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Krieg in Europa
"Nachschub an Truppen und Ausrüstung kommt über Belarus"

Eine Analyse zur Rolle von Belarus im Russlands Krieg gegen die Ukraine von Anna Kravtšenko, Projektleiterin Ukraine und Belarus der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
Der russische Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen mit dem belarussischen Präsident Alexander Lukaschenko am 11. März 2022 in Moskau

Der russische Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen mit dem belarussischen Präsident Alexander Lukaschenko am 11. März 2022 in Moskau 

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picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Mikhail Klimentyev

Auch wenn sich die belarusische Armee bisher nicht aktiv am Krieg in der Ukraine beteiligt hat, hat der belarusische Machthaber Lukaschenka den Angriff auf die Ukraine in seiner vollen Brutalität erst möglich gemacht. Die Stationierung der russischen Truppen auf belarusischem Boden, angeblich lediglich im Rahmen einer Militärübung, hat Russland einen raschen Zugang zur Nordukraine und vor allem zur Hauptstadt Kyjiw erlaubt. Um die 100 Raketen wurden seit Kriegsbeginn von belarusischem Territorium aus auf die Ukraine abgefeuert. Russische Soldaten werden in belarusischen Krankenhäusern behandelt, der Nachschub an Truppen und Ausrüstung kommt ebenso über Belarus.

Als Russland am 24. Februar den Angriff auf die Ukraine von belarusischem Territorium aus startete, galt in Belarus noch wenige Tage die alte Verfassung, in der die Neutralität von Belarus festgeschrieben war. Diese Neutralität hat Lukaschenka noch vor seinem „Verfassungsreferendum“ am 27. Februar aufgegeben, indem er sich an die Seite des Aggressors stellte. Der Kreml hat eine Gegenleistung für die Unterstützung des Lukaschenka-Regimes eingefordert, und der isolierte Machthaber hat nun keinen Raum mehr für politische Manöver. Die verschärften Sanktionen nach der Migrationskrise im November 2021 haben Belarus noch weiter in die Hände Putins getrieben; auch die indirekte Anerkennung der Krim-Annexion haben die bisher guten Beziehungen zur Ukraine zerstört. Die einzige Taktik, die Lukaschenka jetzt verfolgen kann, ist die des Hinhaltens, in der mittlerweile schwindenden Hoffnung, dass Russland es auch ohne ihn schafft. Es ist davon auszugehen, dass Wladimir Putin ihn beim Treffen in Moskau am 11. März zur aktiven Beteiligung der belarusischen Armee an der „Sonderoperation in der Ukraine“ gedrängt hat. Lukaschenka weiß aber, dass das Risiko für ihn extrem hoch ist, nicht nur wegen weiterer Sanktionen, sondern weil seine Macht dabei auf dem Spielt steht.

Laut einer aktuellen Umfrage von Chatham House befürworten lediglich 3 Prozent der Belarusen eine aktive Beteiligung von Belarus am Krieg in der Ukraine. Das Trauma des Zweiten Weltkrieges, der furchtbares Leid über Belarus brachte, sitzt tief im kollektiven Gedächtnis des Volkes. Frieden ist auch für Lukaschenkas Unterstützer wichtig, und ein Angriffskrieg auf das Nachbarland Ukraine würden auch sie – trotz Repressionen und Propaganda – vermutlich nicht einfach so hinnehmen. Auch für die Eliten rund um Lukaschenka, wie die Geheimdienste und das Militär selbst, kann die militärische Beteiligung am Krieg angesichts der Stärke der ukrainischen Verteidigung keine präferierte Option sein. Und auf deren Unterstützung kommt es beim Machterhalt für Lukaschenka an.

Die belarusische Demokratiebewegung hat die Beteiligung von Belarus am Ukraine-Krieg scharf kritisiert und eine Anti-Kriegs-Bewegung gegründet. In der Ukraine, die nach der gefälschten Wiederwahl Lukaschenkas Tausende verfolgte Belarusen aufgenommen hat, aber auch in Europa breitet sich allerdings die Ansicht aus, die Belarusen wären Putins Verbündete. Dabei ist die Einstellung der Mehrheit der Belarusen ganz klar: Sie sind gegen diesen Krieg. Auch belarusische Freiwillige kämpfen an der Seite der ukrainischen Armee. Nicht zu vergessen ist, dass Tausende damals in die Ukraine geflüchtete Belarusen wieder fliehen müssen, diesmal nicht vor Repressionen, sondern vor dem Krieg. Die belarusische Zivilgesellschaft steht jetzt vor einer neuen schwierigen Aufgabe: Es darf kein Riss zwischen den Ukrainern und Belarusen entstehen, denn sie kämpfen gemeinsam gegen die Autokratien - für Frieden, Demokratie und Freiheit.