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Atomwaffensperrvertrag
Abrüstungsgespräche: „Destabilisierung verhindern und wertvolle Zeit gewinnen"

Drei Fragen an Marie-Agnes Strack-Zimmermann MdB und Michael Link MdB zum atomaren Abrüstungsvertrag New Start
Gespräche in Wien
Marshall Billingslea, Sonderbeauftragter der US-Regierung für Abrüstungsfragen, Peter Launsky-Tieffenthal, Generalsekretär im Außenministerium und Sergej Rjabkow, Vize-Außenminister von Russland bei Gesprächen in Wien © picture alliance

In dieser Woche finden in Wien Gespräche über eine neue Vereinbarung zur atomaren Abrüstung zwischen den USA und Russland statt. Im Mittelpunkt stand der New-START-Vertrag (Strategic Arms Reduction Treaty), ein Vertrag zwischen den beiden Staaten aus dem Jahre 2011 zur Begrenzung strategischer Kernwaffen. Dieser Vertrag läuft im Februar 2021 aus, könnte aber um fünf Jahre verlängert werden.

Wie bewerten Sie den Ausgang der Wiener Gespräche und welche Bedeutung hat die Verlängerung des New-START-Vertrages über 2021 hinaus für die globale Rüstungskontolle?

Michael Link MdB: Sollten sich Moskau und Washington nicht auf eine Verlängerung einigen können, läuft auch das letzte bilaterale Rüstungskontrollabkommen zwischen den USA und Russland aus. Es wäre ein fatales Signal an andere Staaten, dass sich die beiden ehemaligen Supermächte des Kalten Krieges nicht länger zur nuklearen Abrüstung verpflichtet sehen. Deutschland und die NATO-Partner sollten sich mit Nachdruck gegenüber Washington und Moskau für den Erhalt von New START einsetzen, damit aus der Krise der Rüstungskontrolle nicht die Dynamik für ein neues nukleares Wettrüsten entsteht. Mit einer Vertragsverlängerung um fünf weitere Jahre könnte ein wichtiges Zeichen gesetzt und wertvolle Zeit gewonnen werden, um über die drängendsten strategischen Themen zur Zukunft der Rüstungskontrolle zu verhandeln.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann MdB: Sollten sich Moskau und Washington nicht auf eine Verlängerung einigen können, wäre zum ersten Mal seit 1972 kein Rüstungskontrollabkommen mehr in Kraft. Damit entstünde für die Weltgemeinschaft eine extrem gefährliche Situation denn das nukleare Wettrüsten kann dann unbegrenzt weitergehen. Mit einer Verlängerung des  New-START-Vertrages könnte diese Destabilisierung verhindert und wertvolle Zeit gewonnen werden, um über die drängendsten strategischen Themen zu verhandeln.

Welches sind aus Ihrer Sicht die drängendsten strategischen Themen?

Michael Link MdB: Auch wenn Washington und Moskau weiterhin 90% aller weltweiten Atomwaffen besitzen, ist die Bipolarität des Kalten Krieges inzwischen von einer nuklearen Multipolarität im internationalen System abgelöst worden. Diese Entwicklung lässt die Abrüstungs - und Rüstungskontrollabkommen des 20. Jahrhunderts erodieren, weil sich insbesondere die Sicherheitsinteressen der Atomwaffenstaaten USA und Russland wandeln. Auch führen technische Entwicklungen, beispielsweise im Bereich von Hyperschallraketen, zu einer zunehmenden Verknüpfung von Atomwaffen mit neuen nicht-nuklearen militärischen Entwicklungen. Es braucht deshalb neben dem Erhalt bestehender Abkommen auch neue Antworten, wenn es darum geht, Abrüstung und Rüstungskontrolle auch in Zukunft als wirksame Instrumente für globale Sicherheit und Stabilität einzusetzen. Gleichzeitig führt der Rückzug der USA als Garant dessen, was wir so gerne als die liberale Weltordnung bezeichnen, dazu, dass es gerade einen Mangel an Leadership auf der Weltbühne gibt. Ich würde mir deshalb wünschen, dass Europa sich stärker als Impulsgeber für neue multilaterale Rüstungs- und Abrüstungskontrollabkommen versteht, beispielsweise für ein Verbot der nuklearen Bewaffnung von landgestützten Mittelstreckenraketen und Drohnen. So ein Abkommen könnte auch die Chance bieten, neben den USA und Russland auch China an den Verhandlungstisch zu holen.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann MdB: Es geht um eine ganze Reihe von Themen, bei denen die Verhandlungen seit Jahren blockiert sind. Von höchster Priorität gerade für uns Europäer ist ein Nachfolgeabkommen für den INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces) über ein Verbot landgestützter nuklearer Mittelstreckenwaffen. 

