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Türkei
Historische Hypothek – Die türkisch-griechischen Verhandlungen und der Schatten der Vergangenheit

Barbaros Forschungsschiff
Das seismische Untersuchungsschiff 'Barbaros' sorgte im vergangenen Herbst beinahe zu einer Eskalation des Konfliktes zwischen Griechenland und der Türkei. © picture alliance / AA | Turkish Defence Ministry / Handout

Die Beziehungen zwischen Ankara und der Europäischen Union sind 2020 auf einen Tiefpunkt gefallen. Das soll sich jetzt ändern: Zum Jahresauftakt ist Bewegung in das lädierte Verhältnis gekommen. In diesen Tagen findet eine lebhafte Reisediplomatie statt. Den Auftakt machte Außenminister Heiko Maas mit seinem Besuch in Ankara.

Die deutsche Vorreiterrolle ist angesichts der Bedeutung Berlins im türkisch-europäischen Beziehungsgeflecht kein Zufall. In Ankara lobte Maas den „konstruktiven Kurs“ der Türkei und kam ohne Umschweife auf das Kernthema: Dies sind die türkisch-griechischen Beziehungen, die längst zu einem Spaltpilz im Verhältnis zwischen Ankara und der EU mutiert sind. „Wir begrüßen, dass die Türkei seit Jahresbeginn Signale der Entspannung gesetzt hat.“ Die Ankündigung, dass Athen und Ankara ihre seit 2016 unterbrochenen Sondierungsgespräche wiederaufnehmen wollen, kommentierte der Minister besonders wohlwollend.

Maas weiß wovon er spricht; als EU-Ratspräsident musste er zuletzt mehr als einmal zwischen den Streitparteien schlichten: „Das Spiel mit dem Feuer darf sich nicht wiederholen“, sagte der Minister jetzt.

Die amtliche türkische Rhetorik zum Thema Europa ist derzeit außergewöhnlich wohlwollend: „Wir sehen unsere Zukunft in Europa und wollen diese in Zusammenarbeit mit der EU bauen“, sagt Präsident Recep Tayyib Erdogan. Ob die demonstrativ Europa-freundliche Sprachregelung einen außenpolitischen Sinneswandel signalisiert oder eher einer politischen PR-Kampagne entspringt, wird die Zukunft zeigen. Der deutsche Minister gibt sich beeindruckt und lobt die vorzeitige Beendigung der seismischen Erkundungen vor Zypern durch den Abzug des Forschungsschiffes „Barbaros“ als ein „ein positives Zeichen aus Ankara“.

Viele Kritiker trauen Erdogan nicht über den Weg. Das hat er in hohem Maße sich selbst zuzuschreiben. Zeitgleich mit den politischen Schalmeienklängen in Richtung Brüssel, ertönen aus Ankara aggressive Wortsalven, die in eine andere Richtung weisen: So warf Erdogan der EU „strategische Blindheit“ vor und beklagte einen „imperialistischen Expansionismus“, der die Türkei bedrohe. In der Türkei kommen die markigen Worte gegen den „Erz –und Erbfeind“ Griechenland in Teilen der Bevölkerung gut an. Die giftige Rhetorik hat eine innenpolitische Dimension. Aber: Die Wirkung feindseliger Politikerreden auf die Beziehungen ist in jedem Fall negativ. Sie nähren und verfestigen die tiefsitzenden Feindbilder. Und diese stehen einer auf Kompromiss abzielenden Politik im Wege.

 Wenn die türkischen und griechischen Unterhändler am 25. Januar in Istanbul zu ihrem ersten Sondierungsgespräch zusammenkommen, werden diese Wahrnehmungen zumindest im Unterbewusstsein eine Rolle spielen. Vordergründig geht es um handfeste Interessengegensätze. Eine Annäherung, von einer Lösung ganz zu schweigen, wird dadurch erschwert, dass Athen und Ankara nicht nur in substantiellen Fragen über Kreuz liegen. Auch in Verfahrensfragen trennen die Antagonisten Welten. Das beginnt bei der Tagesordnung: Ginge es nach Griechenland, wäre die Abgrenzung des Festlandsockels und der Exklusiven Wirtschaftszonen (EEZ) das alleinige Thema. Ankara besteht auf einer wesentlich längeren Agenda. Dazu zählen die Seegrenzen, die Hoheitsrechte im Luftraum über der Ägäis, die griechische Militärpräsenz auf den dem anatolischen Festland vorgelagerten Inseln und schließlich der Status einer Reihe von unbewohnten Felsen.

Damit nicht genug: der türkisch-griechische Konflikt reicht weit über die Streitpunkte in der Ägäis hinaus. Ein Ausgleich zwischen den Nationen ist ohne eine Beilegung des Zypern-Konfliktes und der Meinungsunterschiede in Bezug auf die jeweiligen Minderheiten in den Nachbarländern kaum denkbar. Von einer derartigen „Paketlösung“ sind Athen und Ankara Lichtjahre entfernt. Es käme schon einer politischen Sensation gleich, wenn die Unterhändler in der Beilegung der maritimen Hoheitsrechte vorankommen.

Athen drängt darauf, zur Lösung der Differenzen den Internationalen Gerichtshof in Den Haag anzurufen. Diese Variante setzt die Zustimmung der Türkei voraus, die eingedenk ihrer vergleichsweise schwachen völkerrechtlichen Ausgangslage einen neutralen Richterspruch scheut.

Hinter vorgehaltener Hand ist zu hören, dass es der feindseligen Rhetorik zum Trotz über die Jahre durchaus zu bedeutsamen Annäherungen gekommen sei. So schreibt der gut unterrichtete Mustafa Aydin von der Istanbuler Kadir Has Universität: „Wir wissen, dass es bei beiden Seiten Bewegung von den jeweiligen Anfangspositionen gegeben hat und dass die Kluft erheblich kleiner geworden ist.“ Es sei bekannt, dass die Unterhändler in allen wesentlichen Fragen Übereinkommen gefunden hätten. Was fehle – so der türkische Politologe – sei der politische Wille der Entscheidungsträger, einer Kompromisslösung den Segen zu geben, die von den maximalistischen Ausgangspositionen abweicht.

Es gibt heute keine Anzeichen, dass sich an diesem Grundproblem etwas geändert hat.