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Freiheit +90
Interview mit Deniz Per: Wie türkisch-deutsches Unternehmertum Deutschland stärkt

Deniz Per

Deniz Per

Im Rahmen unseres Projekts „Freiheit +90“, das vom FNF Büro in Istanbul ins Leben gerufen wurde, führen wir Interviews mit in Deutschland lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln. Ziel ist es, ihre persönlichen und inspirierenden Erfahrungen sowie ihre Perspektiven zu den Themen Identität, Zugehörigkeit, Migration und Liberalismus kennenzulernen und mit Ihnen als Leserinnen und Lesern zu teilen. Mit dieser zweiwöchentlich erscheinenden Interview-Reihe möchten wir einen tieferen Einblick in die multikulturelle Gesellschaft Deutschlands und individuelle Lebensgeschichten ermöglichen. Diese Woche erzählt uns der türkeistämmige Unternehmer Deniz Per von seinem Werdegang, seinen Wahrnehmungen und Erfahrungen.

 

Deutsch-türkisches Unternehmertum stärkt Deutschlands Wirtschaft – doch Bürokratie, Vorurteile und Fachkräftemangel bremsen. Deniz Per zeigt, wie Resilienz, Netzwerke und der German Dream Aufstieg möglich machen. Er erklärt, warum die Verbindung deutscher Struktur und türkischer Dynamik ein Wettbewerbsvorteil ist.

Könnten Sie uns bitte von Ihrem beruflichen Werdegang in Deutschland erzählen und wie sich Ihr Beruf auf Ihr Leben in Deutschland ausgewirkt hat?

Deniz Per: Nach dem Abitur an einem deutsch-französischen Gymnasium in Stuttgart arbeitete ich ein halbes Jahr auf dem Bau, um ein finanzielles Polster für ein Studium in England aufzubauen. Nach einem Semester dort entschied ich mich bewusst, meine berufliche Laufbahn in Deutschland zu beginnen – aus Überzeugung und im Glauben an meine Zukunft hier. So setzte ich mein Studium der Internationalen Wirtschaft an der WHU fort und stieg anschließend bei einem Stuttgarter Sportwagenhersteller im Strategischen Einkauf ein.

Diese Zeit verstand ich als Ausbildungsphase – geprägt von fachlichem Lernen, persönlicher Reife und wachsendem Bewusstsein für meine Rolle zwischen Deutschland und der Türkei. Im Beruf übernahm ich etwa Vermittlerrollen zwischen deutschen und türkischen Zulieferern, optimierte Lieferketten und stärkte so das bilaterale Handelsvolumen.

2020 gründete ich per invest, ein Unternehmen zur Beratung internationaler Investoren bei Kapitalanlagen in Deutschland. Heute steuert unser Team mit rund 15 Mitarbeitenden an den Standorten Stuttgart und Istanbul Vermögensgesellschaften, Bauprojekte und Immobilienportfolios. Als eines der wenigen Unternehmen mit diesem bilateralen Fokus prägen unsere Arbeit und Verantwortung meinen Alltag – beruflich wie gesellschaftlich.

Welchen Beitrag leisten türkisch-deutsche Unternehmer und Unternehmen zur deutschen Wirtschaft?

Türkisch-deutsche Unternehmer und Unternehmen sind ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Wirtschaft. Über 100.000 Unternehmen mit mehr als einer halben Millionen Beschäftigten tragen erheblich zur Funktion systemrelevanter Bereiche, zur wettbewerbsfähigkeitsstärkender Kapazität im Arbeitsmarkt oder zur wirtschaftlicher Vielfalt als Innovationstreiber bei. Viele von ihnen sind in Schlüsselbranchen wie Handel, Gastronomie, Bauwesen, Industrie, Transportwesen sowie zunehmend auch in Technologie und Startups aktiv und einige von Ihnen sind weltweit bekannt durch ihre Pionierarbeit im Bereich der Impfstoffe oder Videospiele.

Neben der wirtschaftlichen Bedeutung im Inneren stärken sie natürlich auch die deutsch-türkischen Handelsbeziehungen, fördern den internationalen Austausch von Waren, Dienstleistungen, Trends und Innovationen und bilden oft direkte Brückenfunktionen zwischen Deutschland und der Türkei in dieser Hinsicht. Letzteren Nutzen übersieht die Politik leider meist als beste, natürliche Katalysatoren, die selbst im Rahmen institutioneller Bemühungen zur Förderung dieses Austauschs zu wenig Aufmerksamkeit und Ressourcen bekommen, oder einfach nur populistischen Verstimmungen zum Opfer fallen.

Was sind die größten Herausforderungen oder Chancen für türkisch-deutsche Unternehmer und Unternehmen?

Die größten Herausforderungen, vor denen türkisch-deutsche Unternehmen stehen, ähneln jenen aller Firmen: überbordende Prozesskultur, langsame Digitalisierung, Bürokratie und Überregulierung bremsen Innovations- und Entscheidungsfähigkeit – ein schleichendes, aber ernstes Risiko für den Wirtschaftsstandort Deutschland. In dieser Hinsicht sitzen wir alle im selben Boot.

