderen um Ex-Staatschef Cartes. Velázquez kündigte seinen Rücktritt an und zog seine Präsidentschaftskandidatur zurück. Den Rücktritt als Stellvertreter von Abdo Benítez vollzog er am Ende nicht. Beim Kandidaturverzicht indes blieb es. Cartes lächelte derweil in den zurückliegenden Monaten alle Vorwürfe weg. Nun ist er Königsmacher und Parteichef.

Geschlossener Außenauftritt nicht möglich

Die oppositionellen Liberalen hatte sich mit rund zwei Dutzend kleineren politischen Gruppen, darunter viele vor allem regional und kommunal relevante Parteien, zu einem Bündnis mit dem Namen Concertación Nacional (Nationale Abstimmung) zusammengeschlossen. Der gemeinsame Gegner ist klar: die PC. Ein geschlossener Außenauftritt war dem Bündnis trotzdem nicht möglich.

Bei den Wahlen am vierten Adventssonntag setzte sich das Duo Efraín Alegre und Soledad Núñez durch. Und das sogar recht deutlich: Die beiden kamen auf knapp sechzig Prozent der für die Concertación abgegebenen Stimmen. Alegre ist seit Jahren das Alphatier der PLRA. Seit 2016 ist er Parteichef. Als ehemaliger Parlamentarier, Präsident des Abgeordnetenhauses, Senator und Minister verfügt er über einen weitgesteckten politischen Erfahrungshorizont. Abgeschlagen hinter Alegre und Núñez folgten Alberto Fleitas und Gerardo Balmelli mit rund 17 Prozent der Stimmen. Sie vertraten innerhalb der PLRA die Gruppierung Nuevo País (Neues Land), auch vor allem ein Karrierenetzwerk. Falls Alegre Präsident wird, könnte Fleitas mit dem Posten des PLRA-Vorsitzenden entschädigt werden.

Auf Abstand zu linkssektiererischen Parteien

Für die PLRA also hat sich Alegre die Präsidentschaftskandidatur gesichert, zum dritten Mal in Folge. Beim ersten Mal 2013, unterlag er Cartes, beim zweiten Mal 2018, Benítez. Im dritten Anlauf im April könnte ihm der Einzug in den Palacio de López, den Präsidentenpalast in der Hauptstadt Asunción, gelingen. Zugutekommen könnte ihm die Schwäche der PC. Die Concertación hat es diesmal außerdem geschafft, auf Abstand zu linken und linkssektiererischen Parteien zu bleiben. Das war nicht immer so. Anzurechnen ist das vor allem der Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin. Soledad Núñez, zwischen 2014 und 2018 Ministerin für Wohnungsbau und Lebensraum, gilt innerhalb der PLRA als eher marktorientiert. Sie könnte der krisengeschüttelten PC im April Wähler abjagen.

Alegre war nie unumstritten. Und skandalfrei schon gar nicht. Anfang 2021 saß er für ein paar Wochen in Haft, wegen des Vorwurfs der Dokumentenfälschung. Das hohe Ergebnis, das seine Formula nun bei den Vorwahlen erzielte, zeigt, dass die Partei ihm offenkundig die Absolution erteilt hat. Würde er Präsident, müsste er nicht nur die eigenen Wähler für sich gewinnen. Paraguay steht vor einer Herkulesaufgabe; das Land bedarf einer umfassenden Reformagenda. Zwar sind die Steuersätze niedrig. Um die dringend benötigten ausländischen Investoren für sich zu gewinnen, braucht es allerdings vor allem verlässliche Rahmenbedingungen. Hier besteht noch Optimierungsbedarf. Außerdem müssen das Gesundheitssystem, der Bildungsbereich und der Justizsektor generalüberholt werden. Eine liberale Handschrift ist für all das bitter nötig.

Dr. Lars-André Richter leitet das Büro La Plata der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Buenos Aires.
Fernando Mezzina ist Kommunikationsassistent im Stiftungsbüro.