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Otto Graf Lambsdorff
"Freiheit und Menschenrechte sind Werte, die für ihn nicht verhandelbar waren"

Anlässlich des 10. Todestages erinnert Alexander Graf Lambsdorff an seinen Onkel Otto Graf Lambsdorff
Otto Graf Lambsdorff
Der FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff während seiner Rede vor den Delegierten beim traditionellen Dreikönigstreffen der FDP am 06.01.1990 in Stuttgart. © picture-alliance / Norbert Försterling

Heute vor zehn Jahren starb Otto Graf Lambsdorff. Ich trauerte um meinen Onkel, die FDP um einen großen Liberalen, Deutschland um einen Staatsmann. Otto Graf Lambsdorff hatte sich der Idee der Freiheit verschrieben, deshalb war er Marktwirtschaftler, überzeugter Transatlantiker und Zeit seines Lebens ein Kämpfer für die Menschenrechte. Sein letzter großer politischer Erfolg war der Abschluss des Abkommens zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter. Diese Verhandlungen, diese späte Gerechtigkeit bedeuteten ihm enorm viel.

Als Bundeswirtschaftsminister hatte er sich großen Respekt erworben, weil er Deutschland nach den Ölkrisen der 70er Jahre wirtschaftlich wieder auf Kurs brachte. Als die SPD sicherheits-, wirtschafts- und sozialpolitisch einen Linksruck vollzog, ihren eigenen Kanzler, Helmut Schmidt im Regen stehen ließ und sich immer mehr den neu entstehenden, teilweise radikalen Grünen annäherte, zog er die Notbremse. Das „Lambsdorff-Papier“ von 1982 setzte dem sozialpolitischen Expansionismus ein wirtschaftliches Reformprogramm entgegen. Gegen alle Kritik hielt mein Onkel an seiner Überzeugung fest, dass kein ausufernder, sondern ein schlanker Sozialstaat die Voraussetzung für Nachhaltigkeit und Stabilität in Wirtschaft und Gesellschaft ist. Nicht selten wurde er deswegen angefeindet. Seine klare Positionierung in wirtschaftspolitischen Fragen stand stellvertretend für seine Grundhaltung, nicht den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, sondern konsequent für seine Überzeugungen einzutreten. Dieses zuweilen sture Festhalten an seinen Grundüberzeugungen zog sich durch und wurde später in seinem Einsatz für Menschenrechte in China und seiner persönlichen Freundschaft zum Dalai Lama erneut für eine breitere Öffentlichkeit sichtbar.

Als er in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung den Dalai Lama empfing, nahm er damit Kritik der chinesischen Regierung und auch der eigenen Partei bewusst in Kauf. Freiheit und Menschenrechte sind Werte, die für ihn nicht verhandelbar waren. Das Verhalten der Zentralregierung in Peking gegenüber Hongkong und die Berichte über die Internierungslager in Xinjiang stellen unsere Beziehung zu China auf eine harte Probe. Was hätte er wohl getan?

Ein echte Herzensangelegenheit waren ihm zeit seines Lebens die transatlantischen Beziehungen. Während er eher nüchtern und leidenschaftslos auf die europäische Integration blickte, war er fest davon überzeugt, dass die USA unser wichtigster Partner sind – in Fragen der Sicherheitspolitik, aber auch der gemeinsamen Werte und Geschichte. Das hieß nicht, dass er die Politik der US-Regierung nicht auch kritisch sah. Noch einen Monat vor seinem Tod sprach mein Onkel in einem Gespräch mit der WELT über die Gefahren des zunehmenden amerikanischen Protektionismus. Er kritisierte die Entscheidung Obamas, Einfuhrzölle auf Reifen aus China zu erheben. Seine Forderung, Zölle abzubauen, Handelskriege zu vermeiden und Freihandelsabkommen zu schließen sind in Zeiten von Trump aktueller denn je. Würde mein Onkel noch leben, würde er mit großer Sorge sehen, dass die US-Regierung unter dem derzeitigen Präsidenten vom Garanten der internationalen Ordnung zu einem Störfaktor geworden ist.

Doch damals wie heute darf berechtigte Kritik an der US-Regierung aber nicht in eine allgemeine Abkehr von den USA umschlagen. Gerade in den Zeiten, in denen der Atlantik breiter zu werden scheint, müssen wir uns auf unsere gemeinsamen Werte, Traditionen und Interessen besinnen. Dabei ist es zentral, nicht nur auf Regierungsbeziehungen zu setzen, sondern auch auf den engen gesellschaftlichen und kulturellen Austausch. Die USA sind als Land der historische Ort der Freiheit, davon war mein Onkel tief überzeugt. Zeit seines Lebens warb er für die Partnerschaft mit dem Land, mit dem ihn auch viele persönliche Kontakte und Freundschaften verbanden. So war es Henry Kissinger, der die Laudatio zu seinem Abschied als Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung hielt. Darin sagte er, dass er wisse, dass sich mein Onkel nie von seinen Aufgaben zurückziehen werden könne „und dass, wenn wir nicht unsere Werte voll erfüllen, etwas von Otto zu hören bekommen.“ Thema der Veranstaltung damals war übrigens das Thema „Marktwirtschaft und Menschenrechte im Spannungsfeld von Wirtschafts- und Außenpolitik“. Mein Onkel war vom kausalen Zusammenhang zwischen Marktöffnung und Menschenrechten überzeugt.

Otto Graf Lambsdorff war nicht nur Wirtschaftspolitiker, sondern liberaler „Überzeugungstäter“, der Freiheit ganzheitlich dachte, enges nationales Denken verabscheute und den Blick immer über Europa hinaus richtete. Er wusste als schwer verwundeter Kriegsteilnehmer, dass Deutschlands Zukunft liberal und weltoffen sein musste, damit unser Land wieder zu einem respektierten und erfolgreichen Glied der internationalen Gemeinschaft werden und nur so eines Tages die Freiheit der Menschen in ganz Deutschland gewonnen werden konnte. Die Geschichte hat ihm Recht gegeben.

 

Alexander Graf Lambsdorff ist seit Herbst 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion mit Zuständigkeit für Außen-, Sicherheits-, Europa- und Entwicklungspolitik.