Auch die Inkraftsetzung des Atomteststoppvertrages hat sehr hohe Priorität. Der Vertrag ist bereits von 184 Staaten unterzeichnet und von 168 Staaten ratifiziert. Es fehlen aber noch acht der sog. „Annex-2“-Staaten, die dadurch die Inkraftsetzung des Vertrages blockieren.

Ferner wäre ein Vertrag über ein Produktionsverbot von spaltbarem Material für Kernwaffen (Fissile Material Cut-off Treaty) sehr wichtig, denn der Atomwaffen-sperrvertrag beinhaltet kein derartiges Verbot.

Die USA machen die Verlängerung des New-START-Vertrages von der - erstmaligen - Teilnahme der Volksrepublik China abhängig. China lehnt jedoch eine Teilnahme mit dem Hinweis ab, über 90 Prozent des Atomwaffenarsenals seinen im Besitz der USA und Russlands. Entsprechend hat Peking auch die Einladung zu den Wiener Gesprächen nicht angenommen. Wie schätzen Sie die Rolle Chinas ein?

Michael Link MdB: China ist nicht Vertragspartei von New Start. Eine Verlängerung des Abkommens um fünf Jahre sollte deshalb auch nicht von der Frage einer Teilnahme Pekings abhängig gemacht werden. Die NATO-Partner sollten hier sehr klar ihre Erwartung gegenüber der Trump-Administration deutlich machen, dass die Absage Chinas kein Anlass für einen frühzeitigen Abbruch der Verhandlungen mit Moskau sein kann, wie einige Experten befürchten. Denn leider haben die USA unter US-Präsident Trump vor allem auf Ausstieg anstatt auf Druck und Dialog gesetzt, wenn es um Fragen der Rüstungskontrolle mit Russland ging.

Unabhängig davon ist es richtig, dass China stärker in die internationale Abrüstungs- und Rüstungskontrollarchitektur eingebunden werden muss. Bislang beläuft sich Pekings Nukleararsenal auf geschätzt 320 Atomsprengköpfe, eine relativ geringe Zahl im Vergleich zu Washington und Moskau. Gleichzeitig rüstet die Volksrepublik aber ihr Militär auf allen Ebenen massiv auf und setzt gerade im indo-pazifischen Raum verstärkt geopolitische Interessen durch. Die US-Regierung vermutet, dass China sein Atomwaffenarsenal im Lauf der kommenden zehn Jahre verdoppeln könnte. Eine nukleare Aufrüstung in diesem Umfang würde auch Kernwaffenstaaten wie Indien und Pakistan in direkter chinesischer Nachbarschaft unter Druck setzen. Entsprechend ist es wichtig und notwendig mit Peking bereits jetzt über Rüstungskontrolle zu sprechen.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann MdB: Das globale Atomarsenal wird aktuell auf über 14.000 Atomsprengköpfe geschätzt. Chinas Nukleararsenal ist mit rund 300 Atomsprengköpfen im Vergleich dazu in der Tat zwar relativ gering. Auch hat China 1964 als einziger Atomwaffenstaat einseitig den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen erklärt und 1996 den umfassenden Atomteststoppvertrag (Comprehensive Test Ban Treaty, CTBT) unterzeichnet, jedoch bisher nicht ratifiziert. Deshalb gilt für mich: Jeder Staat, der Atomsprengköpfe besitzt, egal wie viele, gehört dringend mit an den Tisch. Das gilt auch und gerade für China. 

Insbesondere deshalb, da China die einzige Nation unter den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates ist, die genaue Informationen über ihr Atomwaffenarsenal streng geheim hält.

Die USA werfen jedoch China vor, Atomwaffenbestände zu modernisieren und rapide zu vergrößern. Die US-Regierung vermutet, dass China sein Atomwaffenarsenal im Lauf der kommenden zehn Jahre verdoppeln könnte.