Wahlen in Buenos Aires
Argentinien – Denkzettel zur richtigen Zeit für Milei?
Der argentinische Präsident Javier Milei spricht nach Schließung der Wahllokale bei den Provinzwahlen in La Plata, Argentinien.
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Gustavo GarelloDer Denkzettel der Wähler am Sonntag fiel deutlich aus: Bei den Wahlen in der Provinz Buenos Aires kam Javier Mileis Partei „La Libertad Avanza“ nur auf 34%, während die peronistische „Fuerza Patria“ auf 47% kam. Mit so einer deutlichen Niederlage hatte kaum jemand gerechnet, am wenigsten wohl Milei selbst. Vor der Wahl hatte er noch angekündigt, den „Nagel in den Sarg des Peronismus schlagen zu wollen“, nur um hinterher festzustellen, dass der Sarg leer blieb und die Peronisten zumindest in der Provinz Buenos Aires, ihrer traditionellen Hochburg, nicht so leicht totzukriegen waren.
Feierstimmung bei den Peronisten, Krisenmanagement bei Milei
Während Milei den Ausgang der Wahlen mit seinen engsten Vertrauten, aber kaum Mitgliedern, geschweige denn Wahlvolk, weitläufig abgesperrt in einem Edelclub in La Plata verfolgte, feierte sich der peronistische Gouverneur der Provinz, Axel Kicillof, auf offener Bühne, perfekt inszeniert von seinen „Kameradinnen und Kameraden“ zwischen Großmüttern des Plaza de Mayo, Grußbotschaften von Kindern und fahnenschwingenden Gewerkschaftern. Vom heimischen Balkon in Buenos Aires aus jubelte die aufgrund von Korruption zu sechs Jahren Hausarrest verurteilte Ex-Präsidentin und aktuelle peronistische Parteivorsitzende Cristina Kirchner ihren Anhängern diebisch feixend im Herzchenpullover zu.
Für Katerstimmung war für Milei am Montagmorgen wenig Zeit. Krisenmanagement war gefragt, nachdem die Finanzmärkte äußerst verschnupft auf die zumindest in dieser Höhe unerwartete Wahlniederlage reagiert hatten: Der Peso bewegte sich bedrohlich in Richtung der Obergrenze der Bandbreite zum Dollar bei immer weiter schwindenden Devisenreserven, der argentinische Aktienmarkt brach zweistellig ein, das Länderrisiko stieg auf über 1000 Punkte von 700 noch vor wenigen Wochen.
Kongresswahlen im Oktober entscheidend
Die beiden guten Nachrichten für Milei: Machtpolitisch ist (noch) wenig passiert, und er kann sich am eigenen Schopf aus dem aktuellen Formtief herausziehen.
Richtig ist, dass die Provinzwahl in Buenos Aires ein wichtiger Stimmungstest für die Popularität des Präsidenten war. In der Provinz leben 40% aller Argentinier, das ist mehr, als wenn in Nordrhein-Westfalen und Bayern gleichzeitig Landtagswahlen stattfinden würden. Aber: Die Provinz Buenos Aires ist eben traditionell peronistisch. Sie war es vor der Wahl und bleibt es jetzt auch weiterhin. Entscheidend sind für Milei vielmehr die Kongresswahlen am 26. Oktober, bei denen rund die Hälfte der Sitze in beiden Kammern, Nationalversammlung und Senat, neu vergeben werden. Milei hat bisher im Kongress mit seiner Partei nur rund 10% der Sitze. Auch wenn er in den Wahlen bereits rechnerisch keine eigene Mehrheit erreichen kann, würde eine größere Fraktion seine Position für den weiteren Reformkurs stärken. Für einen nachhaltigen Aufschwung benötigt Argentinien vor allem ein effizientes und effektives Steuersystem, ein Arbeitsmarktrecht, das Anreize schafft und Bürokratie abbaut, ein Rentensystem, das Beiträge und Leistungen in Einklang bringt, und eine Föderalismusreform, die das Verbundprinzip zwischen Entscheidern, Anbietern, Zahlern und Nutzern stärkt. Für all diese notwendigen strukturellen Reformen braucht er eine Mehrheit im Kongress, die ihm derzeit fehlt.