Deutsch-türkische Unternehmer sind jedoch zusätzlich mit strukturellen Nachteilen und Vorurteilen konfrontiert. Aus eigener Erfahrung im Kontakt mit Behörden und Banken weiß ich, wie oft allein ein Name Hürden erzeugt. Einem Kollegen wurde etwa ein Darlehen verweigert – mit der absurden Begründung, er könne in die Türkei „flüchten“. Dabei steckt in jedem Unternehmen nicht nur Kapital, sondern auch Engagement, Netzwerke und Identität.

Hinzu kommen Fachkräftemangel, demografischer Wandel und ein internationaler Reputationsverlust Deutschlands, bedingt durch Reformstau, Kostenbelastung, Steuerlast und wachsenden Populismus. Gerade internationale Investoren empfinden das Zusammenspiel aus Überregulierung und institutioneller Skepsis zunehmend als Signal des „Nichtwillkommenseins“ – fatal für eine Außenhandelsnation.

In diesem Kontext wird eine Fähigkeit zentral: Resilienz. Viele türkisch-deutsche Unternehmer haben sich trotz Hürden von Grund auf Strukturen und Netzwerke aufgebaut – ein Beweis für genau diese Krisenstärke, die heute mehr denn je gebraucht wird.

Neben der menschlichen, sprachlichen und kulturellen Brückenfunktion sehe ich in der Verbindung beider unternehmerischer Mentalitäten ein riesiges Potenzial: Die Strukturiertheit, Qualitätsorientierung und Nachhaltigkeit deutscher Betriebe kombiniert mit der Dynamik, Flexibilität, Kreativität und Robustheit türkischer Unternehmen kann einen echten Wettbewerbsvorteil schaffen – eine einmalige Mischung aus Tugenden, die Zukunft gestaltet.

Welche Maßnahmen würden Ihrer Meinung nach dazu beitragen, das Unternehmertum zu fördern?

Am Beispiel der strukturellen Benachteiligung zeigt sich: Ein erster wichtiger Schritt ist oft schon mehr Empathie, Verständnis und Wille zum Miteinander. Entscheidend ist die Haltung. Wer die Rolle Deutsch-Türkischer Unternehmer nachhaltig stärken will, muss Netzwerke gezielt fördern, neue Strukturen aufbauen, Finanzierungszugänge erleichtern und bürokratische Hürden abbauen.

Gerade Organisationen wie die Außenhandelskammer, die Türkisch-Deutschen Industrie- und Handelskammern sowie branchenspezifische Unternehmerverbände tragen hier eine große Verantwortung. Es braucht mehr Aktivitäten von innen und finanzielle sowie technische Unterstützung von außen, um Aufmerksamkeit, Ressourcen und Qualität für die Anliegen dieser Unternehmer bereitzustellen.

Die Deutsch-Türkische Unternehmergemeinschaft muss sichtbarer, kompetenter und einflussreicher werden – dafür sind alle Stakeholder gefordert. Wichtig ist: All das sollte innerhalb des gesamtdeutschen oder gesamttürkischen Ökosystems geschehen, nicht als Parallelstruktur. Nur so entsteht ein ganzheitliches Bewusstsein für die Bedeutung dieses Unternehmertums – und der notwendige gesellschaftliche und politische Input kann aufgebaut werden.

Was sind die größten Herausforderungen und Chancen für die türkische Diaspora im Hinblick auf die Integration?

Ich versuche, solche Themen rational und emotionsfrei zu betrachten. Beim Stichwort Integration von Menschen mit deutsch-türkischem Hintergrund dominieren jedoch oft Emotionen und Vorurteile statt Fakten.

In Wahrheit funktioniert Integration an der Basis – in Wirtschaft, Arbeitswelt, Zivilgesellschaft und Ehrenamt – seit Jahrzehnten bemerkenswert gut, auch wenn Politik und Medien selten genau hinschauen. Außenpolitische Spannungen oder ein vermeintlicher Kulturkampf dürfen diesen Erfolg nicht überschatten. Das Schwierigste ist geschafft – nun muss die Integration auch politisch vorangebracht werden. Deutsch-Türken sollen sich frei und selbstbestimmt politisch beteiligen oder vertreten fühlen – ohne Einfluss von Demagogen.

Mit all ihren Erfahrungen – positiven wie negativen – ist die deutsch-türkische Community ein Rollenmodell für künftige Integrationsprozesse. In Anbetracht der Herausforderungen ist das eine wertvolle Chance, die wir nutzen sollten.

Wenn Sie eine Initiative oder Idee zur Stärkung der Beziehungen zwischen türkisch-deutschen Bürgern und der deutschen Gesellschaft insgesamt vorschlagen würden, welche wäre das und warum?

