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Wirtschaftskrise
Ein Angriffskrieg gegen die Weltwirtschaft

G 20 Treffen 2021

Drohen die globalen Wirtschaftsinstitutionen zu zerfallen?

© picture alliance / Pressebildagentur ULMER | ULMER

Der russische Angriff auf die Ukraine hat jegliche Illusionen über das Ende des Kalten Krieges genommen, der zunehmende Systemwettbewerb ist damit in eine neue Phase eingetreten. Eine Koexistenz beider Systeme in einer Weltwirtschaftsordnung ist erstrebenswert, stellt aber für die Koordinierung globaler Wirtschaftspolitik eine zunehmende Herausforderung dar. Nach der globalen Finanzkrise 2007 hat sich die Gruppe der Zwanzig (G20) als zentrales Koordinierungsgremium für die Weltwirtschaft etabliert. Für viele galt die G7 als Format der führenden demokratischen Industriestaaten nicht mehr als ausreichend, um die Herausforderungen der Weltwirtschaft angemessen zu adressieren. Mit der G20 war zugleich das Versprechen auf eine inklusivere und effektivere Koordinierung bei Fragen der Globalisierung verbunden. Vor allem für die Volksrepublik China war die G20 eine weitere Gelegenheit, im Rahmen des dualen Ansatzes den Einfluss im Bereich der Global Economic Governance auszubauen. Doch mit Zunahme des Systemwettbewerbs und vor allem des russischen Angriffskriegs verlieren die G20 rapide an Bedeutung. Aus Protest gegen die russische Teilnahme am G20-Treffen der Finanzminister und Finanzministerinnen am Rande der IWF-Frühjahrestagung haben Teile der G7-Staaten den Raum aus Protest verlassen. Als Reaktion auf die Einladung an Russland und die Zusage Putins, am G20 Gipfel in Indonesien teilzunehmen, erwägen einige Staaten bereits ihre Teilnahme abzusagen. Die Folgen für globale Institutionen und Global Governance sind noch nicht abzusehen. Positivere Szenarien gehen von einer differenzierteren Form der Koordinierung aus, in deren Rahmen in einigen Bereichen, wie etwa dem der Mindestbesteuerung, globale Lösungsansätze gefunden werden können, in anderen Feldern eine konfrontativere Haltung vorherrscht. In einem derart selektiven Multilateralismus gewinnen die G7 an Bedeutung, könnten aber auch durch die BRICS-Gruppe herausgefordert werden. Im schlimmsten Fall wird es wirtschaftliche Koordinierung nur noch in Blöcken geben. Das kann in einigen Bereichen angebracht sein, um etwa liberale Demokratien vor einseitiger Abhängigkeit von autoritären Regimen zu schützen. In Bereichen wie dem Klima und Umweltschutz, der Pandemieprävention oder auch dem Kampf gegen Steuerhinterziehung wäre der Wegfall globaler Steuerung verheerend.

Eine präzedenzlose Sanktionierung

Neben Russland stellt hier vor allem die zweitgrößte Volkswirtschaft China ein großes Problem dar. Während in den Vereinten Nationen 141 Staaten den russischen Angriffskrieg verurteilt und die G7-Staaten ein historisches Sanktionspaket beschlossen haben, kann sich China nicht zu einer offenen Ablehnung des völkerrechtswidrigen Krieges durchringen. Die Alternativen zur bestehenden Weltwirtschaftsordnung, ihren Institutionen und dem westlichen Finanzsystem rücken dadurch deutlicher in den Vordergrund. Das hängt mit dem Krieg selbst, aber vor allem mit dem umfassenden Sanktionspaket zusammen. Es gilt als eines der größten der Geschichte. Die Liste an Staaten, die sich anschließen, und auch der Umfang der Maßnahmen haben sich stetig verlängert und selbst Staaten, die nicht aktiv Sanktionen verhängt haben, sind gezwungen, sich an der Umsetzung zu beteiligen. Dadurch ist Russland weitgehend von westlichen Finanzmärkten, der Nutzung des Dollars für Transaktionen und dem Zahlungskommunikationsnetzwerk SWIFT ausgeschlossen. Vor allem das Einfrieren von Vermögenswerten einer Zentralbank oder generell Maßnahmen gegen Zentralbanken sind unüblich. Bislang haben die Vereinigten Staaten lediglich die Zentralbanken von Nordkorea, Venezuela und Iran mit Sanktionen belegt. Ein ähnliches Vorgehen gegenüber einem G20-Mitglied galt bislang wegen der Folgen für das globale Finanzsystem als unwahrscheinlich. Aufgrund der Entscheidung, alle Transaktionen mit der russischen Zentralbank zu verbieten, ihre Vermögenswerte einzufrieren und alle Geschäfte in US-Dollar zu untersagen, haben die USA, die EU, Kanada und das Vereinigten Königreich die Möglichkeiten, den Rubel zu stabilisieren, gravierend eingeschränkt. Diese umfassenden Maßnahmen der G7 und der Einsatz des Finanzsystems zu geopolitischen Zwecken werden vor allem von anderen autoritären Staaten mit Sorge betrachtet.

