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Digitales Briefgeheimnis
Privatsphäre in Gefahr

Digitales Briefgeheimnis

Crypto Wars, das klingt nach heutiger Weltlage fast zynisch. Damit ist kein Streit über Finanzprodukte gemeint und auch kein echter Kriegsschauplatz. Der Begriff Crypto Wars lehnt sich an das englische Wort cryptography (deutsch: Kryptographie) an und steht für das ewige Ringen um die Vorherrschaft über die digitale Kommunikation.

Damals, im Ausgangspunkt der Crypto Wars, unternahm die US-Regierung den Versuch, sich Zugriff auf die digitale Kommunikation von jedermann zu verschaffen. Mit diesem Versuch scheiterte sie nicht nur. Sie brachte die „Nerds“ und technologisch bewanderte Bevölkerung dermaßen gegen sich auf, dass diese einen Weg erfanden, wie jedermann ganz einfach seine Nachrichten verschlüsseln kann. Seitdem liegen Nerds und Regierung in den Schützengräben.

Heute ist Verschlüsselung Standard. Alle Messengerdienste, von Whats-App bis Telegram, bieten die Möglichkeit, die eigenen Nachrichten in einen digitalen Briefumschlag zu verpacken, damit niemand anderes als die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einer Unterhaltung den Inhalt lesen können.

Die Möglichkeiten zur Verschlüsselung nutzen aber nicht nur rechtschaffene Bürgerinnen und Bürger im Familienchat, sondern auch Kriminelle, um sich zur nächsten Straftat zu verabreden. Darunter sind auch abscheuliche Taten, wie die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen von Kindern. Das hat im letzten Jahr die EU-Kommission auf den Plan gerufen. Zum Schutz der Kinder will sie sich Zugriff auf digitale Kommunikation verschaffen. Auch wenn diese verschlüsselt ist. Das Vorhaben ist unter dem Begriff „Chatkontrolle“ bekannt. Manche Länder, wie Spanien, gehen sogar noch weiter und fordern ein komplettes Verbot von Verschlüsselung.

Auch wenn solche Vorhaben ein hehres Ziel verfolgen, sie gehen deutlich zu weit. Viele Menschen – wie Journalisten oder Aktivistinnen – sind für eine sichere Kommunikation auf funktionierende Verschlüsselung angewiesen. Vor allem aber hat in einem Rechtsstaat der Staat seine Nase aus privaten Nachrichten herauszuhalten. Niemand will schließlich, dass Liebesschwüre, Lebenspläne oder auch bloß private Verabredungen wie offene Postkarten durchs Netz geschickt werden müssen.

Dieser berechtigte Wunsch ist nicht nur eine private Angelegenheit, sondern auch in unserer Verfassung garantiert. Professor Dennis-Kenji Kipker aus Bremen kommt in einem Gutachten für die Friedrich-Naumann-Stiftung zu dem klaren Ergebnis, dass ein sogenanntes Recht auf Verschlüsselung existiert. Es lässt sich sowohl aus dem Grundgesetz als auch aus europäischem Verfassungsrecht ableiten.

Als die Mütter und Väter des Grundgesetzes den Verfassungstext schrieben, dachte natürlich niemand von ihnen an Whats-App-Chats. Doch was damals unter dem Thema Briefgeheimnis verhandelt wurde, ist auch für die verschlüsselte Kommunikation im Internet entscheidend. Das Recht auf Verschlüsselung ist das digitale Briefgeheimnis.

Wichtig ist, was das digitale Briefgeheimnis ermöglicht. Es schützt alle private Kommunikation und gesteht jedermann das Recht zu, das Mitlesen von Nachrichten effektiv zu verhindern. Außerdem ist es die Grundvoraussetzung, um die eigene Privatsphäre zu schützen und andere Grundrechte wie beispielsweise die Meinungsfreiheit ausüben zu können. Wie jedes andere Grundrecht, kann es auch beim Recht auf Verschlüsselung Fälle geben, in denen man abwägen muss. Zum Beispiel, ob der Schutz von Kindern schwerer wiegt als der Schutz der eigenen Kommunikation. Wer nun Hurra schreit, sollte jedoch eines bedenken: Nur weil es im Einzelfall schwierige Abwägungen geben kann, bedeutet das noch lange keinen Blankoscheck zur Generalüberwachung aller unbescholtenen Bürgerinnen und Bürger.

Dieser Artikel erschien erstmals am 4. Juni 2023 bei der Frankfurter Rundschau.

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