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Ein König und sein Kontinent

Marokko als „eurafrikanischer Hub“ und neuer, diskreter Player
Marokko

Das in Afrika bestens vernetzte Marokko bietet eine gute Ausgangslage für Investition, Produktion und Export.

© iStock/ bergsbo

„Was uns anbetrifft, steht Afrika für die Zukunft.“, kündigte Marokkos König Mohammed VI. an. In seiner Thronrede vom 20. August bekräftigte er damit die Leitlinien seiner Afrika-Strategie, die er genau ein Jahr aus demselben Anlass dargelegt hatte. Die Wiederaufnahme in die Afrikanische Union (AU) im Januar 2017 wurde langfristig und sorgfältig durch diplomatisches, wirtschaftliches und kulturelles wie religiöses Engagement vorbereitet. Marokkaner sprechen vorzugsweise von Aufnahme mit dem Argument, dass es sich nicht mehr um dieselbe Organisation handele, die sie 1984 wegen Streitigkeiten über die West-Sahara verlassen hatten.

Der nächste Schritt ist eine Mitgliedschaft in der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, in Europa meist unter seinem englischen Akronym ECOWAS (Economic Community of West African States) bekannt. Beim letzten Gipfel im Juli dieses Jahres in Monrovia bekamen die Marokkaner bereits ein prinzipielles „Ja“. Die Entscheidung über den Status – Beobachter, privilegierte Partnerschaft oder Vollmitgliedschaft – steht noch aus. Bis Dezember 2017 hält man sich in Rabat bedeckt, was das jeweils konkret bedeuten könnte: Freihandelszone, Budgetharmonisierung, gemeinsame Zölle etc. Europas brennendste Frage bleibt bis dahin unbeantwortet und lässt sich noch nicht beurteilen: Was bedeutet Freizügigkeit für 350 Millionen Menschen mit direktem Zugang zu Europas Außengrenzen in den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla und in nur 14km Entfernung von Spaniens Südküste?

Die Früchte hängen tiefer

Während König Hassan II (reg. 1961–1999) noch die „Krone des Baumes Marokko in Europa“ sah – mit „Wurzeln in Afrika“ wohlgemerkt, hängen für König Mohammed VI. die Früchte tiefer; das heißt Sub-Sahara. Seit seiner Amtsübernahme 1999 hat er freie Hand, neue Afrika-Akzente zu setzen. Und er tut es. Der „Reisekönig“ unterzeichnete fast eintausend Abkommen, Konventionen und Verträge. Immer begleitet von „business diplomats“ entwickelte sich das Königreich zu einem der größten Direktinvestoren in Afrika und zum größten Empfängerland von Investitionen auf dem Kontinent. Mehr als eintausend Firmen Durchqueren die Sahara auf der Suche nach Investitionsoasen. Kulturelle wie religiöse Kontakte werden intensiviert. Zudem engagiert sich Marokko weiterhin mit Militärmissionen.

Mohammed VI. und Putin
Weg vom Westen? Marokkos König orientiert sich auch gen Russland. © CC BY 4.0/ wikipedia.org Kremlin.ru

Arabien Adieu?

Durch die Beziehungen zum östlichen Nachbarn Algerien ist Marokko vom Rest der arabisch-islamischen Welt abgeschnitten. Dort ist für Marokko politisch wie wirtschaftlich aber ohnehin nicht viel zu holen. Die Arabische Liga lädt der König nicht mehr ein und versäumte zudem die letzten beiden Gipfel. Die Union des Arabischen Maghreb (UAM) ist in den Augen des Königs tot. Die Beziehungen sind hauptsächlich auf ökonomische Interessen – vor allem zu den Golfstaaten – reduziert. Ein guter Teil der marokkanischen Projekte in Afrika wird jedoch durch Geld vom Golf finanziert  und auch Marokko selbst ist Ziel der Finanzflüsse. Vor allem für den frankophonen Teil des Kontinents nutzt die Arabische Halbinsel Marokkos Expertise, Erfahrungen und Verbindungen. Von Panarabismus, islamischer Bruderschaft und königlicher Freundschaft ist dabei kaum noch etwas geblieben.

Weg vom Westen?

„Mohammed VI., der Afrikaner“ ist anders als sein Vater strategisch und pragmatisch gleichermaßen in seinem Vorgehen – und unabhängiger: „Marokko ist frei in seinen Entscheidungen und seiner Wahl, es ist nicht die Domäne eines anderen Landes.“ Die französische Zeitung Le Monde sieht gar einen „anti-westlichen Wendepunkt“: Mohammed VI. reist nach Moskau und China, geht Ban Ki-moon wegen seiner Wortwahl „Besetzung“ bezüglich der West-Sahara an und konfrontiert die EU wegen der Entscheidung, dass Waren aus der West-Sahara nicht „Made in Morocco“ sind – und damit nicht unter das Freihandelsabkommen fallen. Marokko reiht sich ein in die stabilen arabischen Monarchien und der König warnte– ohne sie zu nennen – diejenigen, die gegen sie „Komplotte schmieden“. Dabei beschwört er mit Rückblick auf den Arabischen Frühling das Bild eines „unheilvollen Herbstes“ herauf und erteilt der Dominanz des Westens eine Abfuhr: „Diese Staaten haben nicht das Recht, von den Ländern des Südens einen radikalen und schnellen Wandel zu fordern [...] als ob sich Entwicklung nur nach dem Maßstab eines einzigen Modelles realisieren ließe: dem westlichen Modell.“

Ein „eurafrikanischer Hub“

Obschon sich Europa neuerdings einem selbstbewussten und politisch unabhängigen Player gegenübersieht, bietet das in Afrika bestens vernetzte Marokko eine gute Ausgangslage für Investition, Produktion und Export – ein „euroafrikanischer Hub“ gemäß dem marokkanischen Botschafter in Paris. Auch in Sicherheitsfragen ist das Land für Kooperationen interessant. Unerlässlich wird es zur Lösung von Flüchtlings- und Migrationsfragen.

Europäische Organisationen und Institutionen sollten Marokkos Engagement in Afrika und sein „delikates Gleichgewicht“ in der Außenpolitik in Betracht ziehen. Und selbst in der Wirtschaft wäre zu überdenken, ob es je nach Zielsetzung zweckmäßiger sein kann, Marokko aus MENA-Referaten zu lösen und in die Afrika-Abteilungen zu übersiedeln. Die Verzahnung Marokkos mit Afrika ist jetzt schon intensiver als mit dem Nahen Osten. Nur so ließen sich potentielle Synergien dieser Strategie selbst schon in der eigenen, internen Organisationskommunikation besser nutzen. Denn die Ausrichtung auf Afrika wird fortschreiten und intensiviert werden. Schließlich ist der König überzeugt: „Afrika ist ein großer Kontinent, durch seine lebendigen Kräfte, seine Ressourcen und seine Potentiale. Es muss sich selbst in die Hand nehmen, es ist nicht länger ein kolonialisierter Kontinent.“ Mohammed VI. hat damit schon einmal angefangen.

Olaf Kellerhoff ist Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Marokko.