In meinen Augen wären Initiativen zielführend, die die Position von türkisch-deutschen Bürgern in der Mitte der deutschen Gesellschaft und die noch wichtigere Rolle für die Zukunft des Landes bekräftigen. Als jemand, der an das Leistungsprinzip glaubt, denke ich, dass die türkisch-deutsche Gemeinschaft mit ihrem sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg und ihrer wachsenden Verantwortung diesem Anspruch auch gerecht wird.

Solche Initiativen stärken den innergesellschaftlichen Dialog und verstehen Integration nicht als Einbahnstraße oder Bewährungsprobe, sondern als gegenseitigen Entwicklungsprozess und Commitment zu gegenseitiger Verantwortung – mit langfristigen Vorteilen für beide Seiten.

Aber auch konkrete, grassroot-Ansätze wie lokale Zukunftswerkstätten, deutsch-türkische Innovations-labs an Hochschulen und Instituten oder bilaterale Mentoring Programme können im Besonderen die türkisch-deutsche Community mit einbinden, während sie gleichzeitig die wichtigsten aktuellen Herausforderungen der deutschen Gesellschaft adressiert.

Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach türkisch-deutsche Bürger bei der Gestaltung der politischen Landschaft Deutschlands? Wie können sich politische Bewegungen/Parteien besser mit dieser Gemeinschaft vernetzen?

Die Werte wie Freiheit, Offenheit gegenüber anderen Kulturen, Gemeinschaftsdenken, Internationaler Handel und Unternehmertum sind seit Jahrhunderten stark verwurzelt in der türkischen Kultur und Geographie, die einst die ältesten Kultur- und Handelszentren der Menschheit hervorbrachte.

In Menschen, die diese Werte aus ihrer Kultur bereits mitnehmen, findet man die besten Mitstreiter für eine politische Gestaltung Deutschlands nach den Idealen von Einigkeit und Recht und Freiheit.

Eine andere wichtige Entwicklung, die man berücksichtigen muss, ist, dass Bürger mit türkischem Migrationshintergrund jetzt in die Mittelschicht aufgestiegen sind und weiter stark aufsteigen. Neben vielen prominenten Unternehmern, Wissenschaftlern, Künstlern, Sportlern fallen wohl auch Beispiele direkt aus dem eigenen Umfeld auf, die aber einen  größeren Trend repräsentieren. Wir sprechen bei der Mittelschicht über den Teil der Gesellschaft, die am aktivsten auf dem Arbeitsmarkt vertreten ist, den Mittelstand prägt und Deutschland mit seiner Unternehmenskultur einst zum Exportweltmeister und globalen Innovationstreiber machte. Sie ist in Zeiten politischer und ökonomischer Ungewissheiten am meisten unter Druck, aber auch am meisten gefordert. Wenn wir diesen Teil der Bevölkerung wieder zu Mut und Leistung begeistern und motivieren können, setzen wir genau diese Kräfte frei, die uns am ehesten aus Krisen und sogar wieder in das Zeitalter von Wachstum und Blüte manövrieren können.

Wie kann der politische Liberalismus türkischstämmige Menschen besser erreichen?

Die FDP sollte die Partei genau dieser Mittelschicht sein und eine politische Vision der Freiheit, Chancengleichheit und Meritokratie vermitteln. Dies sind keine neuen Ideale für die FDP, jedoch verpasst sie es in ihrer Kommunikationsstrategie, abseits von ihrem kleinen Stammwählerbereich, die Menschen zu erreichen, die eigentlich auch nach diesen Werten streben. Und genau hierzu gehört auch ein beachtlicher Teil türkischstämmiger Menschen:

Die ersten größeren Gruppen von Menschen aus der Türkei kamen zunächst überwiegend als Gastarbeiter in dieses Land und mussten hart für ihren Lohn, ihren gesellschaftlichen Platz und nicht zuletzt damit einhergehend ihre Freiheit arbeiten. Sie haben nichts geschenkt bekommen und mussten viele wichtige Angelegenheiten in eigener Verantwortung regeln.

Im Januar organisierte ich gemeinsam mit der Atlantik-Brücke einen Neujahrs-Lunch in Stuttgart, bei dem auch der ehemalige Bundesjustizminister Marco Buschmann Teil des Panels war. Dabei war ein Stichwort, welches gefallen war der sogenannte „German Dream,“ und wir nahmen es als Erfolg unserer Diskussionsrunde wahr, dass er das Motto „den German Dream in Deutschland wieder erlebbar zu machen“ auch zum Bestandteil seines Wahlkampfes machte. Der German Dream verbindet, wie kaum etwas die Vision vieler türkischstämmiger Menschen in Deutschland mit den Prinzipien der FDP.

Dazu braucht es auch Rollenbilder in der Partei, die dieses Bewusstsein verkörpern und glaubwürdig vermitteln können.

Wir werden unsere Beiträge auf Freiheit+90 regelmäßig mit neuen Geschichten und Interviews fortsetzen. Unser nächstes Interview werden wir sowohl über unsere Social-Media-Kanäle als auch über unsere Website ankündigen.