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Rede zur Freiheit
Islamkonferenz: Mündigkeit ist die Grundlage gelungener Integration

Mevlana Moschee Kottbusser Tor
© picture alliance / picture alliance/Bildagentur-online | Bildagentur-online/Schoening

Bei der Islamkonferenz geht es heute um die Frage, wer in deutschen Moscheen in welcher Sprache predigen soll. Über die Rolle der Mündigkeit im Umgang mit dem Islam und die Frage, wie Integration gelingen kann, hat auch Ahmad Mansour in seiner „Rede zur Freiheit” gesprochen und forderte, die Debatte um das Zusammenspiel des Islam und der deutschen Kultur in der Mitte der Gesellschaft zu führen. Hier finden Sie die volle Rede:

Zunächst einmal danke ich Ihnen, lieber Herrn Paqué, herzlich für die  ermutigenden Worte! Und ich danke der Naumannstiftung für die große Ehre, diese Rede halten zu dürfen! Und vielen Dank an Sie alle, dass Sie in solchen Zeiten wie jetzt, die Zeit und die Motivation fanden heute Abend dabei sein.

Es geht Ihrer Stiftung um Freiheit – um unser höchstes Gut, und ich möchte mit ein paar Worten über eigene Erfahrungen mit Freiheit und Mündigkeit beginnen. 

Vor mehr als 15 Jahren landete ich mit einem El-Al-Flugzeug aus Tel Aviv als palästinensischer Israeli am Flughafen Tegel. Gut fünfzig Kilo Gepäck hatte ich dabei – und eine gigantische Menge Angst und Hoffnung, in Kilo mindestens genauso viel. Ich hatte Angst vor dem Ungewissen, dem Unbekannten, das auf mich zukam. Und ich hatte eine Menge Hoffnung: Hoffnung auf einen neuen Anfang, auf ein Leben in Freiheit, Hoffnung auf mehr Sicherheit, als in meinem zerrissenen Land, und Hoffnung auf eine Gesellschaft, die mir die Möglichkeit geben würde, Teil von ihr zu werden.

Die ersten Monate und Jahre waren schwierig, beinahe traumatisch. Alles war fremd, und fast wäre ich zurückgekehrt nach Israel. Deutsch zu lernen schien mir schlicht nicht möglich. Was für eine Grammatik! Was für lange, zusammengesetzte Wörter! Fremd waren die Umgangsformen der Gesellschaft, die Unbekümmertheit, mit der Männer und Frauen, Studenten und Studentinnen miteinander umgingen. 

14. Berliner Rede zur Freiheit mit Ahmad Mansour

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Die volle Rede

Damals habe ich mir nicht einmal erträumen können, dass ich dieses Land einmal wirklich mein Zuhause nennen würde! Unglaublich, aber wahr: Heute fühle ich mich hier verstanden, aufgenommen, willkommen und akzeptiert. Ich fühle mich mit meinem neuen Land emotional, politisch und sprachlich tief verbunden. Leute, die mir fremd waren, wurden zu meiner Familie, meinen Freunden, meinen Kolleginnen, Kollegen und Nachbarn. Und jetzt bin ich stolz auf meine frisch erworbene Staatsbürgerschaft – ich bin seit 2017 offiziell Teil dieses Landes mit seiner Demokratie, seiner Freiheit, seinen wunderschönen Landschaften, den Seen und Bergen.

Vor allem bin ich stolz auf all die vielen Tausenden von Menschen, die tagtäglich unser kostbares Grundgesetz achten und schützen. Ja, ich bin hier geblieben aus Liebe zu diesem Land, glücklich darüber, diese Gesellschaft mitgestalten zu können. Es heißt, dass Heimat da ist, wo man sich verstanden fühlt. Das ist für mich in Deutschland der Fall. Auch dieser Abend ist ein Beweis dafür, Sie und ich zusammen hier im Saal sind für mich ein weiterer Beweis dafür, dass ich hier ankommen durfte.

