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Goldenes Jubiläum in Südostasien

50 Jahre ASEAN – was hat es gebracht?
Der Hauptsitz des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN) in Jakarta, Indonesien
Der Hauptsitz des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN) in Jakarta, Indonesien © Wikimedia Commons Gunawan Kartapranata (bearbeitet)

ASEAN (Association of Southeast Asian Nations), der Verband Südostasiatischer Nationen, feiert ein rundes Jubiläum. Doch wenn am 8. August nach dem Treffen der ASEAN-Außenminister in Manila die Korken knallen, wird das in den Mitgliedsstaaten ASEANs von den wenigsten wahrgenommen werden. Der Staatenbund ist auch 50 Jahre nach seiner Gründung kaum in der öffentlichen Wahrnehmung verankert. Nur wenige Südostasiaten wissen, wofür die Abkürzung ASEAN steht. Mit dem Motto „Eine Vision, eine Identität, eine Gemeinschaft“ der in Jakarta beheimateten Organisation können die wenigsten etwas anfangen. Und was die Mitgliedschaft ihrer Heimatländer im Staatenbund konkret für sie bedeutet, diese Frage können ASEAN-Bürger meist nur mit einem Achselzucken quittieren. Dieses öffentliche Desinteresse ist allerdings nur teilweise berechtigt, denn so irrelevant ist ASEAN nun auch wieder nicht.

Sommer 1967 – Die Tiger raufen sich zusammen

Im Sommer 1967 trafen sich die Außenminister von Indonesien, Malaysia, den Philippinen, Singapur und Thailand im thailändischen Bang Saen, einem kleinen Küstenort unweit von Bangkok. Der Rückzug der Kolonialmächte hatte weitreichende politische und territoriale Konsequenzen, und die Region durchlebte turbulente Zeiten. Doch wo frühere Anläufe noch scheiterten, konnte nun ein Durchbruch erzielt werden: Man einigte sich auf die Schaffung einer zwischenstaatlichen Organisation, die die Zusammenarbeit in wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Angelegenheiten stützen und Frieden und Stabilität in der Region fördern sollte. Mit der Unterzeichnung der Bangkok Declaration am 8. August 1967 war ASEAN, die Association of Southeast Asian Nations, geboren.

Mit ASEAN schufen die fünf Gründungsmitglieder erfolgreich einen Mechanismus, mit dem regionale Spannungen entschärft und Konflikte größtenteils vermieden werden konnten. Im Jahr 1984 trat Brunei ASEAN bei, 1995 Vietnam, 1997 Laos und Myanmar und schließlich Kambodscha im Jahr 1997. Sie alle profitierten immens von einem der größten Erfolge ASEANs: Die Gewährleistung von mehr oder weniger nachhaltigem Frieden in der Region Südostasien, den die Staaten erfolgreich für Staatenbildung und wirtschaftliche Entwicklung nutzen konnten. Dieser Erfolg ist den außenpolitischen Eliten sehr bewusst, er eignet sich aber nur sehr begrenzt zur öffentlichen Kommunikation.

Die zehn ASEAN-Mitgliedsstaaten

Die zehn ASEAN-Mitgliedsstaaten

© iStock/ Main_sail (bearbeitet)

Mit der Art und Weise der zwischenstaatlichen Kooperation, die die Gründungsmitglieder für ASEAN wählten, setzten sie aber auch dem möglichen Umfang regionaler Integration im Rahmen des Staatenbundes Grenzen. Grundlage der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit sind die Prinzipien der Nichteinmischung in interne Angelegenheiten anderer Mitgliedsstaaten und auf Konsens basierende Entscheidungsfindung. Die strikte Beachtung dieser Prinzipien, auch bekannt als „ASEAN Way“ (dt. etwa: der Weg ASEANs), hat dazu geführt, dass die regionale Integration der ASEAN-Staaten wesentlich langsamer vonstatten ging und geht, als das in vergleichbaren Organisationen, wie z.B. der Europäischen Union, möglich ist. Die Folge: Die Zusammenarbeit bei weniger kontroversen Themen, wie z.B. die wirtschaftliche Integration der Staaten, schreitet voran. Der regionale Fortschritt bei heiklen Themen, wie politische Integration oder Menschenrechtsschutz, trifft jedoch auf starken Widerstand einzelner Mitgliedsstaaten, und schreitet so teils nur in schneckenartiger Geschwindigkeit fort.