Beeindruckende Wirtschaftserfolge, aber Korruptionsvorwürfe belasten
Milei hat es jetzt selbst in der Hand. Seine wirtschaftspolitischen Erfolge sind unbestritten und für eine Amtszeit von noch nicht einmal zwei Jahren beeindruckend: Die Inflation ist von über 200 auf unter 40% gesunken, der Haushalt ist ausgeglichen, die Wirtschaft wächst um 5%, die Armut sinkt deutlich.
Abgestraft wurde Milei am Sonntag denn auch nicht für seine Wirtschaftspolitik, sondern für seinen ungeschickten Umgang mit den Korruptionsvorwürfen gegen sein engstes Umfeld zu angeblichen Bestechungsgeldern im Gesundheitswesen. Im Mittelpunkt steht dabei die Schwester von Javier Milei, Karina, seine engste Beraterin, Generalsekretärin des Präsidenten und Parteivorsitzende von „La Libertad Avanza“. Auch wenn die Sachlage unklar ist und immer die Unschuldsvermutung gilt, war die Reaktion des Präsidenten auf die Korruptionsvorwürfe bisher zu zögerlich und zu vage.
Milei ist 2023 angetreten mit dem Anspruch, die „Kaste“ und die unter den Peronisten weitverbreitete Korruption im Land zu bekämpfen. Daher geht es bei den aktuellen Vorwürfen auch um seine eigene Glaubwürdigkeit. Bereits bei der „Libra-Affäre“ im Februar, als er für einige Stunden auf X missverständliche Empfehlungen für eine Kryptowährung gab und hinterher wieder löschte, gab er alles andere als eine gute Figur ab, ebenso wenig wie seine Schwester, was in Argentinien ebenso wie in den USA bis heute andauernde Untersuchungen ausgelöst hat.
Milei kündigt Aufarbeitung an
Die herbe Niederlage vom letzten Sonntag könnte für Milei ein Denkzettel zur richtigen Zeit gewesen sein, alle Vorwürfe nun mit Entschiedenheit auszuräumen. In seiner kurzen, aber für seine Verhältnisse nachdenklichen Rede am Wahlabend kündigte er denn auch an, aus dem Wahlergebnis zu lernen und Fehler aufzuarbeiten. Es bleibt zu hoffen, dass dem nun auch schnell Taten folgen, gerade auch im Hinblick auf die so wichtigen Kongresswahlen im Oktober.
Argentinien befindet sich dank Milei wirtschaftspolitisch auf dem richtigen Weg, auch wenn die Arbeit weitergeht und es noch viel zu tun gibt. Hierfür braucht es einen Präsidenten, der seine volle Energie und Zeit auf die Fortsetzung des Reformkurses, die Überzeugungsarbeit bei der Bevölkerung und ein konstruktives Zusammenspiel mit den Provinzen für die erfolgreiche Anwerbung ausländischer Investitionen verwendet und nicht durch eigene Krisen abgelenkt ist. Ein lascher Umgang mit Korruptionsvorwürfen unterminiert seine Glaubwürdigkeit in einem zentralen Politikbereich enorm, deshalb ist es notwendig, dass er hier transparent und konsequent reagiert, im Zweifel auch gegen das eigene Umfeld. Dann kehrt auch das Vertrauen des internationalen Kapitals, das bekanntlich ein scheues Reh ist, so schnell wieder zurück, wie es sich in den letzten Wochen von Argentinien abgewandt hat.
Die Argentinier, die endlich nach Jahrzehnten ein Gefühl der Hoffnung auf eine bessere Zukunft bekommen haben, haben es verdient.