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Ungarn
Orbáns Sieg weckt Besorgnis um den Zustand des Rechtsstaats

Peter Marki-Zay

Oppositionsführer Peter Marki-Zay spricht zu seinen Anhängern während einer Wahlkampfveranstaltung in Budapest am 3. April 2022

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Anna Szilagyi

Neue Hoffnung

Seit die von Skandalen geplagte und durch die Finanzkrise noch unbeliebtere Linksregierung 2010 die Wahl verloren hat, regiert die Fidesz-Partei mit einer verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit. Bei früheren Wahlen war die Opposition zersplittert, sodass keine Partei genügend Stimmen auf sich vereinigen konnte, um eine Bedrohung für Fidesz darzustellen. Das änderte sich, als die Opposition für die Wahlen 2022 eine Koalition bildete und zu dem Schluss gelangte, dass die aussichtsreichsten Kandidaten durch Vorwahlen ausgewählt werden sollten. Überraschend gewann der konservativ gesinnte Bürgermeister einer südöstlichen ungarischen Stadt, Péter Márki-Zay, die Vorwahlen für das Amt des Ministerpräsidenten und setzte sich gegen weitaus bekanntere Politiker durch. Seine Attraktivität lag darin, dass er keiner Partei angehörte und nicht mit früheren gescheiterten Kampagnen oder Skandalen in Verbindung gebracht wurde. Es wurden auch Kandidaten für die 106 einzelnen Wahlkreise aufgestellt, die von allen sechs Parteien der Koalition sowie der von Péter Márki-Zay angeführten Bewegung "Ungarn für alle" unterstützt werden.

Schlüsselbotschaften im Wahlkampf

Das 21. Jahrhundert hat eine neue Epoche eingeläutet, in der es einfacher ist, Wahlen mit kurzen Slogans statt mit langen Wahlprogrammen zu gewinnen. So warb die Regierungspartei mit dem Slogan "Ungarn bewegt sich vorwärts, nicht rückwärts" - eine Anspielung auf jene Politiker, die vor 2010 an der unpopulären Linksregierung beteiligt waren, wie der ehemalige Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány, dessen Partei, die Demokratische Koalition (DK), eine wichtige Kraft innerhalb des Oppositionsbündnisses ist. Die Ungarn wurden mit Werbespots überschüttet, in denen Ferenc Gyurcsány als böser Dr. Evil aus den Austin-Powers-Filmen und Márki-Zay als sein marionettengleicher Mini-Me dargestellt wurden. Politisch hob die Regierung hervor, wie viele Leistungen Familien und Rentner durch Fidesz erhalten haben und welche Ermäßigungen es bei den Versorgungsgebühren gab. Gleichzeitig wurden sie nicht müde davor zu warnen, dass die Opposition die Preisobergrenzen für Grundnahrungsmittel und Gaspreise abschaffen wolle. Parallel zu den Parlamentswahlen fand auch ein von Fidesz initiiertes Referendum statt, bei dem Fragen zur Beeinflussung von Kindern durch LGBTQ-Gruppen gestellt wurden. Obwohl eine solche Beeinflussung weder existiert noch geplant ist, suggerierte die Formulierung des Referendums die Frage, ob eine solche Beeinflussung erlaubt sein sollte oder nicht.

Die Opposition bestritt unterdessen die Behauptungen von Fidesz, sie wolle Sozialleistungen abschaffen und verwies auf die grassierende Korruption, die Aushöhlung demokratischer Werte wie Rechtsstaatlichkeit, freie Medien sowie Gewaltenteilung und machte auf die wirtschaftlichen Probleme Ungarns aufmerksam, wie die galoppierende Inflation, das Haushaltsdefizit und die Abwertung der nationalen Währung. Die Opposition schlug vor, den Euro einzuführen, der Europäischen Staatsanwaltschaft beizutreten und den öffentlichen Sektor grundlegend zu reformieren, da die Schulen keine gute Lehre anbieten, Lehrer wegen der schlechten Bedingungen streiken und die Gesundheitsversorgung unzureichend ist.

Was bei der vereinigten Opposition schief lief

Der Krieg in der Ukraine hat die Wahlen in Ungarn erheblich beeinflusst. Obwohl regierungsnahe Analysten die Möglichkeit eines Krieges ausschließen und obwohl Premierminister Viktor Orbán enge Beziehungen zu Wladimir Putin unterhält, gelang es der Regierung, aus dem Thema Kapital zu schlagen. Sie behauptete, die Opposition wolle die ungarische Jugend in den Krieg schicken oder einen Konflikt größeren Ausmaßes heraufbeschwören. Obwohl die Regierungspartei Sanktionen gegen Russland unterstützt, lässt die Regierung Waffenlieferungen über ungarisches Gebiet in die Ukraine nicht zu. Das Narrativ, dass Fidesz den Frieden und die Opposition den Krieg unterstützt, war zwar völlig an den Haaren beigezogen, hat aber dennoch funktioniert.