Wirtschaftliche Integration gut, politische Integration mangelhaft

ASEAN ist die siebtgrößte Wirtschaft der Welt. Das Wirtschaftswachstum der Region beträgt knapp 5 Prozent. Im Verlauf der letzten 50 Jahre haben sich die ASEAN-Staaten zu einem ernstzunehmenden, globalen wirtschaftlichen Player entwickelt. Kulminiert hat diese Entwicklung in dem In-Kraft-Treten der ASEAN Economic Community (AEC; dt.: ASEAN Wirtschaftsgemeinschaft) Ende 2015. Sie besteht aus einer Reihe von Abkommen, die im gemeinsamen Wirtschaftsraum Handelstarife auf Güter gesenkt bzw. eliminiert haben, Zollbarrieren schrittweise abbauen, und Dienstleistungsmärkte gegenseitig öffnen sollen. In den kommenden Jahren soll schrittweise weitläufige Waren-, Dienstleistungs-, Arbeitnehmer-, Investitions- und Kapitalfreiheit implementiert und so die regionale wirtschaftliche Integration vertieft werden. Obwohl noch einige größere Baustellen bestehen, z.B. in Bezug auf die Integration der Kapitalmärkte, hat sich die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes bereits ausgezahlt. Mehr und mehr internationale Konzerne, wie etwa Toyota, profitieren von den fallenden Handelsbarrieren und der damit verbundenen Möglichkeit, komplexe Lieferketten einrichten und aufrechterhalten zu können. Sie investieren in den Ausbau von Produktionsstätten in mehreren ASEAN-Staaten und schaffen so Arbeitsplätze.

Doch während ASEANs gemeinsames wirtschaftliches Potential vielversprechend ist, schreitet die politische Integration kaum oder nur langsam voran. Oft werden hier Vergleiche mit der EU bemüht, die sich in einem vergleichbaren Zeitraum wesentlich stärker in Richtung vollständige Integration der Mitgliedsstaaten bewegt hat. Doch solche Gegenüberstellungen sind irreführend. Die Europäische Union betont wesentlich stärker als ASEAN die Erfüllung und Einhaltung gemeinsamer Werte und Prinzipien als Grundvoraussetzung für die Mitgliedschaft in der Union. ASEAN setzt andere Maßstäbe: Geografische Lage in Südostasien, und ein grundsätzliches Bekenntnis zu den in der Bangkok Declaration genannten Werten genügten als Beitrittskriterium. Dementsprechend „farbenfroh“ präsentiert sich das Spektrum politischer Systeme des Staatenbundes. ASEAN umfasst eine absolute Monarchie (Brunei), kommunistische Staaten (Laos und Vietnam), Demokratien (Philippinen und Indonesien), Semidemokratien (Singapur und Malaysia), eine Militärherrschaft mit Demokratiefahrplan (Thailand) und mit Myanmar einen Staat inmitten eines demokratischen Transformationsprozesses. Dieses Gemisch an politischen Systemen, zusammen mit den oben geschilderten Prinzipien des ASEAN Way, macht es wesentlich schwieriger, in politischen oder Menschenrechtsfragen die Interessen der Mitgliedsstaaten unter einem Dach zu vereinen, als die vergleichsweise einfachere wirtschaftliche Integration voranzutreiben.

