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Risiko aus der Arktis
Polare Seidenstraße und Russlands Nordmeerflotte

Eisberg
© picture alliance / imageBROKER | alimdi / Arterra

Das Eis der Arktis schmilzt. Neben dramatischen Umwelteinflüssen wie dem steigenden Meeresspiegel und dem signifikanten Rückgang des Artenreichtums bedeutet dies vor allem eins: Die Arktis wird zu einem neuen Zentrum geopolitischer Machtausübungen. Durch das Abschmelzen der arktischen Eiskappen ist der Zugang zu Ressourcen wie Öl, Gas und Mineralien wie Nickel und Kupfer erleichtert. Neue Handelsrouten verändern das geopolitische Gleichgewicht. Ein entscheidender Grund, warum neben den Anrainerstaaten auch verschiedene nicht-arktische Staaten, darunter China, Interessen in der Region anmelden.

Entscheidend für Russland, interessant für China

Russland erwirtschaftet bereits jetzt etwa 20 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes in der arktischen und subarktischen Region, 75 Prozent seines gesamten Ölvorkommens und 95 Prozent seines Gasvorkommens befinden sich dort. Die Arktische Zone ist für Moskau neben den Ressourcen auch durch die Kontrolle der wichtigen Nordostpassage geoökonomisch von Bedeutung. Der an der Nordküste Russlands entlangführende Seeweg wird für den Schiffsverkehr immer wichtiger, weil er aufgrund der Klimaerwärmung im Sommer teilweise sogar ohne Eisbrecher passierbar ist. Für China sind sowohl der Ressourcenreichtum als auch die neuen Handelsrouten interessant. Deswegen investiert Peking massiv in die Erschließung arktischer Gas-und Ölfelder unterhalb des Meeresbodens. Neben dem Import fossiler Rohstoffe ermöglicht das auftauende Nordpolarmeer neue Transportwege: Russland plant, bis 2024 jährlich 80 Millionen Tonnen Güter entlang der Nordostpassage zu verschiffen. Der chinesische Präsident Xi Jinping hat die sogenannte polare Seidenstraße zu einem seiner Leuchtturmprojekte gemacht. Fünfmal kürzer als der Transport über den Suezkanal soll der Seeweg über die Nordpolarregion sein. Die Kooperation zwischen Peking und Moskau ist hier alles andere als grenzenlos. Russland zeigt sich skeptisch, was das chinesische Engagement in seiner zentralen Interessenszone angeht und Chinas würde mit der Transpolarroute auf russische Kooperation sowie entsprechende Transitkosten verzichten.

Militarisierung der Arktis

Wie wichtig die Region für Russland ist, zeigen regelmäßige militärische Großmanöver. Vergangene Woche waren 1800 Soldaten, mehr als ein Dutzend Schiffe, 40 Flugzeuge und Hubschrauber sowie Landfahrzeuge in eine mehrtägige Übung eingebunden. Und das, obwohl die personellen und materiellen Engpässe des russischen Militärs bekannt sind. Über diese medial präsenten Militärmanöver hinaus baut Russland Militärbasen aus und arbeitet langfristig an seiner 2035-Strategie für die Arktis. Auch China baut seine Präsenz auf und hat angekündigt, seine Eisbrecherflotte um einen schweren Eisbrecher zu erweitern; damit würde es die USA in Sachen Eismeer-Fähigkeiten übertrumpfen. Als ein großes Risiko für die geopolitischen Machtverhältnisse in der arktischen Region gelten insbesondere die Vertiefung der russisch-chinesischen Beziehungen. Die Isolierung Russlands sorgt zunehmend für eine wirtschaftliche Abhängigkeit gegenüber China, auf dessen Kooperation Russland angewiesen ist. Auch vor diesem Hintergrund hat Russland begonnen, seine arktischen Gebiete massiv zu remilitarisieren.

Der Westen reagiert

Nachdem die Arktis im Westen lange Zeit nur für eine Handvoll Staaten von Interesse war, schenken die USA und selbst die NATO der Region nun mehr Aufmerksamkeit. Im Oktober hat das Weiße Haus eine neue nationale Arktisstrategie vorgelegt, in der die Amerikaner die Region zu einer nationalen Priorität erklären, aber insgesamt eine Doppelstrategie verfolgen. Einerseits setzen die USA auf Kooperation, um das Ziel einer friedlichen und prosperierenden Arktis zu verfolgen. Anderseits erkennt die Strategie die Bedrohung der Sicherheit und strebt eine Eindämmung des wachsenden russischen und chinesischen Einflusses an. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte Ende letzten Jahres bereits, dass die NATO ihre Präsenz in der Arktis erhöhen müsse. Mit dem Beitritt Finnlands zur NATO und dem anstehenden Beitritt Schwedens wird sich die NATO-Russland-Grenze mehr als verdoppeln, insbesondere in den arktischen Breiten. Sieben der acht Mitglieder des Arktischen Rates, dessen Arbeit aufgrund des russischen Angriffskrieges ausgesetzt ist, werden dann Mitglieder des nordatlantischen Bündnisses sein.

Auswirkungen der russischen Invasion

Obwohl sich der russische Krieg in der Ukraine nicht direkt auf die Arktis ausgebreitet hat, hat er die Region dramatisch beeinflusst. Die regionale Zusammenarbeit im Arktischen Rat wurde offiziell ausgesetzt, und auch wissenschaftliche Projekte zur Überwachung des Klimawandels wurden zurückgestellt. Verschiedene westliche Investoren haben sich aus russischen Energieprojekten zurückgezogen und bieten China so die Chance, den wirtschaftlichen Einfluss gegenüber Russland zu erhöhen. Der Krieg hat auch die Sápmi gespalten, genauer gesagt, das traditionelle Territorium der indigenen Sámi, das sich über Teile Nordfinnlands, Norwegens, Schwedens und Russlands erstreckt. Und solange der russische Krieg in der Ukraine andauert, ist es schwer vorstellbar, dass die Zusammenarbeit in der Arktis zum Status quo vor dem Krieg zurückkehrt – selbst wenn wichtige grenzüberschreitende Aktivitäten zur Eindämmung des Klimawandels anstehen. In der Zwischenzeit liegt es im Interesse sowohl der Staaten der westlichen Arktis als auch Russlands selbst zu verhindern, dass regionale Spannungen zu direkten Konfrontationen werden.

Deutschland hat zwar Beobachterstatus im Arktischen Rat, allerdings stammen die Arktis-Leitlinien der Bundesregierung aus dem Jahr 2019 und konzentrieren sich vor allem auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Vor dem Hintergrund der neuen geopolitischen Weltlage durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine rücken nun auch die sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Aspekte der Entwicklungen in der Arktis in den Vordergrund. Diese veränderte Lage in der Arktis und die Auswirkungen auf die deutschen Sicherheitsinteressen sollten sich auch in der nationalen Sicherheitsstrategie wiederfinden und Anlass für ein Update der Arktis-Leitlinien sein.

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