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Türkei
Griff zum Mond – Erdogans Weltraumpläne lösen sowohl Begeisterung als auch Hohn aus

Präsident Erdogan bei der Vorstellung der türkischen 'National Space Agency'
Präsident Erdogan bei der Vorstellung der türkischen 'National Space Agency' © picture alliance / AA | Ali Balikci

Eine aktuelle Diskussion in der Türkei dreht sich um die Frage, wie künftige Raumfahrende des Nationalen Raumfahrtprogramms am besten bezeichnet werden sollen. Gängige Begriffe wie „Astronaut“ oder „Kosmonaut“ sind für die national-islamische Regierung offenbar keine adäquate Option: Ein rein türkisches Wort muss her. Auslöser der Debatte in den regierungsnahen Medien ist die vollmundige Verkündung des türkischen Raumfahrtprogrammes durch Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Spätestens seit den Kontakten zwischen Erdogan und Tesla-Chef Elon Musk deutete sich an, dass Großes in der Luft liegt. Der amerikanische Multimilliardär hatte im Januar versprochen, sein Unternehmen werde der Türkei bei ihren Weltraum-Plänen zur Seite stehen. Damals war für die Öffentlichkeit nicht absehbar, wohin für Erdogan die ehrgeizige Reise gehen würde.

Der Präsident hat jetzt die Katze aus dem Sack gelassen und einen 10-Jahresplan für die türkische Raumfahrt vorgestellt. Zunächst gehe es dabei um die Entwicklung geeigneter Infrastruktur auf dem Boden, sodann die Entsendung von Satelliten. Zu dem ambitionierten Plan zählen zwei Landungen auf dem Mond. Die erste türkische Mondlandung soll 2023 stattfinden – und ein mächtiges Ausrufezeichen zum einhundertsten Jahrestag der Gründung der Republik setzen. Ziel des gesamten Unterfangens sei – so Erdogan – der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn und die Schärfung eines „Weltraumbewusstseins“ in der Bevölkerung.

Die regierungsnahe Presse begrüßt das Nationale Raumfahrtprogramm enthusiastisch. Eine wiederkehrende Behauptung lautet, die türkische Opposition und die Türkei-Gegner im Ausland würden dem Land den nahenden Erfolg nicht gönnen. In vielen Beiträgen schwingt Anerkennung für – und Stolz über – die technischen Fortschritte der vergangenen Jahre mit: „Wenn wir die Position unseres Landes auf dem Gebiet der unbemannten Luftfahrzeuge vor 20 Jahren mit heute vergleichen, können wir sagen, dass wir aus derselben Motivation heraus auch sehr hohe Erfolgschancen im Bereich der Raumfahrt haben“, schreibt Güntay Simsek bei der regierungsnahen Habertürk.

Die Türkei ist in den letzten Jahren in strategischen Schlüsselindustrien weit vorangekommen. Das gilt vor allem bei Produktionen mit militärischer Relevanz. So ist Ankara heute bei der Entwicklung und Produktion von Kampfdrohnen auch auf dem internationalen Waffenmarkt führend. Gleichwohl ist die Türkei technologisch weit davon entfernt unabhängig zu sein, für Spitzentechnologien greifen türkische Ingenieure gerne auf ausländische Expertise zurück.

Kritische Stimmen merken an, die Türkei habe im Moment ganz andere Sorgen, als nach den Sternen – bzw. dem Mond – zu greifen: Im Online-Portal T24 stellt der Journalist Mehmet Tezkan den Nutzen des Unterfangens infrage – ganz unabhängig von der Frage, ob die Pläne umsetzbar sind oder nicht: „Die Vereinigten Staaten und Russland haben aufgehört, zum Mond zu fliegen. Sie haben sich größere Ziele gesetzt. Was haben wir davon, wenn wir jetzt eine Milliarde Dollar ausgeben und ein unbemanntes Fahrzeug auf den Mond schicken? Garnichts.“

Ebenfalls kritisch merkt Emre Kongar in der Zeitung Cumhuriyet an, Erdogans Weltraumpläne seien Bestandteil eines Rückzugsgefechts des Präsidenten, der zum Ende seiner Karriere noch einmal mit großen, aber letztlich unhaltbaren Versprechungen auftrumpfen wolle. Der Kolumnist hält nichts von den Plänen – und wenig von Erdogan insgesamt:  Alle bisher von der AKP versprochenen „nationalen“ Projekte, ob Autos, Flugzeuge oder Kampfpanzer seien nicht zu Ende gebracht worden. Der Journalist zieht in dem Meinungsbeitrag einen breiten Bogen zu einem weiteren neuartigen Projekt des tatendurstigen Präsidenten: die Revision der türkischen Verfassung: „Die jüngsten Versprechen von der Reise zum Mond und der Verabschiedung einer neuen Verfassung, die wir nun im Rahmen des tragischen Zusammenbruchs der Regierung vernehmen, werden diesen Zusammenbruch nicht aufhalten. Vielmehr beschleunigen sie Erdogans Niedergang. Denn die Versprechen sind hohl“, so die Prognose Kongars.