Von der ASEAN Charta zum Bekenntnis der ASEAN-Staaten

Sichtbar wurde das zum Beispiel bei den Verhandlungen zur ASEAN Charta, die Ende 2007 verabschiedet wurde: In ihrem Entwurf sollten die ASEAN-Staaten noch expressis verbis zur Einhaltung von Demokratie, Menschenrechten und Freiheit gehalten werden. Letzten Endes wurde dies verwässert zu einem grundlegenden Bekenntnis der ASEAN-Staaten zu „demokratischen Prinzipien, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und grundlegenden Freiheiten“. Gleichermaßen kritisiert wurde die Ende 2012 verabschiedete ASEAN Menschenrechtserklärung (AHRD; ASEAN Human Rights Declaration). Obwohl sie das Bekenntnis der ASEAN-Staaten zum Schutz und der Wahrung grundlegender Menschen- und Bürgerrechte verbrieft, ordnet sie diesen Schutz ausdrücklich religiösen und nationalen Gegebenheiten bzw. Interessen unter. Wenngleich sich die ASEAN-Mitglieder nur auf eine begrenzte Menschenrechtsagenda einigen konnten, wurde zumindest teilweise die Möglichkeit geschaffen, auf dem Konsens später aufzubauen und stärkere Integration und Verbindlichkeit zu einem späteren Zeitpunkt zu erlauben.

Außenpolitisch, d.h. im Verhältnis zu Drittstaaten, fristet ASEAN noch ein mitunter wenig sichtbares Schattendasein. So hat ASEAN beispielsweise mit China ein Freihandelsabkommen geschlossen, aber trotzdem kann sich der südostasiatische Staatenbund nicht zu einer gemeinsamen Linie in anderen Punkten durchringen. Chinas territoriale Ambitionen im Südchinesischen Meer führten zu teils erheblichen Spannungen mit Vietnam, den Philippinen und Indonesien. Aber in ihren Bemühungen, dem mächtigen Nachbarn im Norden die Stirn zu bieten, sind sie auf sich selbst angewiesen. Länder wie Kambodscha und Laos sind nur begrenz gewillt, gegenüber China eine einheitliche außenpolitische Linie mitzutragen. Im Rahmen des derzeit stattfindenden Treffens der ASEAN-Außenminister in Manila soll auf Initiative der Philippinen und in Absprache mit China ein formeller Verhaltenscodex für das Südchinesische Meer verabschiedet werden. Doch von einer Lösung des Konflikts sind die betroffenen Staaten meilenweit entfernt. Die Unfähigkeit ASEANs in manchen Konflikten mit einer Stimme zu sprechen, schwächt das Verhandlungspotential des Staatenbundes.

Fazit

Die wirtschaftliche Integration ASEANs schreitet voran und erscheint vielversprechend. Doch obwohl der politische Integrationsprozess bzw. die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten auf regionaler Ebene in manchen Bereichen (Stichwort: Menschenrechte) mangelhaft oder mühsam ist, sollte von übermäßiger Kritik bzw. sinnlosen Vergleichen mit Organisationen wie der Europäischen Union Abstand genommen werden. ASEAN hat sich in den fünf Jahrzehnten seiner Existenz als grundlegender Stabilitätsgarant in der Region bewährt, und seinen Mitgliedern einen Mechanismus zu Zusammenarbeit und Konfliktlösung geboten, der eine nachhaltige sozioökonomische Entwicklung in der Region ermöglicht hat. Und obwohl es zwar stimmen mag, dass die ASEAN Charta und die ASEAN Menschenrechtserklärung hinter manchen Hoffnungen zurückgeblieben sind, darf nicht vergessen werden, dass es einzig und allein ASEAN geschuldet ist, dass hier ein Konsens der Mitgliedsstaaten erreicht werden konnte, der von einigen Staaten eine echte Veränderung erforderlich machte. Das wäre vor wenigen Jahrzehnten noch undenkbar gewesen. ASEAN kann nun auf diesem Konsens aufbauen und schrittweise eine weitere Zusammenarbeit und Integration angehen. Vielleicht findet das nächste runde Jubiläum ASEANs dann mehr Beachtung.

Siegfried Herzog ist Regionalbüroleiter für Südost- und Ostasien, Miklós Romàndy ist Programmkoordinator für Südost- und Ostasien.