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#FemaleForward
Erste Innenministerin der Arabischen Welt

Eine Position mit besonderen Herausforderungen
Raya Hassan

Raya Al Hassan, erste Innenministerin des Libanons

© picture Alliance | AP Photo | TroNa GmbH

Knapp 70 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts in Libanon hat es nun auch eine Frau in das prestigereiche Amt der Innenministerin geschafft. Mit Raya Hassan ist zum ersten Mal in der Arabischen Welt eine Frau verantwortlich für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. „Die Welt muss zu einer liberalen Wirtschaftspolitik zurückfinden und eine Politik verfolgen, die Zusammenarbeit, Offenheit, Gleichstellung der Geschlechter und wirtschaftliche Freiheit befürwortet. Dies ist der einzige Weg zum Vorteil aller“, sagte sie am Tag nach ihrer Vereidigung auf einer Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Beirut.

Ein historischer Rekord

Libanesische Wähler sind das Warten gewöhnt. Erst 1952, nach einem über 30 Jahre andauernden Kampf, konnten sich endlich Frauen an Wahlen im Libanon beteiligen. Nicht ganz so lang – aber dennoch zu lange – mussten die Libanesen auf die letzte Parlamentswahl warten: Nach drei Verschiebungen und insgesamt neun Jahren wurden sie im Mai 2018 an die Urnen gerufen, um ein neues Parlament zu wählen. Doch die anschließende Regierungsbildung erforderte erneut … Warten. Erst nach neun Monaten – Ende Januar 2019 – verkündete Ministerpräsident Saad Hariri, dass die 18 verschiedenen Parteien des Parlaments sich einigen und ein funktionsfähiges Kabinett bilden konnten. Im Mittelpunkt der Nachrichten stand diesmal jedoch nicht Ministerpräsident Hariri, sondern die Besetzung des Innenministeriums durch die frühere Finanzministerin Raya Hassan. Sie feierte als erste Innenministerin Libanons und der Arabischen Welt Premiere. Raya Hassan, frühere Stipendiatin der Stiftung für die Freiheit, hat einen Master of Business Administration von der George Washington University absolviert und arbeitete bereits für die Weltbank sowie das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen.

Dem neuen 30-köpfigen Kabinett gehören neben Hassan drei weitere Frauen an. Das ist nicht nur ein historischer Rekord für die politische Repräsentation von Frauen im Libanon, sondern auch ein bewegender Schritt für Politikerinnen im Nahen Osten. Zwar stieg laut Weltbank, den Vereinten Nationen und Interparlamentarischer Union die Zahl von Frauen in arabischen Parlamenten signifikant auf 21 Prozent im Jahr 2017 an, dennoch liegt sie unter dem globalen Durchschnitt von 25 Prozent. Die eigentliche Sensation ist allerdings nicht, dass vier neue Ministerinnen Ämter übernommen haben, sondern dass eine Frau das Innenministerium leitet. Immer noch haben Frauen oft politische Verantwortung für Ministerposten, die “weiblichen” oder “weichen” Themen zugeordnet sind. So werden Ministeriumressorts wie Bildung, Gesundheit oder Soziales mit den traditionellen Rollen von Frauen in der Gesellschaft assoziiert. Die Innenministerien sind dagegen als Männerbastionen bekannt und werden global größtenteils von Männern beherrscht.

Eine Position mit besonderen Herausforderungen

Im patriarchalisch geprägten arabischen Raum ist Raya Hassan nun als erste Frau an die Spitze des Innenministeriums gerückt und ist damit verantwortlich für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit des Landes. Eine enorme Herausforderung in einem Land, das noch immer an den sichtbaren Narben des langen Bürgerkrieges leidet. Damit aber nicht genug: Der Syrienkrieg ist noch lange nicht beendet und treibt weiterhin Flüchtlinge und Probleme in den Libanon. Erst vor Kurzem zeigte sich syrisches Militär auf libanesischem Boden. Seit Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 befindet sich der Libanon im Kriegszustand mit seinem Nachbarn. Der iranische Einfluss, das politische sowie soziale Erstarken der Hizbollah im Parlament sowie in der Gesellschaft tragen ebenfalls zu einer volatilen Situation bei, die man als explosiv beschreiben muss. Als Innenministerin hat sich Raya Hassan diesen Herausforderungen zu stellen.