Ich wollte ankommen, und ich hatte verdammt viel Glück, wieder und wieder. Heute eröffnen sich mir alle paar Tage neue Möglichkeiten, Einladungen, Schulungen, Seminare, Trainings, Vorträge – meine aufklärende Arbeit gegen Fundamentalismus, meine therapeutische Arbeit mit ehemaligen Extremisten ist erfüllend. Oft sehe ich, wie sie Früchte trägt. In einem Wort: Ich bin voller Dankbarkeit, dass ich meine Chancen in Wirklichkeit übersetzen konnte. Wer mir jetzt „Assimilation“ vorwerfen will, dem sage ich ohne eine Sekunde zu zögern: Wenn Assimilation bedeutet, dass ich das demokratische Grundgesetz der Bundesrepublik im Alltag und in der Arbeit über jedwede Tradition, Religion oder Nationalismus stelle, dann bin ich gerne assimiliert. Dazu bekenne ich mich.  

Auch wenn heute viele Menschen mit Migrationshintergrund zu Recht von ihren Ängsten nach dem Terror erzählen, von Rassismus und Diskriminierung im Alltag erzählen, möchte ich deutlich betonen: Es gibt auch ein anderes, stärkeres Deutschland, das Menschen wie mich trotz Startschwierigkeiten aufnimmt und annimmt. Dieses vermittelt mir tagtäglich: Du gehörst dazu. Deutschland öffnet uns Zugewanderten unendlich viele Türen, unterstützt uns in unserer Entwicklung und verhilft, wenn wir es annehmen, zu Mündigkeit. Dieses Angebot ist für mich das schönste – denn Freiheit ist ohne Mündigkeit der Individuen nicht zu haben.

Und ich will anderen Menschen in dieser Gesellschaft gerne etwas zurückgeben. Ich will ein Gedankenpflanzer im Garten der Mündigkeit werden und Menschen aller Religionen, Herkunft und Hautfarben unterstützen in Deutschland emotional anzukommen und die Früchte der Mündigkeit zu probieren. Integration bedeutet vor allem, emotional anzukommen, bedeutet diese Gesellschaft als Chance für sich und seine Familie zu verstehen. Sie lohnt sich.

Doch Integrationsbereitschaft setzt voraus, dass Ängste überwunden werden, vor allem Ängste vor dem vermeintlichen Verlust von Identität. Die einen im Land haben Angst, ihr altes Deutschland zu verlieren, die anderen, die dazukamen, haben Angst, dass sich Ihre mitgebrachte Identität in Deutschland auflöst. Beide hemmen die notwendige Dynamik des Prozesses – sie fürchten Veränderung und Zukunft. Doch wir leben nicht in der Vergangenheit, sondern arbeiten jeden Tag an einem Stück Zukunft, und für diese Zukunft braucht das Land mündige Bürgerinnen und Bürger, Menschen, die die Demokratie als Schatz und Chance begreifen.

Warum kommen so viele Menschen hierher? Was wollen Sie eigentlich hier bei uns? Es ist klar: Sie kommen, weil sie Freiheit suchen, weil sie Sicherheit suchen, Wohlstand und Fortschritt – all das, was sie in  Afghanistan, Syrien, in Gaza, fast im gesamten Nahen Osten vermissen. Doch warum fehlt es dort? Die Antwort wird Sie nicht überraschen: Moderne, westliche Demokratien haben Rechtssicherheit und basieren auf einer Geschichte der Aufklärung, die permanent fortgeschrieben wird, Fortschritt und Veränderung erlaubt, will und fördert. Das Weltbild ist linear – auf einer Linie entwickelt sich die Gesellschaft weiter und weiter, und das wird begrüßt. Ein endgültiges Ziel gibt es nicht, sondern den Wunsch, Gesellschaft und Technik zunehmend besser, aufgeklärter, menschlicher zu gestalten.

Ein Weltbild ohne Aufklärung ist zyklisch, ein Kreis. Das zyklische Weltbild geht von der Idee aus, dass sich alles im Kreis dreht, dass alle Sitten, Traditionen, Gebräuche bleiben und immer wiederkehren, dass sich alles wiederholt, von Generation zu Generation, „wie es die Väter und Urväter gemacht haben“. Männer, Frauen, Kinder, Freunde, Feinde, Tabus und Gebote - alles hat feste Plätze im zyklischen Weltbild.

