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Türkei
Geschichtsträchtiges Atatürk Kulturzentrum wiedereröffnet

Das Atatürk-Kulturzentrum in Istanbul (Türkei), aufgenommen am 06.11.2017
picture alliance / Can Merey/dpa | Can Merey

Während im Umfeld deutscher Großprojekte wie des Berliner Flughafens oder der Elbphilarmonie oft über das Verschleudern von Steuergeldern diskutiert wird, geht es bei der Wiedereröffnung eines der wichtigsten Kulturbetriebe der Türkei um etwas ganz Anderes. Einmal mehr wird die Zerrissenheit des Landes deutlich und manifestiert sich direkt im Zentrum Istanbuls auf dem historischen Taksim-Platz. Dem Atatürk-Denkmal, gewidmet der Vision des Staatsgründers einer modernen, nach Westen gerichteten Türkei, und der erst im März dieses Jahres eingeweihten Taksim-Moschee, Symbol für Erdoğans Islam des 21. Jahrhunderts, gesellt sich nun das neue Atatürk Kulturzentrum (kurz: AKM) hinzu. Die Eröffnung erfolgte nach einer nur dreijährigen Bauphase. Opernhaus, Konzertsaal, Kino, Museum, Bibliothek, Galerie, Archiv und Cafés mit Blick auf den Bosporus – das alles verbirgt sich hinter der Glasfassade des monumentalen Gebäudes und der von außen sichtbaren riesigen roten Kugel im Zentrum, in der sich der große Opernsaal befindet.

Als Atatürk die Türkei modernisierte, spielte Architektur eine wichtige Rolle im Selbstverständnis der Republik zwischen Modernität und Monumentalität. Dies drückte sich auch in der Formensprache des alten AKM aus, welches 1969 als Kulturpalast von Architekt Hayati Tabanlıoğlu im Geiste der 1960er Jahre erschaffen wurde: nüchtern, aber mächtig, mit einer Aluminium-Fassade, für die so viel Material notwendig war, dass es aus dem Ausland importiert werden musste. Nach einem Brand 1970 wurde das Gebäude schließlich unter dem Namen Atatürk Kültür Merkezi eröffnet und bot den Besucherinnen und Besuchern fortan Aufführungen bis ins Jahr 2008 an. Bereits 2005 wurden Rufe laut, das Gebäude aufgrund seines maroden Zustands abzureißen, der sich bereits durch schlechten Geruch in den Gängen bemerkbar machte. Auch Erdoğan äußerte schon früh, das Gebäude solle durch ein „wahrhaft schönes Bauwerk“ ersetzt werden. Dagegen wehrte sich die Istanbuler Bürgerschaft jedoch vehement, verkörperte das AKM doch so viel mehr als nur ein Kulturzentrum, nämlich den Blick nach Westen, hin zu freiem Geist und Demokratie.

„Genau die Musik und Opern, die hier präsentiert wurden, entsprechen nicht der Einheitskultur, die die aktuelle Regierung unserer Gesellschaft aufdrücken möchte.“

Mücella Yıpıca

Schlagzeilen machte das AKM wieder 2013 während der Gezi-Proteste, die sich im und um den benachbarten Gezi-Park abspielten. Die Demonstrantinnen und Demonstranten besetzten das Gebäude und protestierten gegen den geplanten Abriss. Sie befürchteten, dem Kulturzentrum könne das gleiche Schicksal widerfahren, das sie für den Gezi-Park zu verhindern suchten: ein Ausverkauf der kulturellen und säkularen Orte der Stadt und deren Ersetzung durch Einkaufszentren. Auch die Istanbuler Architektenkammer protestierte. Die frühere Kammervorsitzende Mücella Yıpıca warnte: „Genau die Musik und Opern, die hier präsentiert wurden, entsprechen nicht der Einheitskultur, die die aktuelle Regierung unserer Gesellschaft aufdrücken möchte.“ Aber aller Protest war vergebens: 2017 erteilte Erdoğan den Auftrag zum Abriss.

Umso erstaunlicher ist es, dass Murat Tabanlıoğlu, der Sohn des AKM-Erbauers und ebenfalls Architekt, vom damaligen Kulturminister Nabi Avcı den Auftrag zur Planung des Neubaus erhielt. Tabanlıoğlu sagte unter zwei Bedingungen zu: Anstelle eines Neubaus komme nur eine Rekonstruktion des von seinem Vater entworfenen Bauwerks infrage; außerdem müsse der alte Name erhalten bleiben – und so sollte es geschehen.

Nun bleibt abzuwarten, ob auch kritischere Stimmen ihren Weg auf die Bühne in der großen roten Kugel finden werden. Trotz aller Bedenken wirkt das AKM auf dem Taksim-Platz jedoch wie ein Versuch der Versöhnung zwischen Alt und Neu. In jedem Fall können sich Besucherinnen und Besucher wieder an Musik und Kunst aus aller Welt erfreuen – in Gedenken an den Vater der Türkei.