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Klimapolitik
Europas Mondlandung könnte in einem Blindflug enden

von der Leyen
Auf dem EU-Gipfel in Brüssel haben die Staats- und Regierungschefs das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 festgelegt. Bis dahin müssen alle Treibhausgase vermieden oder gespeichert werden. Für Polen gilt eine Sonderregelung. © picture alliance / Photoshot

Europa soll bis 2050 klimaneutral werden: Noch ist von der Leyens „Green Deal“ nicht mehr als eine Vision. Warum soll eine gemeinsame Politik aller in Klimafragen gelingen, wenn es in der Flüchtlingsfrage nicht geht?

Europas Mondlandung soll er werden – der „Green Deal“, den die EU-Kommissionspräsidentin vor wenigen Tagen mit großer Geste der Öffentlichkeit präsentiert hat. Bis 2050 soll Europa ein klimaneutraler Kontinent werden. Ein großes Ziel, aber der Weg dahin ist steinig. Besonders der Widerstand aus den mittel- und osteuropäischen Mitgliedsländern könnte noch gewaltig zu schaffen machen.

Vor allem Polen hat damit schon begonnen. Seine Regierung lehnte die Zustimmung zunächst mit der Begründung ab, das Ziel sei für Polen zu ambitioniert. Die stolze östliche Nachbarnation Deutschlands hängt mehr als alle anderen von der weiteren Nutzung der Kohle ab. Das gibt ihr eine hervorragende Verhandlungsposition, um durch die Drohung mit einem Veto möglichst viel an Unterstützung beim Umstrukturieren der eigenen Energiepolitik zu erhalten. Und seine Visegrád-Partnerländer werden es sich natürlich nicht nehmen lassen, auch bei einem anderen nationalen Energiemix in das gleiche Horn zu stoßen.

All dies ist insofern politisch pikant, als Brüssel zumindest gegenüber Polen und Ungarn gegebenenfalls auch mit finanziellem Druck arbeiten muss, um die Verletzung der Rechtsstaatlichkeit in Polen sowie die Einschränkungen der Presse- und Wissenschaftsfreiheit in Ungarn nicht einfach wehrlos hinzunehmen. Es bahnt sich also ein Konflikt umwelt- und rechtspolitischer Ziele an, der in Brüssel politisches Geschick, aber auch Prinzipientreue erfordert. Ausgang offen!

Osteuropa setzt auf Kohle

Jedenfalls wurden Hilfsangebote der Europäischen Investitionsbank (EIB) zur Finanzierung der nötigen Infrastruktur in den Visegrád-Ländern bisher äußerst kühl zur Kenntnis genommen. Als die EIB im Herbst ihre Förderung umstellte – und zwar weg von fossilen Energieträgern, da hagelte es aus Mittel- und Osteuropa laute Kritik.

Die Idee, den Fördersatz zur Unterstützung von Klimaprojekten auf 50 Prozent zu erhöhen, wurde von dort brüsk abgelehnt. Vielleicht braucht es nun eine umfassende diplomatische Offensive, die in den betroffenen Ländern für die nötige Akzeptanz sorgt. Solange es daran auf breiter Front fehlt, könnte die Mondlandung sonst in einem Blindflug enden.

Dies wäre ein Desaster, denn eines ist klar: Der Schlüssel für eine erfolgreiche Klimapolitik liegt in einem gemeinsamen Vorgehen aller beteiligten Länder – am besten global, aber wenn dies auf absehbare Zeit unrealistisch ist, dann doch wenigstens für die gesamte EU. Der Weg dahin muss über den europäischen Emissionshandel erfolgen, umfassend angewendet in allen großen wirtschaftlichen Bereichen, die CO2 ausstoßen – von der Industrie über den Verkehr bis zur Wärme- und Landwirtschaft.

Viel politische Fantasie

Nur ein einheitlicher CO2-Preis zwischen Nationen und Sektoren kann dafür sorgen, dass an jenen Stellen des Verbrauchs der Ausstoß von Emissionen reduziert wird, wo es am wenigsten wirtschaftlichen Schaden anrichtet. Nur dadurch werden die Kosten der Vermeidung auf das unabweisbare Minimum gesenkt. Genau deshalb ist auch die Beteiligung gerade Polens so essenziell: Ohne den wichtigsten Nutzer der Kohle in der EU könnte es zu jenem massiven „carbon leakage“ nach Osten kommen, der für jeden Klimaschützer ein Albtraum ist.

Es lohnt sich also, alle politische Fantasie darauf zu lenken, wie den mittel- und osteuropäischen Ländern der Weg zur Klimaneutralität der EU erleichtert werden kann, ohne sie zu schulmeistern oder die eigenen Prinzipien aufzugeben. Dies gilt umso mehr, als es eines gemeinsamen robusten Regelwerks bedarf, um die beschlossenen Ziele auch vor Ort in die Praxis umzusetzen.

Das geht nur, wenn in den EU-Mitgliedsländern das nötige Vertrauen in die Brüsseler Bürokratie entsteht. Nur dann kann der „Green Deal“ zu einem Erfolg werden. Und nur dann kann er als Vorbild dienen, dem sich weitere Länder gerne anschließen. Es steht also viel auf dem Spiel. Eine Sprachlosigkeit zwischen West und Ost, wie sie in Europa im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 herrschte, kann sich die EU nicht noch ein zweites Mal leisten.

Lukas Köhler ist Bundestagsabgeordneter der FDP-Fraktion.

Professor Karl-Heinz Paqué ist Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Dieser Artikel erschien am 15.12.2019 in der Welt und ist online auch hier zu finden.