Darin ist kein Platz für Aufklärung, denn sie bedroht die Idee der Wiederkehr des Immergleichen, sie kann aus dem Kreis befreien, und eine Linie zeigen, Straßen, Pfade, Wege zu etwas Neuem und wieder etwas Neuem – zum Fortschritt, also Fortschreiten. Dass Fortschritt und Freiheit mündige Menschen brauchen, ist sonnenklar. Fortschritt und Freiheit werden nur erreicht, wo sich Menschen frei austauschen können, über ihre Pläne debattieren, streiten, nachdenken dürften, ohne dass ihnen Sanktionen drohen. Menschen müssen in der Lage sein, den Mund aufzumachen – daher das Wort Mündigkeit! Ich darf sprechen, meine Meinung sagen, Kritik äußern, neue Ideen in Diskussionen bringen – also bin ich mündig!

So entsteht, was ich beglückend als Freiheit und Mündigkeit erfahre: Individualität, Liberalität, Offenheit der Gesellschaft. Ich wünsche mir das Glück für alle Bürgerinnen und Bürger im Land – und ich bin überzeugt, dass es notwendig ist, damit Integration gelingt. Es ist dafür notwendig,  patriarchale und autoritäre Strukturen zu kritisieren, religiöse Praktiken und Ideologien zu hinterfragen. Das wird gebraucht, um die Säkularität durchzusetzen, die das Grundgesetz garantiert: Die Trennung von Religion und Staat. Wer hier im Land die Errungenschaften der Aufklärung genießen will, kann sie nicht nutzen, wie eine Speisekarte: Das eine nehme ich, das andere lasse ich. Es gibt keine Freiheit mit autoritären Strukturen in Familien. Es gibt keine Religionsfreiheit ohne Säkularität. Es gibt keine Sicherheit ohne Mündigkeit. Das gesamte Paket heißt Demokratie! Bei der Integration ist die Kernfrage: Wie werden aus Nicht-Demokraten leidenschaftliche Demokraten?

Wann ist jemand integriert? Woran ist das zu erkennen? Was muss dafür passieren? Die Fragen werden wie Ping-Pong-Bälle zwischen den Politikern und Politikerinnen hin und her geschossen, und werden die Gesellschaft nach für Jahrzehnte beschäftigen. Die aktuelle Debatte ist viel zu eindimensional – sie schaut an den Tatsachen vorbei, um die es  konkret und klar gehen muss, damit jeder, der neu ins Land kommt, von Tag eins an Deutschlands Demokratie positiv besetzen und achten lernt. Denn das geschieht nicht, und Chancen werden vertan. Den Raum der Kritik an verfehlter Integration haben im Moment überwiegend Rechtsradikale gepachtet. Sie schlagen politische Gewinne aus den Defiziten der Integration von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Arbeitsmigranten. 

Lassen Sie mich eins klarstellen: Migranten, Flüchtlinge und Muslime sind Opfer rechtsextremen Terrors geworden. Unter keinen Umständen darf man dies rechtfertigen, relativieren, tolerieren oder ohne Konsequenzen weitermachen. Die Ursachen für die Polarisierung und gewalttägige Entladung müssen ehrlich erforscht werden. Mit derselben Energie müssen jedoch auch die Herausforderungen, die in der Integration tagtäglich bewältigt werden müssen, die zur Entstehung und Verfestigung von Parallelgesellschaften geführt haben, betrachtet und gelöst werden. Demokratie stärkt man nicht mit einer eindimensionalen Betrachtung der Gefahren, sondern in der Gesamtheit seiner Erscheinungen.
 
Wer diesbezüglich nur das politisch Bequeme erwähnt und andere Extremisten ignoriert, wird diesen Kampf verlieren. Die Zukunft der Demokratie können nur Demokraten gestalten. Wer den Kampf gegen Hass anderen antidemokratischen Akteuren überlässt oder sie zum Partner macht, rettet die Demokratie nicht, sondern stärkt die Spaltung und schwächt das Land.
 
Für eine gesamte Betrachtung der Herausforderung unserer Gesellschaft, für die Entwicklung einer wirkungsvollen nationalen Strategie, muss der Blick nach rechts gehen, aber auch auf den eigenen Rassismus, auch innerhalb der migrantischen Community. Migrant zu sein schützt nicht davor selbst zu diskriminieren, andere abzuwerten oder rassistisch zu denken oder zu handeln. Opfer können zu Tätern werden, Täter zu Opfern. Das eine schließt das andere nicht aus und, dies möchte ich betonen, relativiert das jeweils andere nicht. Opfer zu sein ist keine Qualifikation, aber auch kein Hindernis, sondern ein Zustand, den wir verpflichtet sind ernst zu nehmen. Und das gelingt uns, indem für die Sicherheit aller Menschen in Deutschland sorgen, die Menschen mitnehmen und beteiligen.

