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Wirtschaftskrise
Die Weltwirtschaft im Sturm

Der Weg zu mehr Resilienz für eine regelbasierte Weltwirtschaftsordnung.
Anzeigetafel der Frankfurter Wertpapierbörse wird die Tagesentwicklung des Deutschen Aktienindex Dax dargestellt.

Auf der Anzeigetafel der Frankfurter Wertpapierbörse wird die Tagesentwicklung des Deutschen Aktienindex Dax dargestellt. Nach dem Kurssturz zum Wochenstart hat sich der deutsche Aktienmarkt ein wenig gefangen.

© picture alliance/dpa | Arne Dedert

Die Weltwirtschaft steht derzeit einem Phänomen gegenüber, das in der Ökonomie als perfekter Sturm bezeichnet wird. Nach einem Jahrzehnt stagnierender Globalisierungsströme, zwei Jahren Pandemien mit Angebots- und Nachfrageschocks, gestörten Lieferketten und steigender Inflation folgt seit dem russischen Überfall auf die Ukraine eine huma- nitäre Krise in- und außerhalb der Ukraine, eine ausgewachsene Hungersnot in den ärmsten Ländern der Welt und eine Energiekrise, von der nahezu alle Staaten betroffen sind. Es scheint für globale Antworten an der Zeit, wären mit Russland und China nicht mindestens zwei wichtige G20-Mitglieder die Hauptursache für die Probleme in diesem geoökonomischen Zeitalter.

Ein neues Bretton Woods? 

In steter Regelmäßigkeit wird in solchen Situationen die Frage nach einem neuen Bretton Woods Moment aufgeworfen. Selbst die geschäftsführende Direktorin des IWF Kristalina Georgiewa und die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen sprechen von der Notwendigkeit eines neuen Bretton-Woods-Systems. Das ist einerseits begrüßenswert, denn Resilienz erfordert immer auch Veränderung und Anpassung. Doch das einzigartige Zusammentreffen von Umständen, in deren Rahmen die historische Einigung anlässlich der Konferenz in Bretton Woods 1944 stattfinden konnte, hat es so nicht mehr gegeben. Trotz epochaler Ereignisse wie der COVID-19-Pandemie und des russischen Angriffskriegs in der Ukraine erscheint keine Macht in der Lage und willens zu sein, die Führungsrolle zu übernehmen, die die Vereinigten Staaten bei Bretton Woods übernommen haben. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Das System und die Institutionen, die auf der Konferenz von Bretton Woods erdacht worden sind, haben sich als erstaunlich widerstandsfähig und flexibel erwiesen. Es ist fraglich, ob ein System und Institutionen, die in der aktuellen geopolitischen Gemengelage entstehen würden, wirklich besser wären als der IWF und die Weltbank. Die liberale Weltwirtschaftsordnung braucht solche Institutionen, um einen Zusammenbruch wie vor dem Zweiten Weltkrieg zu verhindern, einen weiteren Kalten Krieg zu überstehen und die Grundlagen unseres Wohlstandes – internationale Arbeitsteilung und Zusammenarbeit, offene Märkte und stabile Finanzen – auch in Zukunft sicherzustellen. 

Risiken, Reputation und Regeln

Dieses neue geoökonomische Zeitalter erfordert vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank einen neuen Ansatz, um die Resilienz der liberalen Weltwirtschaftsordnung zu stärken. Dafür müssen beide in ihrer Arbeit ein stärkeres Verständnis für bisher vernachlässigte Risiken wie geopolitische Konflikte, Pandemien, Naturkatastrophen und schwache administrative Strukturen entwickeln, ohne dabei ihre Kernkompetenzen zu vernachlässigen. Die Stärke beider Organisationen ist die Erfahrung mit regelgebundener Projekt- und Programmfinanzierung, technischer Unterstützung und Umsetzung in den Bereichen wirtschaftliche Entwicklung, makroökonomische Reformen, Institutionenaufbau und Finanzstabilität. Dazu gehört insbesondere auch die makroökonomische Expertise zur Bewertung von Risiken für die wirtschaftliche Stabilität von Ländern, Regionen und der Weltwirtschaft. Außerdem müssen der IWF und die Weltbank an ihrer Reputation arbeiten. Denn auch die ist dafür verantwortlich, dass viele Länder des globalen Südens sich in den vergangenen Jahren eher an China als an die Bretton-Woods-Institutionen gewandt haben. Das neue Narrativ der Bretton-Woods-Institutionen sollte sich dabei auf die Regelgebundenheit und Verlässlichkeit ihrer Arbeit konzentrieren, die im starken Kontrast zum Aufbau asymmetrischer Abhängigkeit und deren Ausnutzung durch China steht. Dabei geht es nicht darum, Länder für ihre Zusammenarbeit mit Peking zu bestrafen, sondern eine bessere Alternative bereitzuhalten. Hier hilft auch eine engere und koordinierte Zusammenarbeit der Bretton-Woods-Institutionen mit multilateralen und regionalen Organisationen, die ähnliche Ziele und Prinzipien verfolgen. Umgekehrt müssen die Staaten des globalen Westens, G7 oder andere Zusammenschlüsse demokratischer Länder, stärker in die Bretton-Woods-Institutionen investieren, um ihre Rolle als Stützen einer regelbasierten Weltwirtschaftsordnung zu stärken.

IWF-Weltbank Jahrestagung: Das Multi-Krisen-Treffen

Containerschiffe

Diese Woche findet die Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Washington D.C. statt. Selten zuvor stand die Weltwirtschaft einer solchen Vielzahl an Krisen gegenüber. Zugleich sorgt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Systemwettbewerb für eine Polarisierung unter den größten Mitgliedsstaaten der Organisation. In dieser neuen Gemengelage müssen der IWF und die Weltbank ihre Rolle als Stützen einer regelbasierten und liberalen Weltwirtschaftsordnung stärker ausfüllen.

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Resilienz braucht Globalisierung

Eine resiliente Globalisierung ist keine, die internationale Arbeitsteilung reduziert oder in der sich Länder stärker abschotten. Die Globalisierung ist auch nicht zu weit fortgeschritten. Die Phase einer stagnierenden Globalisierung in den vergangenen zehn Jahren hat gezeigt, dass weniger Handel, mehr Protektionismus und ein Rückgang von Kapitalflüssen mitnichten zu einer Verringerung der ökonomischen Ungleichheit führten. Ganz im Gegenteil, um resilienter zu werden, brauchen offene Gesellschaften und Volkswirtschaften die internationale Arbeitsteilung und ein entsprechendes Wachstum. Ein Land, das mit einer Vielzahl von Ländern Handel betreibt und Unternehmen beheimatet, die ihre Lieferketten diversifiziert haben, ist besser gegenüber Krisen gewappnet als ein Land, das auf Protektionismus und eine Reduzierung der Handelsbeziehungen setzt. Die Lehre aus dem perfekten Sturm, den die Weltwirtschaft in den letzten Jahren durchlebt, muss eine Globalisierung sein, deren Akteure aufmerksam für geopolitische Risiken sind, aber trotzdem auf Kooperation setzen. Dazu können die Bretton-Woods-Institutionen einen wichtigen Beitrag leisten, wenn sie sich im Systemwettbewerb weiterentwickeln und dort Brücken bauen, wo es möglich ist, aber auch klar Position als Stützen einer liberalen Weltordnung beziehen. Dafür tragen die demokratischen Staaten der Welt genauso eine Mitverantwortung wie die Verantwortlichen in der Weltbankgruppe und im Internationalen Währungsfonds.