Die drohende Aufspaltung des globalen Finanzsystems

Angesichts der Finanzsanktionen fürchten Beobachter aufgrund der Abkopplung großer Volkswirtschaften die Entstehung alternativer Finanzinfrastrukturen und sehen die Gefahr einer Fragmentierung des Finanzsystems (Bilotta 2022). Aufbauend auf ihrer Forschung zur Rolle der BRICS-Staatenim Finanzsystem warnen Zongyuan Zoe Liu und Mihaela Papa vor einer Anti-Dollar-Achse bestehend aus China und Russland, die gemeinsam mit weiteren Ländern wie Indien Alternativen zum dollarzentrierten Finanzsystem aufbauen (Liu/ Papa 2022; Liu 2022). Credit-Suisse-Analyst Zoltan Pozsar spekuliert in einem Bericht für Investoren sogar über die Entstehung eines neuen Weltwährungssystems, das er als Bretton Woods III bezeichnet (Pozsar 2022). In seiner Lesart folgt dieses auf das erste Bretton Woods mit festen Wechselkursen und einem an Gold gekoppelten Dollar sowie auf das Bretton Woods II mit flexiblen Wechselkursen und einer zentralen Stellung für den Dollar. Im Bretton-Woods-III- System, das Pozsar vorschwebt, ist der Wert von Währungen wieder stärker von Rohstoffen abhängig (Poszar 2022). Das sind neben den klassischen Edelmetallen wie Gold auch fossile Energieträger wie Öl und Gas. Die Sanktionen gegen die russische Wirtschaft und die bereits verhängten Embargos gegen die Energieträger sorgen genauso für eine Zweiteilung der Rohstoffmärkte wie die Ankündigung Putins, dass „unfreundliche“ Staaten Gas künftig nur noch in Rubel bezahlen können. Folgt man der Argumentation des Finanzanalysten Poszar, so könnte in dieser sich im rohstoffreichsten Land der Welt abzeichnenden Entwicklung der Beginn eines neuen rohstofforientierten Währungssystems im Osten liegen, welches das Euro-Dollar-System des Westens herausfordert. Sogar der IWF zeigt sich besorgt über eine Fragmentierung des Finanzsystems und die möglichen Auswirkungen auf die Stabilität des Dollars. Die stellvertretende, geschäftsführende Direktorin Gita Gopinath beobachtet bereits, dass einige Länder die Währung, in der sie für internationalen Handel bezahlt werden, ändern lassen (Financial Times 2022).

Herausforderungen des Systemwettbewerbs

Die zentrale Stellung des Dollars in der Weltwirtschaft ist dabei in erster Linie der Schwäche anderer, großer Währungen geschuldet. Viele Staaten scheuen die Kosten, die mit einer Internationalisierung der eigenen Währungen und der Verantwortung einer globalen Währung verbunden sind (Cohen 2019). Die Diversifizierung der Reserven von Zentralbanken stärkt dabei auch vor allem die Währungen von Staaten, die in der Vergangenheit zu Unterstützern der liberalen Weltwirtschaftsordnung gehört haben. Doch auch wenn es wahrscheinlich ist, dass die Rolle des Dollars auf absehbare Zeit dominant bleiben wird, sind die aus der zunehmenden Eskalation des Systemwettbewerbes entstehenden Herausforderungen für das existierende Bretton-Woods-System und deren Institutionen enorm.

Zusammensetzung der weltweiten Devisenreserven im 2. Quartal 2021 nach Währungen