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Türkisches Social-Media-Gesetz
Facebook knickt ein

Ankaras neue Social-Media-Gesetz zeigt Wirkung
Facebook Thumbs Down

In die Debatte um die staatliche Kontrolle privater Internetaktivitäten ist Bewegung gekommen. Die Regierung in Ankara hatte Facebook, YouTube und Twitter Ende vergangenen Jahres Geldstrafen in Millionenhöhe aufgebrummt, weil die Internet-Riesen entgegen den Auflagen des im Juli 2020 verabschiedeten Social-Media-Gesetzes keine Niederlassung in der Türkei eröffnet hatten. Die Sanktionen zeigten Wirkung: Im Januar hieß es bei Facebook, zu denen die auch in der Türkei populäre Plattformen Instagram und WhatsApp gehören, man werde eine juristische Person als lokalen Vertreter ernennen. YouTube und TikTok zogen nach. In einer Stellungnahme hebt Facebook die Bedeutung der freien Meinungsäußerung hervor. Der Konzern behalte sich vor, den Vertreter abzuziehen, sollte dieser unter Druck geraten.

Der anfängliche Widerstand der Social-Media-Riesen gegen die staatlichen Auflagen bröckelt zusehends. Neben den Streamingdiensten Netflix, Dailymotion und Amazon Prime Video haben nun auch LinkedIn, Spotify und das russische Facebook-Pendant VKontakte dem Druck nachgegeben und eine Niederlassung eröffnet.

Derweil widersetzt sich der Kurznachrichtendienst Twitter den Auflagen. Zusammen mit Pinterest und Periscope kassierte Twitter dafür ein dreimonatiges Werbeverbot in der Türkei. Sollte das Unternehmen den gesetzlichen Auflagen bis April nicht nachkommen, drohen zunächst eine Drosselung der Breitbandgeschwindigkeit von 50 Prozent, und ab Mai eine Drosselung von 95 Prozent, was den Nachrichtendienst quasi nicht mehr nutzbar machen würde. Die Regierung hat Twitter kürzlich ein weiteres Mal an den gesetzlich fixierten Eskalationsplan erinnert.

Erdogan ist Twitters Einfluss als Plattform für den unzensierten Informations- und Meinungsaustausch seit längerem ein Dorn im Auge; drei Viertel der türkischen Internetnutzer besitzen einen Twitter-Account. Die Animositäten zwischen Twitter und der Regierung haben sich verschärft, nachdem der Dienst Anfang Februar Tweets von Innenminister Süleyman Soylu mit dem Hinweis kennzeichnete, sie verstoßen gegen die Richtlinien des Unternehmens. In ähnlicher Weise beschloss Twitter, einen Tweet des MHP-Vorsitzenden Devlet Bahceli zu entfernen. Dieser hatte mit Hinweis auf die Studierendenproteste an der renommierten Bogazici-Universität getweetet, die Protestierenden seien „Terroristen“ und „Giftschlangen, deren Köpfe zerquetscht werden müssten“.

Eine interne Auswertung der Social-Media-Plattform ergab, dass die Türkei im ersten Halbjahr 2020 das Land mit den meisten Beschwerden gegen Twitter war. Mit 6513 Einzelbeschlüssen lag die Türkei auf Rang eins, was gerichtliche Beschlüsse bezüglich einzelner Tweets oder Accounts angeht. Die Kritiker fürchten eine weitere Zunahme der Beschwerden, sollte das Unternehmen eine Niederlassung in der Türkei aufmachen. „Sobald Twitter in der Türkei Fuß fasst, müssten sie ihre eigene Unternehmenspolitik in Bezug auf diese Beanstandungen aufgeben“, schreibt Yaman Akdeniz von der Bilgi Universität Istanbul und Gründer der Freedom of Expression Association.

Die Social-Media-Anbieter verpflichten sich mit der Eröffnung einer Niederlassung, binnen 48 Stunden auf Anfragen zu antworten, bei denen es z.B. um die Verletzung von Persönlichkeitsrechten oder Terrorismus-Vorwürfe geht. Wird ein Beitrag nicht fristgerecht entfernt, wird eine ausführliche Begründung fällig. Falls es zu einer Klage kommt, kann jeder Social-Media-Anbieter haftbar gemacht werden, falls der Beitrag nicht innerhalb 24 Stunden gelöscht wird. Das Gesetz schreibt auch vor, dass alle Nutzerdaten aus der Türkei zukünftig auch in der Türkei gespeichert werden – und, dass die Plattformen auf Anfrage der Regierung verpflichtet sind, diese auszuhändigen.

Die Leidtragenden des Gesetzes sind am Ende die Bürgerinnen und Bürger, vor allem all jene, die mit der Regierung über Kreuz liegen. Sie werden – davon ist auszugehen -  noch genauer darauf achten, welche Inhalte sie auf den Plattformen veröffentlichen. Damit wird die ohnehin verbreitete Selbstzensur weiter zunehmen. Eine der letzten Bastionen der Meinungsfreiheit in der Türkei könnte damit bald Geschichte sein.