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Eine Kolumne von Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué

Allensbach-Umfrage
Reformbereit oder reformscheu?

Neueste Umfragen geben keine klare Antwort, aber einen Auftrag an die Politik. Die reformwilligen Liberalen sollten aufmerken.
Demonstranten mit Plakat Rettet den 8-Stunden-Tag

Demonstrant mit Plakat "Rettet den 8-Stunden-Tag".

© picture alliance / IPON | Stefan Boness

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichte in dieser Woche der Meinungsforscher Thomas Petersen eine aktuelle Umfrage zur grundsätzlichen Einstellung der Deutschen zu Reformen des Sozialstaats. Die zentralen Ergebnisse sind von größtem politischen Interesse. Sie zeigen zum einen, dass viele Deutsche irgendwie das Gefühl haben, dass soziale Leistungseinschränkungen des Staates kommen werden und wohl auch kommen müssen. Die klare Mehrheit rechnet jedenfalls mit einer Anhebung des Renteneintrittsalters (84 %), staatlichen Leistungseinschränkungen (57 %) und sogar längeren Wochenarbeitszeiten (50 %). Aber nur eine Minderheit – bei den genannten Änderungen 23 bzw. 33 Prozent – findet diese akzeptabel.

Zu diesem Ergebnis liefert Thomas Petersen eine kluge politische Deutung. Er schreibt wörtlich:

Wer den Mut aufbringt, das Offensichtliche klar auszusprechen, muss mit heftigem Widerstand rechnen. Er kann allerdings auch gewiss sein, dass die meisten Bürger die Argumentation nachvollziehen. Dieses insgeheime Verständnis wiederum bietet die Chance, am Ende vielleicht doch durchzudringen. Es wird viel Mut und Ausdauer verlangen, aber es erscheint nicht aussichtslos, der Bevölkerung zu verdeutlichen, dass Wegschauen auf Dauer nicht hilft.

Thomas Petersen, FAZ vom 21. August 2025, S. 8

Das stimmt. Aber wer kann in Deutschland derzeit politisch diesen Mut aufbringen, und zwar mit innerer Überzeugung? Offenbar nicht die Regierung der sogenannten Großen Koalition aus Unionsparteien und Sozialdemokraten unter Friedrich Merz, denn die SPD als Ganzes und beachtliche Teile von CDU und CSU verweigern sich den Reformen, vor allem um ihre große ältere Wählerschaft nicht zu verprellen – und die ist, wie die Ergebnisse des Allensbach-Instituts zeigen, besonders reformscheu. Auch von der parlamentarischen Opposition von links – Grüne und Die Linke – ist aus ideologischen Gründen kein Reformdruck zu erwarten, da beide Parteien eher für mehr als für weniger Sozialstaat stehen. Dies gilt auch für Anhänger der rechtspopulistischen AfD-Opposition, die sich laut der Allensbach-Umfrage sogar mit am stärksten gegen mehr und längere Arbeit wehren.

Es bleibt für diese schwierige politische Aufgabe eigentlich nur die FDP, selbst wenn sie derzeit nur in der außerparlamentarischen Opposition agieren kann. Dies erfordert allerdings Mut zu Positionen, die zumindest derzeit auf wenig Gegenliebe in der Öffentlichkeit stoßen. Aber die Liberalen sind nun mal traditionell jene Partei, die dem Versorgungsstaat, der sich aus hohen Steuern und hoher Verschuldung finanziert, am kritischsten gegenübersteht – und dafür in einer Minderheit der Bevölkerung Unterstützung suchen muss und finden kann. Diese Minderheit ist eher jünger, steht eher noch mitten im Berufsleben oder findet sich unter jenen durchaus zahlreichen Rentnern wieder, die sich selbst keineswegs als „Ruheständler“ definieren, sondern noch vielfältigen Aufgaben auch im Ehrenamt nachgehen. Es sind vor allem jene Menschen, die jenseits ihres persönlichen Umfelds ein Gefühl der bürgerlichen Verantwortung spüren und diese nicht auf den anonymen Staat abschieben. Davon gibt es in allen Altersgruppen genug.

Übrigens hat dafür schon ein großer Liberaler das Leitmotiv geliefert, der frühere FDP-Parteivorsitzende Walter Scheel, als er sagte:

Es kann nicht die Aufgabe eines Politikers sein, die öffentliche Meinung abzuklopfen und dann das Populäre zu tun. Aufgabe des Politikers ist es, das Richtige zu tun und es populär zu machen.

Scheel
Walter Scheel

Er handelte danach. Und er war seinerzeit damit erfolgreich.