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Transatlantisches Kooperationsforum
Bereit für den nächsten Schritt? Das vierte Treffen des Trade and Technology Council

US-Außenminister Antony Blinken spricht während eines Pressetermins in der Luftflotte F 21, Kallaxheden in Lulea, Schweden, am 30. Mai 2023.

US-Außenminister Antony Blinken spricht während eines Pressetermins in der Luftflotte F 21, Kallaxheden in Lulea, Schweden, am 30. Mai 2023.

© picture alliance / EPA | Jonas Ekströmer

Seit vergangener Woche ist klar: Deutschland ist in eine Rezession gerutscht. Umso wichtiger ist es, dass Europa seine Handelsbeziehungen mit den Vereinigten Staaten und anderen demokratischen Partnerländern etwa in Lateinamerika vertieft. Denn der Abbau von Handelshemmnissen bietet enormes Wachstumspotential für die Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks. Während das geplante Handelsabkommen zwischen den Mercosur-Staaten (Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay) und der EU langsam an Momentum gewinnt, gab es in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und den USA zuletzt Verstimmungen. Grund ist der Inflation Reduction Act (IRA), ein umfassendes Gesetzespaket, das der US-Kongress im August 2022 beschlossen hat: Der IRA stellt in den kommenden Jahren rund 369 Milliarden US-Dollar Subventionen für klimafreundliche Produkte und Technologien in Aussicht. In Europa wird befürchtet, dass die Förderung zu Wettbewerbsnachteilen führt, weil sie auf nordamerikanische Produktion beschränkt ist. Doch in den vergangenen Monaten hat sich die Lage verbessert. Sowohl Washington als auch Brüssel haben Vorschläge gemacht, um bei kritischen Rohstoffen und Technologien enger zu kooperieren. Die Erwartungen an das vierte Ministertreffen des transatlantischen Trade and Technology Council (TTC) am 30. und 31. Mai im schwedischen Luleå sollten also hoch sein.

Volle Agenda für die transatlantischen Partner

Der TTC wurde im Juni 2021 auf einem US-EU-Gipfeltreffen ins Leben gerufen, um die Handelsbeziehungen nach dem Trump-Desaster zu reparieren. Das transatlantische Koordinationsforum ist der Versuch von US-Präsident Joe Biden und der EU Kommission eine engere Koordination der beiden Wirtschaftsblöcke in Fragen des Handels und der Regulierung von Technologie zu erreichen. An den drei bisherigen Ministertreffen des TTC in Pittsburgh, Paris und Maryland haben hochrangige Regierungs- und Kommissionsvertretern wie die Vizepräsidenten der EU-Kommission, Margrethe Vestager und Valdis Dombrovskis auf europäischer Seite sowie US-Außenminister, Antony Blinken, US-Wirtschaftsministerin, Gina Raimondo und US-Handelsbeauftragte, Katherine Tai auf amerikanischer Seite teilgenommen. Die Liste der Themen auf der Agenda für das Treffen in Schweden ist lang, die der konkreten Erfolge bisher eher kurz. Immerhin konnte der TTC unter anderem dazu beitragen die Handelsstreitigkeiten um die Stahl- und Aluminium-Zölle sowie den Boeing-Airbus-Streit zumindest auszusetzen. Außerdem spielte der TTC eine Rolle bei der Vorbereitung der Sanktionen gegen den russischen Angriffskrieg, mit denen der Export kriegsrelevanter Technologien unterbunden werden soll. Beim Thema künstliche Intelligenz haben sich die Partner beim letzten Treffen in Maryland auf eine Roadmap verständigt, die durch die Fortschritte bei ChatGPT und im Bereich der Künstlichen Intelligenz allgemein als nochmal drängender betrachtet wird. Und auch im Bereich des Quantencomputing gibt es Signale der Einigung auf gemeinsame Forschungsprogramme. Beim Thema Halbleiter haben sowohl die EU und die USA eigene Gesetze auf den Weg gebracht, wollen sich auf gemeinsame Frühwarnsysteme verständigen, um Probleme und Vulnerabilitäten in den Lieferketten für Chips schneller zu erkennen sowie Mechanismen etablieren, die einen Subventionswettlauf bei dem Thema verhindert.