Die Wahlbeteiligung lag im Durchschnitt bei etwa 70 Prozent. In den von Armut betroffenen Gebieten, wo die Fidesz-Kandidaten gewannen, lag sie sogar bei 80 Prozent, was zeigt, dass einfache Botschaften besser ankamen als die sachlichen Argumente der Oppositionsparteien, wie beispielsweise die Position, dass staatliche Eingriffe wie Preisobergrenzen der Wirtschaft auf lange Sicht schaden.

Das Oppositionsbündnis setzte sich aus sechs Parteien zusammen, die unterschiedliche Ziele verfolgten. Eine der Parteien war z. B. die früher rechtsradikale und heute als konservativ geltende Jobbik-Partei, deren Mitglieder den ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány, dessen Partei ebenfalls an dem Oppositionsbündnis beteiligt ist, damals vehement ablehnten. Die Wähler von Jobbik stimmten nicht wie erwartet für die Koalition, sondern wählten entweder Fidesz oder die rechtsradikale Partei, „Unsere Heimat“, die von radikalen Jobbik-Politikern gegründet wurde, die sich nach Jobbiks Hinrücken zur Mitte abgespalten hatten. Diese neue radikale Partei trat ebenfalls mit einer Anti-Kriegs-Botschaft an und führte eine Kampagne gegen Covid-Regelungen. Bei der Parlamentswahl am Sonntag gewann sie über 6 Prozent, was ihr sieben der 199 Sitze im Parlament sicherte. Fidesz erhielt 135 Sitze und die Oppositionskoalition 56. Der verbleibende eine Sitz ging an die deutsche Minderheit in Ungarn. Ein Lichtblick war jedoch der Wahlerfolg der liberalen Partei Momentum, die ihre Sitze von null auf 11 erhöhte.

Auch innerhalb der Oppositionskoalition selbst gab es Probleme. Es gab keine landesweite Einigkeit unter den Oppositionsparteien und somit auch kein gemeinsames Programm für den Wahlkampf. Die Parteien hatten untereinander Meinungsverschiedenheiten und hegten eine Abneigung gegen den Spitzenkandidaten, der wiederum die Parteivorsitzenden nicht mochte, so dass die Zusammenarbeit unter dem Fluch der Uneinigkeit stand. Obwohl viele Menschen hofften, dass die Opposition eine Chance haben könnte, Fidesz zu schlagen, oder, falls dieses Szenario ausbliebe, Fidesz nur eine einfache Mehrheit erringen würde, wurde diese Hoffnung bitter enttäuscht. Tatsächlich ist es Fidesz gelungen, die Anzahl der Sitze im Parlament im Vergleich zu vor vier Jahren nochmals zu erhöhen.

Was noch kommt

Mit der erneuten Wahl kann die ungarische Regierung ihre Haltung gegenüber der Ukraine fortsetzen und damit Putin implizit unterstützen. Unmittelbar nach den Wahlergebnissen nannte Viktor Orbán den ukrainischen Präsidenten Selenskyj einen seiner Gegner. Auch die Position Ungarns innerhalb der NATO wirft Fragen auf. Ein für Ende März in Ungarn geplantes Verteidigungstreffen der V4-Länder wurde abgesagt, da die tschechischen und polnischen Vertreter ihre Teilnahme verweigerten und damit signalisierten, dass sie Orbáns Haltung zur Ukraine nicht akzeptierten. Es bleibt auch abzuwarten, wie sich der Sieg Orbáns auf die Beziehungen Ungarns zur EU auswirken wird, da diese Ungarn häufig wegen Problemen mit der Rechtsstaatlichkeit kritisiert. Auch die wirtschaftliche Situation muss angegangen werden, denn die staatlich kontrollierten Preise für Versorgungsleistungen und andere Preisobergrenzen sind nicht lange durchzuhalten.

Die interessanteste Frage wird jedoch die nach der Zukunft der Opposition sein. Kann das Oppositionsbündnis diese Niederlage überleben? Wahrscheinlich nicht. Die großen Parteien werden sich durchsetzen, aber derzeit ist keine Strategie bekannt, wie die Opposition in den nächsten vier Jahren vorgehen soll.

Máté Hajba ist der Leiter der ungarischen Free Market Foundation, die sich für wirtschaftliche Freiheit, Bürgerrechte und Toleranz einsetzt. Er ist außerdem Vizepräsident der Civic Platform, die antirassistische Kampagnen durchführt und demokratische Werte fördert. Er interessiert sich für die Beziehung zwischen Staat und Individuum sowie für das Konzept und die Geschichte der Freiheit. Er schreibt für die internationale Presse über Themen wie Intoleranz in Ungarn und internationale Beziehungen. Um das Konzept des Individualismus, der Freiheit, der Toleranz und des freien Marktes zu fördern, hat er eine Jugendorganisation namens Eötvös Club mitbegründet.