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Argentinien
Argentinien rechnet mit dem Regierungswechsel

Am Sonntag wähle Argentinien einen neuen Präsidenten. Freiheit.org hat mit Lars-André Richter über die Situation vor Ort gesprochen.
Präsidentschaftskandidat Alberto Fernández mit seiner Vize-Präsidentschaftskandidatin Cristina Kirchner
Dem Präsidentschaftskandidaten Alberto Fernández und seiner Vize-Präsidentschaftskandidatin Cristina Kirchner werden die größten Chancen zugerechnet. © picture alliance / AP Photo

In Argentinien stehen am Sonntag Präsidentschaftswahlen an. Alles rechnet mit einem Regierungswechsel in dem südamerikanischen Land. Die größte Herausforderung für die neue Regierung wird darin bestehen, die katastrophale wirtschaftliche Lage in den Griff zu bekommen, analysiert unser Argentinien-Experte Lars-André Richter.

 

Wer sind die wichtigsten Akteure bei der Wahl am Sonntag?

 

Die aussichtsreichsten Kandidaten sind Amtsinhaber Mauricio Macri und sein Herausforderer Alberto Fernández. Macri wird von der ideologisch farbenreichen Parteienallianz „Juntos por el Cambio“ (zu Deutsch: Gemeinsam für den Wandel) getragen, sein Gegenkandidat vom linkspopulistisch-peronistischen Bündnis „Frente de Todos“ (Volksfront). Diejenige Kandidatin indes, die lange Zeit die größte Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, ist Ex-Präsidentin Cristina Kirchner, auch wenn sie sich diesmal nur um das Amt der Vizepräsidentschaft bewirbt, an der Seite von Alberto Fernández.
Liberaler Kandidat ist im Übrigen der Ökonom José Luis Espert. Seine Chancen auf einen Sieg am Sonntag sind allerdings ausgenommen gering. Bei den Vorwahlen am 11. August erreichte er nur gut drei Prozent.

Wie wird die Arbeit der aktuellen Regierung in der Bevölkerung bewertet? Ist mit einem Regierungswechsel zu rechnen?

Klares ja. Präsident Macri hat bei den Vorwahlen im August eine überraschend deutliche Niederlage kassiert. Vor allem die prekäre wirtschaftliche Situation wurde ihm zum Verhängnis. Das Herausforderer-Duo Alberto Fernández und Cristina Kirchner fuhren mit fast 48 Prozent der Stimmen einen klaren Sieg ein. Auf Macri entfielen magere 32 Prozent. Auch wenn sie sich in letzter Zeit häufig geirrt haben mögen: Auch alle Umfragen prognostizieren einen Sieg des Oppositionskandidaten.

Vor welchen zentralen Herausforderungen wird die neu gewählte Regierung stehen?

Die größte Herausforderung besteht darin, die katastrophale wirtschaftliche Lage in den Griff zu bekommen. Die Inflation ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr, die Landeswährung, der argentinische Peso, schwach und instabil. Argentinien ist de facto zahlungsunfähig. In dieser Situation muss es mit dem IWF über die Rückzahlung seiner Schulden verhandeln. Der IWF hatte Argentinien im vergangenen Jahr einen Bereitschaftskredit in Höhe von insgesamt 57 Milliarden Dollar gewährt. Davon wurde ein Großteil bereits ausgezahlt, in fünf Tranchen, insgesamt knapp 45 Milliarden Dollar. Die nächste Zahlung erfolgt nun nach den Wahlen. Dass das Land Reformen braucht, liegt auf der Hand. Doch auch eine mutige Reform des Steuersystems oder des Arbeitsmarktes würde sich wohl erst in rund zwei Jahren auszahlen.

Der zukünftige Präsident wird also entweder Alberto Fernández oder, dann in zweiter Amtszeit, Mauricio Macri heißen. Wer von beiden wird größere Schwierigkeiten haben, für Stabilität im Land zu sorgen?

Beide werden es zumindest nicht leicht haben. Macri würde in einer zweiten Amtszeit weder im Parlament noch im Senat eine Mehrheit haben. In beiden Kammern geben die Peronisten den Ton an. Gewinnt Fernández, darf man auf die Zerwürfnisse im peronistischen Lager gespannt sein: Er ist keine thematisch stringente Klientelpartei, sondern eine weltanschaulich flexible Massenorganisation des Machtgewinns und -erhalts. Natürlich kommt es da immer auch zu Konflikten zwischen verschiedenen Flügeln oder zwischen der Provinz- und der nationalen Ebene. Ein Präsident Fernández dürfte also auch einiges damit zu tun haben, seine Bewegung zusammenzuhalten.

Welchen Einfluss hätte ein Sieg von Fernández auf die Beziehungen Argentiniens zu seinen Nachbarn in der Region?

In dieser Hinsicht besteht in der Tat Isolationsgefahr. Nicht nur Brasiliens höchst umstrittener Präsident Bolsonaro hat sich in der Vergangenheit mehrfach kritisch zum möglichen Regierungswechsel im Nachbarstaat geäußert. Auch die konservativen Regierungen in Chile und Paraguay dürften Macri manche Träne nachweinen. Politische Freunde hat Fernández vor allem in Havanna, Caracas und vielleicht noch in La Paz, Bolivien. Ob aber gerade Venezuela unter seiner gegenwärtigen linkspopulistischen, autokratischen Führung ein strategisch attraktiver Partner ist, darf bezweifelt werden.