EN

Internationale Politik
Tschechien sucht den Präsidenten

Presidential candidates pose for a photo
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Petr David Josek

Das Führungstrio und 6 Statisten

Tschechien ist eine parlamentarische Demokratie, in der die Exekutivgewalt zwischen der Regierung und dem Präsidenten aufgeteilt ist. Jeder Bürger, der wahlberechtigt ist und das 40. Lebensjahr vollendet hat, kann zum Präsidenten gewählt werden. Um kandidieren zu können, muss ein Kandidat die Unterstützung von mindestens 20 Abgeordneten oder 10 Senatoren oder von mindestens 50 000 Bürgern haben, die eine entsprechende Petition unterzeichnen. So kann auch jemand ohne politischen Hintergrund für das Amt des Präsidenten kandidieren, sofern er oder sie bekannt ist oder über ein gutes Marketingteam verfügt.

Bereits im Herbst war klar, dass sich um die Präsidentschaft drei Kandidaten bewerben würden, die auch tatsächliche Chancen haben: Andrej Babiš (Kandidat der Partei ANO, Parteivorsitzender und ehemaliger Ministerpräsident), Danuše Nerudová (unabhängige Kandidatin, Wirtschaftswissenschaftlerin und ehemalige Rektorin der Mendel-Universität in Brünn) und Petr Pavel (unabhängiger Kandidat, ehemaliger General der tschechischen Armee). Die Buchmacher sind sich zwar sicher, dass Petr Pavel die Wahl gewinnen wird, aber alle drei liegen in den Umfragen knapp über 20 %, und sie haben im Laufe der Zeit abwechselnd in Führung gelegen, oft nur um eine statistische Fehlermarge getrennt. Die Umfragen zeigen auch, dass ein Drittel der Wählerschaft noch unentschlossen ist.

Doch unabhängig davon, wer von ihnen gewinnt, die anderen sechs Kandidaten sind eher Statisten für diese drei, so dass niemand ihnen eine realistische Chance auf den Sieg einräumt. Das zeigte sich auch bei der Debatte der Präsidentschaftskandidaten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, zu der zwar alle 9 offiziellen Kandidaten eingeladen waren (Babiš nahm allerdings nicht teil), bei der aber auch die 6 eher chancenlosen Kandidaten aufgefordert wurden, Fragen an das Führungstrio (bzw. -duo) zu stellen. Die Welle der Abneigung schlug daher in einen Boykott um, denn kaum jemand wollte Fragen stellen und dem Spitzentrio (-duo) zusätzlichen Raum geben.

Gerichtsstreitigkeiten, kommunistische Vergangenheit oder Diplombetrug?

Wie es in Tschechien Tradition ist, treten vor jeder Wahl die Makel der führenden Kandidaten in den Vordergrund. Und keiner des Führungstrios hat eine weiße Weste. Zwei der Kandidaten haben eine kommunistische Vergangenheit. Petr Pavel ist wegen seines Engagements in der Kommunistischen Partei und seines Postgraduiertenstudiums bei der damaligen Generalstabsverwaltung für Nachrichtenwesen in die Kritik geraten. Anzumerken ist, dass es sich dabei um eine normale Karriere als Soldat in der damaligen tschechoslowakischen Volksarmee handelte und der militärische Geheimdienst kein repressiver Arm des damaligen Regimes war. Andrej Babiš hingegen ist als StB-Kollaborateur (die Staatssicherheit und einer der Geheimdienste der Tschechoslowakei) registriert, leugnet aber seine Vergangenheit, obwohl es zehn verschiedene Dokumente gibt, die seine Zusammenarbeit mit dem StB belegen.

Babiš hat aber eine ganze Reihe von Skandalen hinter sich. In den letzten Monaten stand Babiš wegen eines Subventionsbetrugs in Höhe von 50 Mio. CZK für den Bau des Komplexes „Storchennest“ in Mittelböhmen vor Gericht. Doch der Richter sprach Babiš am 9. Januar wegen falsch erstellter Anklage, vier Tage vor dem ersten Wahlgang, frei. Ein Ermittlungsverfahren der französischen Ermittlungsbehörde für schwere Kriminalität (PNF) wegen des Verdachts auf Geldwäsche und Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem Erwerb von Immobilien durch Andrej Babiš in Frankreich ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Doch diese – seit Jahren bekannten - Skandale lassen die Wählerschaft von Babiš anscheinend kalt.

