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Türkei Bulletin
Die Zukunft der türkischen Außenpolitik aus Sicht der Opposition

Erdogan

Die sechs türkischen Oppositionsparteien bereiten sich darauf vor, in den kommenden Tagen ein gemeinsames Positionspapier zur Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zu veröffentlichen

© picture alliance / AA | Murat Kula

Das Hauptziel des Sechs-Parteien-Oppositionsblocks gegen die regierende AKP-MHP-Allianz ist es, die Türkei nach den Wahlen in ein gestärktes parlamentarisches System zu überführen.

Der Oppositionsblock, zu dem auch die Hauptoppositionspartei CHP und die İyi-Parti gehören, ist als Sechser-Tisch bekannt. Seine Vertreter bemühten sich zuletzt verstärkt, einen Fahrplan für den Übergang zu erstellen. Bei ihrem letzten Treffen im Oktober beschlossen sie, gemeinsame Arbeitsgruppen für die wichtigsten Politikbereiche des Landes einzurichten, darunter Außenpolitik sowie Sicherheit und Verteidigung.

Abgesandte der sechs Parteien werden demnach ihre Positionen darlegen und ein gemeinsames Positionspapier ausarbeiten. Das Papier soll als eine Art Koalitionsprotokoll dienen und allgemeine Grundsätze und Orientierungen enthalten, jedoch nicht auf die Einzelheiten der verschiedenen Themen in den Bereichen Außenpolitik, Sicherheit und Verteidigung eingehen.

Anders als  bei Koalitionsverhandlungen in Deutschland üblich wird der Sechser-Tisch im Falle eines Wahlsiegs keine Zeit damit verbringen, sich auf die allgemeinen Grundsätze seiner Politik zu einigen.

Dass mit der Ausarbeitung des Dokuments von seiten der CHP, der İyi-Partei und der DEVA-Partei jedoch ehemalige Botschafter betraut sind, dürfte die Konsensbildung erleichtern.

Das Versprechen des Sechser-Tisches, demokratische Rückschritte im Land zu stoppen und eine pluralistische und demokratische Türkei aufzubauen, gibt auch einen Eindruck von der Außenpolitik, die die jetzige Opposition zu verfolgen gedenkt. Einer der wichtigsten Schritte zur Erfüllung des Wahlversprechens ist die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit, um damit den verfassungsmäßig und gesetzlich garantierten Grundrechten und -freiheiten wieder Geltung zu verschaffen. Dies wird es der Türkei auch ermöglichen, ihre Beziehungen zu den westlichen Bündnispartnern, insbesondere zu Europa, wieder gesünder zu gestalten, gründen sich die jüngsten Probleme der Türkei mit den westlichen Partnern doch darauf, dass sich das Land unter der derzeitigen Regierung von den universellen demokratischen Werten entfernt hat.

In der Erklärung zu den grundlegenden Zielen und Prinzipien, die von den Sechs-Parteien-Gesprächen im Mai verkündet wurde, heißt es: „Die mehrdimensionale Außenpolitik der Türkei mit Schwerpunkt auf der Perspektive der Europäischen Union wird sicherstellen, dass die Türkei ein geachtetes Mitglied der demokratischen Welt und der internationalen Institutionen wird.“ In Anbetracht der aktuellen Lage scheint das Sextett die EU-Mitgliedschaft jedoch eher als einen Prozess zu sehen, der zur Konsolidierung der Demokratie beiträgt, als ein Ziel, das erreicht werden muss.

Außerdem scheint sich die Opposition der Bedeutung von Mitgliedschaften in internationalen Organisationen und der ordnungsgemäßen Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen bewusst zu sein. So ist sie entschlossen, die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unverzüglich umzusetzen und zur Istanbul-Konvention zurückzukehren.

Natürlich ist die Rückkehr zu einer demokratischen Regierungsform nicht der Königsweg, der die außenpolitischen Probleme der Türkei im Handumdrehen lösen wird. Die Oppositionsvertreter sind sicher nicht so naiv zu glauben, dass strukturelle Probleme, wie z.B. mit den USA, sofort gelöst werden können. Ein Wandel in der Gestaltung der Außenpolitik stimmt die Opposition jedoch optimistisch, dass diese Probleme zumindest verringert oder auf eine gesündere Weise bewältigt werden können.

Der Hauptgrund für die außenpolitischen Probleme der derzeitigen Regierung liegt darin, dass die Außenpolitik stark personalisiert ist und die eigentlich zuständigen Institutionen von ihrer Gestaltung weitgehend ausgeschlossen bleiben. Die bilateralen Beziehungen, insbesondere zu Russland, werden von einer einzigen Person geprägt, die ihre persönliche politische Zukunft über die Interessen des Landes stellt. Insofern dürfte eine Wiederbelebung der Rolle des Außenministeriums und die Einbeziehung anderer relevanter Institutionen vom Verteidigungs- bis zum Wirtschaftsministerium den außenpolitischen Gestaltungsprozess erheblich verändern.

In der gemeinsamen Erklärung heißt es außerdem, dass „unsere Außenpolitik und unsere Außenbeziehungen nicht als Material für die Innenpolitik verwendet werden dürfen.“ Dieser Punkt ist äußerst wichtig, da die Instrumentalisierung der Außenpolitik für innenpolitische Zwecke durch die derzeitige Regierung sichtbar zur Eskalation der Probleme beigetragen hat.

Aufgrund der personalisierten Außenpolitik, der Ausklammerung von Institutionen und der Instrumentalisierung der Außenpolitik für die Innenpolitik wird die Türkei zunehmend als unberechenbarer und zudem unzuverlässiger Akteur bewertet. Die Opposition verspricht, diese Situation umzukehren und durch die Demokratisierung des außenpolitischen Entscheidungsprozesses zu einem verlässlichen Akteur zu werden.

In diesem Zusammenhang überwiegt auch die Ansicht, dass der Vorrang von Dialog und Diplomatie vor konfrontativer, militaristischer Rhetorik und militärischen Lösungen dazu beitragen wird, die sich verschlechternden Beziehungen wieder zu verbessern.