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USA
Angriff auf das Kapitol: Biden übernimmt ein zerrissenes Land

Electoral College
Vice President Mike Pence and Speaker of the House Nancy Pelosi, D-Calif., read the final certification of Electoral College votes. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | J. Scott Applewhite

Die Saga der nicht enden wollenden Präsidentschaftswahl erreichte gestern einen unrühmlichen Höhepunkt. Traditionell ist der Zertifizierungsprozess des US-Kongresses für das Wahlergebnis eine trockene und formale Angelegenheit. Doch in diesem Jahr wird dieser Tag als einer der turbulentesten Tage der Innenpolitik in die Geschichte der USA eingehen.

Am Morgen war nach zwei Stichwahlen im Bundesstaat Georgia klar, dass die Demokraten die Kontrolle über den US-Senat zurückgewinnen. Präsident Donald Trump, der bei dieser Wahl eine letzte Demütigung erlitt, forderte seine in Washington D. C. versammelten Anhänger auf, die Niederlage nicht zu akzeptieren. Nachdem er seine Anhänger ermutigt hatte, zum Kapitol zu marschieren, wo der Kongress tagte, um über die Bestätigung des Sieges von Biden abzustimmen, stürmten Massen von wütenden Trump-treuer Demonstranten das Parlament. Sie überrannten die Sicherheitskräfte, die mit einem derartigen Ansturm wohl nicht gerechnet hatten.

Damit erzwangen sie einen Stopp des Zertifizierungsprozesses und die Evakuierung von Vizepräsident Mike Pence und aller Mitglieder von Repräsentantenhaus und Senat. Erst nachdem die Situation eskalierte, rief Trump schließlich zur Ruhe auf. Nie zuvor in der modernen Geschichte Amerikas hat sich die friedliche Machtübergabe in eine physische Konfrontation innerhalb der Korridore des Kapitols in Washington entwickelt. Es ist schockierend, aber keine Überraschung, dass eine Präsidentschaft, die vier Jahre lang Feindseligkeit und Spaltungen geschürt hat, in einer Explosion von Wut und Gewalt endete.

In den anderthalb Stunden vor der Unterbrechung der Sitzung bemühten sich Trumps republikanische Verbündete, wie erwartet, Bidens Wahlsieg anzufechten. Mindestens vier republikanische Senatoren - Ted Cruz aus Texas, Josh Hawley aus Missouri, Kelly Loeffler aus Georgia und Tommy Tuberville aus Alabama – hatten sich den Mitgliedern des Repräsentantenhauses angeschlossen, um die Ergebnisse von drei umstrittenen Staaten anzufechten, die Biden klar gewann: Arizona, Georgia und Pennsylvania. Der Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, sprach sich hingegen energisch gegen den Vorstoß der Republikaner aus, die Wahl zu kippen. Auch Vizepräsident Mike Pence, der von Trump unter Druck gesetzt wurde, das Wahlergebnis einseitig zu annullieren, sagte vor der Sitzung, er würde die Verfassung, nicht Trump, verteidigen.

Obwohl ihre Bemühungen letztlich scheitern werden, können die beteiligten Republikaner dafür sorgen, dass sich das politische Theater viel länger als üblich hinzieht. Ihre Einwände haben das Potenzial, weitere scharfe Keile in die republikanische Partei zu treiben und damit ihrem Zusammenhalt nachhaltig zu schaden. Ihr Plan, eine typischerweise banale zeremonielle Übung zu kapern, könnte vor allem auch potenziell entscheidend für ihre politischen Chancen im Jahr 2024 sein.Und obwohl das Einspruchsverfahren das Wahlergebnis nicht verändern wird, erschüttert sie das Vertrauen vieler Amerikaner in der Demokratie und delegitimiert Bidens Präsidentschaft noch stärker in den Augen der mit Trump verbündeten Wähler.

Zur gleichen Zeit, als der Zertifizierungsprozess am östlichen Ende der National Mall im Gange war, zogen Pro-Trump-Demonstranten durch die Hauptstadt der Nation, um Bidens Sieg mit einer geplanten Machtdemonstration noch rückgängig zu machen. Während er weiterhin darum kämpft, die legitimen Wahlergebnisse zu kippen, hat Trump selbst wiederholt für die Proteste geworben und seine Anhänger ermutigt, nach Washington D. C. zu reisen.

Die Szene, die sich schon am Mittwochmorgen im Park direkt hinter dem Weißen Haus abspielte, war außergewöhnlich. Eine große Tribüne wurde errichtet, riesige Lautsprecher wurden an hohen Gerüsten befestigt, und Tausende von Stühlen wurden vor den Demonstrationen entfaltet, um den Sieg für einen Präsidenten zu verkünden, der im November deutlich verloren hat. "Wir werden niemals aufgeben. Wir werden den Wahlsieg niemals anerkennen. Das wird nicht passieren", sagte Trump am Mittwoch vor einer Versammlung begeisterter Fans. Dann, um 14:15 Uhr, während Repräsentantenhaus und Senat debattierten, wurde das Kapitol abgeriegelt, nachdem wütende pro-Trump Demonstranten an Barrikaden und Polizeikräften vorbeigestürmt sind. Es dauerte einige Zeit, bis alle Eindringlinge aus dem Gebäude entfernt waren und schließlich die gemeinsame Sitzung wieder aufgenommen werden konnte. Polizei aus den umliegenden Bundesstaaten und die Nationalgarde wurden aktiviert und halfen bei der Wiederherstellung der Sicherheit.

Präsident Trump gab eine kurze Erklärung ab, in der er seine ungerechtfertigten Angriffe auf das Wahlergebnis wiederholte, noch einmal betonte, dass ihm und seinen Anhängern ein deutlicher Sieg „gestohlen“ wurde, erklärte, dass er die Demonstranten „liebe“ forderte sie aber immerhin auf, nach Hause zu gehen. Zuvor hatte sein Nachfolger Joe Biden sich mit einer Botschaft der Einheit und der Grundwerte der amerikanischen Demokratie an alle Amerikaner gewandt, in der den Sturm auf das Zentrum dieser Demokratie scharf verurteilte und zudem betonte, dass die Herausforderungen der kommenden Zeit nur gemeinsam gemeistert werden können.

Der außergewöhnliche Tag in Washington legte tiefe Spaltungen sowohl zwischen den beiden Parteien als auch innerhalb der republikanischen Partei offen. Die gewaltsamen Zusammenstöße zwischen der Polizei und Pro-Trump-Demonstranten unterstreichen eine düstere Realität für Biden: Er wird nicht nur ein Land erben, das von einer Pandemie und einer Wirtschaftskrise heimgesucht wird, sondern auch ein politisches Gefüge, das von Trump in den letzten vier Jahren auf beispiellose Weise zerrissen und gespalten wurde.

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