Danuše Nerudová hat im Gegensatz zu den Herren nicht den Schatten einer kommunistischen Vergangenheit hinter sich (das wiederholt sie entsprechend oft). Wie sollte sie auch, sie war zur Zeit der Samtenen Revolution 10 Jahre alt. Sie muss aber auch Kritik standhalten. Während ihrer Zeit als Rektorin der Mendel-Universität in Brünn haben nach Angaben des Nationalen Akkreditierungsbüros für das Hochschulwesen (NAE) einige ausländische Studierende an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften ein Jahr weniger studiert als in den geltenden Vorschriften vorgesehen. Darüber hinaus gab es Probleme mit Dissertationen. Für einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften und Management mussten etwa 25 000 EUR gezahlt werden. Der Fakultät droht nun der Entzug der institutionellen Akkreditierung. Nerudová versteckte sich zunächst vor der Kritik und begann dann, den Skandal angemessen zu erklären. Die Frage ist, ob die Erklärung nicht zu spät kam.

Das wichtigste politische Thema der letzten 10 Jahre: Babiš

Während Petr Pavel und Danuše Nerudová die Aufmerksamkeit der Tschechen auf sich ziehen mussten, ist Andrej Babiš der einzige der drei Hauptkandidaten, der allen gut bekannt war. Er ist eine Persönlichkeit, die Emotionen und Kontroversen hervorruft und die Gesellschaft spaltet. Er wuchs als Protegé des Regimes auf, nutzte seine Chancen, stieg schnell auf und gründete in den wilden 90er Jahren ohne Regeln Unternehmen in vielen verschiedenen Sektoren, insbesondere im Lebensmittelsektor. Doch die Businesswelt wurde ihm zu klein, und so gründete er 2011 die politische Bewegung ANO 2011 (Aktion unzufriedener Bürger). Er definierte sie zunächst als eine rechte Partei mit sozialem Gespür und änderte die Definition später in eine Catch-all-Partei ab. Allerdings ändert diese Definition nichts an der Tatsache, dass Babiš ein opportunistischer Populist ist, der den Reichen (vor allem ihm selbst) viel gibt und den Armen nur ein bisschen, doch genug, um ihre Stimmen zu bekommen.

Bereits 2013 trat die ANO in die Regierungskoalition ein und Babiš wurde Finanzminister. Präsident Miloš Zeman ernannte ihn damals ohne eine obligatorische Lustrationsbescheinigung (eine Bescheinigung darüber, ob eine Person Mitglied des StB war oder nicht). In vier Jahren ist es Babiš gelungen, einen Machtpakt mit Präsident Zeman zu schließen, die Gesellschaft in zwei hasserfüllte Lager zu spalten, einen Negativtrend im tschechischen Haushalt einzuleiten und fast alle Wähler des linken Koalitionspartners auf seine Seite zu ziehen. Nach den Wahlen 2017 war er bereits stolzer Premierminister einer Minderheitsregierung, die dank der Unterstützung der Kommunistischen Partei gebildet wurde.

Doch neben der hohen Staatsverschuldung hat dieser „Krisenmanager“ (wie er sich selbst gerne nannt) vor allem der Gesellschaft geschadet. Viele Menschen haben sich an die sein verzerrtes Verhältnis zur Wahrheit gewöhnt und auch daran, dass Babiš auch mit undemokratischen Vertretern anderer Länder befreundet ist. Sie stören sich nicht an seinen rechtlichen Streitereien, Subventionsbetrügen oder seiner aggressiven Rhetorik und Verhaltensweisen. Er redet sich ständig auf das Diktat Brüssels hinaus. Hass und Angst sind die wichtigsten Verbindungselemente seiner Wählerschaft. Allerdings er in der Praxis nie zu weit, weil seine Unternehmen von europäischen Subventionen abhängen. Deshalb kann man ihn nicht mit einem Orbán in Ungarn vergleichen. Sein Populismus blieb immer pragmatisch und unideologisch. Letztlich hat die tschechische Demokratie sich als recht resilient erwiesen und die Institutionen blieben intakt – vielleicht auch, weil er nie die Mehrheit der Bürger hinter sich hatte. Auch seine Regierung war letztlich nur eine fragile Minderheitsregierung. Tschechien wurde auch unter ihm nicht zu einem zweiten Polen oder Ungarn.