Die Debatte muss sich die bürgerliche Mitte der Gesellschaft greifen. Es ist höchste Zeit, dass die großen Volksparteien das Thema Integration für sich beanspruchen - ohne irrationale Abwehr und irreführende Sentimentalität. Klares Handeln ist gefragt, pragmatisch, menschlich, demokratisch und ohne verkehrte Tabus. Integration muss ein offenes Thema werden, kein Minenfeld der politischen Sprengsätze und Ängste. Es geht um viel! Um den Erhalt der demokratischen Gesellschaft für die Zukunft.  

Es geht ja nicht nur um Flüchtlinge, sondern auch um Hunderttausende, die seit zwei oder drei Generationen in Deutschland leben, ohne angekommen zu sein. Wer dann noch Teile des Grundgesetzes ablehnt (oder gar nicht kennt!), der ist zwar physisch da, aber mental weit weg. Wer mitten in der Demokratie für Recep Tayyip Erdoğans Alleinherrschaft oder sogar für die Todesstrafe demonstriert, wer sich in antisemitischen und autoritativen Parallelgesellschaften bewegt, der oder die muss spätestens jetzt eine Chance auf Inklusion und Integration erhalten. Wer Frauen die Selbstbestimmung über ihr Leben verweigert, wer seine Religion über das Grundgesetz stellt, wer Menschen aufgrund ihrer Religion, Herkunft oder Hautfarbe in ihrer Würde verletzt, schließt sich selbst aus dem Wir aus, aus der Demokratie, aus der Gesellschaft - egal, ob mit und ohne  Migrationshintergrund.

Das ist die wichtige Wahrheit in einem Land, wo in Städten wie Hamburg oder Berlin fast die Hälfte aller Schulanfänger „nichtdeutscher Herkunft“ sind. Leute: Das sind Deutsche, oder sie werden Deutsche! Und allen im Land ist zu wünschen, dass auch für sie das D von Deutschland zugleich das D von Demokratie bedeutet! 

Unsere Gesellschaft wird weiterhin das Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft, Religion und Kultur bedeuten. Das verlangt jedem etwas ab. Die Hierhergekommenen müssen sich während des Prozesses quasi neu finden und erfinden, ebenso teilweise auch die Mehrheit, zu der sie stoßen. 

Im Moment wird an kurzfristigen Notmaßnahmen gebastelt, ein paar Projekte hier und da, Sonntagsreden und die Hoffnung, dass sich 2015 nicht wiederholt. Man glaubt immer noch Integration sei auf die Formel zu bringen: „Arbeit plus Sprache minus Kriminalität“. Das ist gut. Es ist ein Anfang. Aber die Substanz gehört dazu, und die heißt Demokratie. Um sie zu festigen, muss die Gesellschaft sich mit den Blockaden auseinandersetzen, den autoritären Strukturen, die aus Angst weiterbestehen, den Ängsten selbst. Viele entstehen aus purem Unwissen über die Möglichkeiten der freien Gesellschaft. Solche Ängste muss man empathisch erkennen, ernst nehmen und abbauen - über emotionale Brücken zu unserem höchsten Gut, der Freiheit. Ziel ist, dass Neuankömmlinge das Geschenk verstehen, das Teilhabe an Freiheit bedeutet.  Es muss klar werden, dass Integration nicht bedeutet, jede Tradition und Religion aufzugeben, sondern sie im Licht der Demokratie zu reflektieren, und wo nötig mit den geltenden Gesetzen in Einklang zu bringen.

Aus Leidenschaft für die Freiheit, aus Verantwortung für die Zukunft, aus der Lehre der Vergangenheit muss die Gesellschaft alles Erdenkliche tun, um Integration voranzubringen. Gebraucht wird ein zielsicherer, professioneller und bundesweiter Plan – anstelle des aktuellen Patchworks aus kleinen heterogenen Projekten. Ein Plan, der für alle nachvollziehbar ist, und dem Handeln eine Richtung gibt, auf jeder Ebene, mit Festigkeit, Freundlichkeit und Fairness. Der Prozess wird dauern – aber er muss heute – endlich! - beginnen.  