Neben der angespannten geopolitischen Lage spitzt sich die wirtschaftliche Lage des Landes zu. Die staatliche Verschuldung ist mittlerweile auf rund 74 Milliarden Euro angewachsen und erreicht damit 155 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.  Damit ist Libanon das Land mit der weltweit drittgrößten Staatsverschuldung. Auch die libanesische Wirtschaft leidet stark unter dem Syrienkrieg. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat über eine Million Geflüchtete im Libanon registriert. Schätzungen zufolge sollen zusätzlich eine Million Syrer im Libanon leben, die sich nicht beim UNHCR gemeldet haben. Damit hat keine andere Nation in Relation zur eigenen Bevölkerungsgröße so viele Flüchtlinge aufgenommen wie der Libanon. Die Weltbank schätzt den wirtschaftlichen Verlust durch den Syrienkonflikt im Zeitraum 2012 bis 2015 auf ungefähr 13,1 Milliarden Dollar. Hinzu kommt, dass die Arbeitslosenquote im Land mittlerweile auf 36 Prozent gestiegen ist.

Eine Frau mit Vision

Der politischen Frustration möchte Raya Hassan mit konkreten Maßnahmen entgegenwirken. Die 52-jährige Sunnitin ist Mitglied des pro-westlichen Bündnisses “Allianz des 14. März” von Ministerpräsident Saad Hariri. Größte Partei dieses Bündnisses ist die Partei “Future Movement”, die auch parteipolitische Partnerin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Libanon ist. Dass die neue Innenministerin Gespür für öffentlichkeitswirksame Entscheidungen hat, bewies sie unmittelbar nach ihrem Amtsantritt. Als eine ihrer ersten Handlungen ließ sie Straßensperren entfernen, die einst als Sicherheitsmaßnahme gedacht waren, jedoch im verkehrsproblematischen Beirut täglich zu Staus führten. Symbolisch sollte die Entfernung dieser Beton-Blöcke Barrieren beheben und so Politik und Bevölkerung einander annähern. Dies verschaffte ihr die notwendige Aufmerksamkeit, ihre politischen Prioritäten einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Zu diesen Prioritäten gehören die Bekämpfung häuslicher Gewalt, der Kampf gegen illegalen Waffenhandel und eine bessere Zusammenarbeit zwischen den mehrheitlich männlich besetzten, verschiedenen Konfessionen zugehörigen und deshalb miteinander konkurrierenden Sicherheitsbehörden.

Weibliche Vorbilder des Nahen Ostens 

Es liegt nun in der Hand von Frauen wie Raya Hassan, die Erwartungen, die in sie gesetzt werden, mit Leben zu füllen. Bedauerlicherweise ist die politische Partizipation von Frauen in Ländern des Nahen Ostens bisher vergleichsweise gering. Weibliche Führungskräfte findet man daher in der Politik nur selten. Während Frauen in der arabischen Welt, vor allem nach dem „Arabischen Frühling“, zwar an Demonstrationen oder Social-Media-Kampagnen teilnehmen und sich auf eine künstlerische Weise politisch ausdrücken, fehlt es weiterhin an einer breiten politischen Teilhabe. Dies ist weitgehend auf kulturelle Barrieren, den fehlenden Zugang zu wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen und das Fehlen erfolgreicher, aktiver Vorbilder in der Politik zurückzuführen. Zumindest in letztem Punkt senden die Ministerinnen der neuen libanesischen Regierung ein klares Zeichen. Allzu viele Chancen und Zeit werden sie aber nicht haben. Sollten sie scheitern, würde es wohl wieder eine Weile dauern, bis eine Frau die Möglichkeit erhalten würde, das Innenministerium zu leiten. Libanesen – und wahrscheinlich die Arabische Welt – müssten dann lange warten, bis erneut einer Frau eine solche Position angeboten werden würde.