Zudem ist bei den Parlamentswahlen 2021 ein Wandel eingetreten: Nach Jahren des Babiš‘schen Populismus haben die Parteien des demokratischen Blocks, die für den prowestlichen Kurs von Václav Havel stehen, endlich ihren Platz in der Regierung eingenommen. Sollten Pavel oder Nerudová gewählt werden, würde ein großer Teil der Gesellschaft dies als eine neue Chance zur Wiederbelebung der demokratischen Werte der Samtenen Revolution von 1989 sehen. Doch Babiš‘s Motivation zu gewinnen ist größer als die der anderen, denn er spielt vor allem um 5 (eventuell 10) Jahre Immunität, die ihm das Präsidentenamt gewähren würde.

Species: Wähler aus Tschechien

Die Wählerschaft in Tschechien befindet sich in einem großen Wandel. Früher gab es vor allem Gruppen von eingefleischten Stammwählern und die Wahlergebnisse konnten meist besser vorhergesagt werden. Jetzt ist dieser Trend deutlich rückläufig und die Menschen treffen ihre Entscheidungen in letzter Minute, manche sogar erst an der Wahlurne. Das ist bei einer Präsidentschaftswahl eine gute Nachricht für bürgerliche Kandidaten, aber auch eine große Herausforderung für die Marketing- und PR-Teams.

So hat Andrej Babiš von dem Führungstrio den größten, fest entschlossenen Wählerkern, der hauptsächlich aus Menschen mit Grundschulbildung oder einem eher niedrigen Ausbildungsabschluss (ohne Abitur) und überwiegend aus der Altersgruppe der über 60-Jährigen besteht. Gleichzeitig hat er auch die größte Gruppe von Gegnern (über die Hälfte der Befragten würde ihn auf jeden Fall nicht wählen). Dieses Wählerspektrum dürfte ihm das Weiterkommen in den zweiten Wahlgang sichern, aber sein Team wird im eventuellen zweiten Wahlgang seine Gegner oder eingefleischte Nichtwähler überzeugen müssen. Und das wird in Tschechien schwierig, denn er hat zu sehr polarisiert und die Mehrheit der Bürger hat sich eigentlich eine feste Meinung zu ihm gebildet, was schwer zu ändern ist..

Auf der anderen Seite stehen Danuše Nerudová und Petr Pavel, die mehr als die Hälfte der Wählerschaft teilen und vor allem von Menschen mit Hochschulbildung unterstützt werden, die überwiegend in Großstädten zu finden sind. Und sie kämpfen natürlich um sie. Während Babiš zum Beispiel nicht viel in seine visuelle Präsentation in Prag investiert, lächeln Nerudová und Pavel die Prager von Plakatwänden an den meistbesuchten Orten an. Die Möglichkeit, dass beide in die zweite Runde kommen, ist eher unwahrscheinlich.

Das beste Weihnachstgebäck

In Tschechien gibt es wahrscheinlich niemanden, der sich trauen würde, die Frage zu beantworten: Wer wird der nächste Präsident sein? Eines ist jedoch sicher: Diese Wahl wird in zwei Wahlgängen stattfinden, und die beiden Kandidaten werden einen langen und schwierigen Januar vor sich haben, in dem sie schwankende Wähler und überzeugte Nichtwähler überzeugen müssen. Die Chancen sind sehr ausgeglichen, und jede Stimme wird zählen. Wir können uns also auf eine Flut von Posts in den sozialen Medien freuen. Der Hit bei den diesjährigen Kandidaten waren Beiträge über das Weihnachtsgebäckbacken mit der Familie. Eventuell werden sie im Januar mit Tipps zum Abnehmen fortsetzen.

Ester Povýšilová ist Projektmanagerin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Büro für die Mitteleuropäischen und Baltischen Staaten in Prag.