Will eine Gesellschaft ihre Werte weitergeben, müssen sie gefestigt sein. Zuwanderer aus autoritären Strukturen verstehen Mangel an Festigkeit als Schwäche, die verunsichert oder die man ausnutzen kann. Jedem, der ankommt, muss so rasch wie möglich deutlich werden: Hier wird frei diskutiert, nicht zugeschlagen. Hier werden Frauen und Kinder respektiert, Grundrechte gelten für alle. Hier wird Antisemitismus nicht toleriert, die Geschichte verpflichtet uns alle. 

Solche Werte müssen unmissverständlich, glasklar vermittelt werden.  Wenn muslimische Grundschulkinder während des Fastenmonats ihre Gesundheit gefährden, weil sie tagsüber nichts essen und trinken, können Lehrer das nicht dulden, denn das widerspricht dem Recht des Kindes auf Unversehrtheit, wie auf Bildung. Diese Rechtsgüter wiegen schwerer, als das Recht der Eltern, religiöse Gebräuche von minderjährigen Kindern zu bestimmen. Demokratische Werte zu verteidigen heißt auch, Konfrontationen für das Kindeswohl nicht zu scheuen, oder bei Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit klar zu widersprechen. Aber im deutschen Schulsystem fehlen Reformen, die Antworten auf den Umgang mit Vielfalt bieten. Lehrer brauchen interkulturelle Kompetenzen und die Courage, im Zweifelsfall auch gegen autoritative Erziehung im Elternhaus zu arbeiten. Idealerweise sollte es an Schulen maximal 35 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund geben, damit Kinder miteinander leben, und nicht in parallelen Teilen der Gesellschaft.  
 
Integration ist „too big to fail“, zu real präsent, zu real problembehaftet, um zu scheitern. Was also fehlt, ist nicht das Geld, sondern der politische Wille hinzusehen, Chancen zu schaffen und Chaos zu beseitigen. Es braucht den manifesten politischen Willen, etwas zu ändern.

Bei meiner Arbeit an Schulen, in Gefängnissen, in sozialen Medien, in Asylunterkünften und in Jugendzentren konnte ich in den letzten Jahren tausende von Gesprächen führen und Situationen erleben – mit Schülern, Eltern, Lehrern, Wissenschaftlern, Polizisten, mit Ehrenamtlichen, Sozialarbeitern, mit inhaftierten Terroristen, mit Richtern und vor allem mit Migranten und Flüchtlingen. Bei dieser jahrelangen Erfahrung an vorderster Integrationsfront wurde mir immer klarer: Man muss „out of the box“ denken. Wir müssen innovativ ansetzen, damit Integration gelingt.

Dafür schlage ich zehn Schritte, zehn Maßnahmen und Handlungsanweisungen für die Politik vor. Zwei dieser Schritte sind dabei besonders wichtig: erstens das Professionalisieren und Standardisieren von Integrationsarbeit und zweitens eine grundlegende Reform schulischer und außerschulischer Bildungs- und Sozialarbeit.

Wo ich im Folgenden „wir“ sage, meine ich: wir Demokraten. Wir, die Verfassungspatrioten, für die das Grundgesetz die rechtlich und ethisch verbindliche, wertvolle Basis der Gesellschaft darstellt. Das ist die Verfassung für alle, die hier im Land leben.

Die zehn Forderungen lauten im Kern:

1. Integration ohne politische Ängste angehen

2. Integrationsarbeit standardisieren, evaluieren und professionalisieren

3. Bildungsarbeit und Sozialarbeit reformieren und neu konzipieren

4. Einberufung eines Bundesgipfels zur Vermittlung der Werte des Grundgesetzes

5. Ein Einwanderungsgesetz auf den Weg bringen – jetzt!

6. Integrationsleistungen belohnen

7. Selbstbewusstes und entschiedenes Auftreten des Staats

8. Aktive Förderung einer Kultur der Inklusion

9. Paten- und Mentorensysteme einführen

10. Staatliche Förderung der innerislamischen Debatte

Dass es diese Freiheit nur in der Demokratie geben kann, das erfährt man auf dem Weg wie nebenbei – und es ist doch die zentrale Sache, um die es geht.  

Sicherheit bedeutet, dass an den Grundfesten der Demokratie nicht gerüttelt wird. Dass sich Demokratie selbstbewusst verteidigt. Dass Angriffe auf die Demokratie konsequent verfolgt werden. Denn Toleranz gegenüber Intoleranz ergibt keinen Sinn und garantiert keine Sicherheit.