Gemeinsam gegen Peking

Der Umgang mit dem Systemrivalen China gehört zu den wichtigsten Fragen für die transatlantische Zusammenarbeit. Ein zentraler Unterschied zwischen der Trump- und Biden-Präsidentschaft ist die engere Abstimmung mit den Verbündeten. Hat Bidens Vorgänger vor allem auf Alleingänge gesetzt, hat die aktuelle Regierung aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. In den 1990ern hatten die USA unilateral den Export von Satellitentechnologie nach China zu unterbinden. Ohne Abstimmung mit Europa hatte das zur Folge, dass die europäische Industrie einen großen Marktanteil von den Amerikanern übernommen hat und das chinesische Raketenprogramm von Europa unterstützt wurde. Aus heutiger Sicht ein unangenehmes Ergebnis für beide Seiten. Denn nur China profitiert von mangelnder Abstimmung zwischen Washington und Brüssel. Das soll bei der Chipherstellung, künstlicher Intelligenz und Biotechnologie anders laufen. Zwar sind die USA bei Export- und Investitionskontrollen zwar zunächst wieder allein vorgeprescht, stimmen sich jetzt aber immer mehr Verbündeten ab. In Luleå werden Kommission und US-Regierungsvertreter darüber sprechen, wie man sich gegenseitig früher über geplante Exportrestriktionen und Investmentscreening informieren und untereinander abstimmen kann. So soll es künftig eine koordinierte Anpassung zwischen den EU und USA bei Exportbeschränkungen für sicherheitskritische Güter geben. Die EU und die USA sind sich dabei allerdings auch einig darin, dass der Wunsch nach einem De-Coupling, also einer kompletten Entkopplung von Chinas Wirtschaft, illusorisch ist. Die US-Handelsbeauftragte, Katherine Tai hat sich zuletzt sehr positiv über das europäische Konzept des De-Risiking, also einer Reduzierung von Risiken durch die Diversifizierung von Lieferketten und den Abbau von einseitigen Abhängigkeiten gegenüber China, geäußert. Ein zwischen den transatlantischen Partnern abgestimmter Ansatz ist dabei in jedem Fall effektiver und bietet auch die Möglichkeit weitere Staaten zu einer kritischen Haltung gegenüber chinesischen Investitionen und Abhängigkeiten zu bewegen.

Wie stehen die Chancen für ein Mini-TTIP?

Ein entscheidender Weg um Handelsströme von China in Richtung demokratischer Partner umzulenken sind Freihandelsabkommen. Niedrigere Zölle, geringere Transaktionskosten und regulatorische Hürden schaffen einen Anreiz für Unternehmen den Austausch mit Staaten auszuweiten, mit denen es Freihandelsabkommen gibt. Wenn das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP nicht vor knapp zehn Jahren an irrationalen Bedenken gegenüber Chlor-Hähnchen gescheitert wäre, hätte es nicht nur keinerlei Aufregung über den IRA gegeben, es gäbe auch bereits eine tiefere Integration zwischen dem europäischen und dem amerikanischen Binnenmarkt. Gerade bei klimafreundlichen und innovativen Technologien ist die Abhängigkeit von Rohstoffen aus China besonders ausgeprägt. Die Volksrepublik ist führend in der Produktion von Photovoltaik-Technologie und kommt bei einigen Vorprodukten und Rohstoffen auf einen Produktionsanteil von fast 100 Prozent. Allein im vergangenen Jahr kamen 87 Prozent aller nach Deutschland importierten Photovoltaikanlagen aus der Volksrepublik. Ein gemeinsamer transatlantischer Markt für grüne Technologien könnte dieser chinesischen Übermacht sowohl im Bereich der Technologieentwicklung, der Produktion und den Rohstoffen etwas entgegenzusetzen. Die Skalierbarkeit für nachhaltige Produktion und Produkte wäre größer und die Investitionsmöglichkeiten größer. Um einen solchen Markt zu schaffen, hat Handelskommissar Valdis Dombrovskis ein grünes Mini-TTIP vorgeschlagen. Mit der Transatlantic Initiative on Sustainable Trade (TIST) gibt es auch bereits einen formalen Namen für ein solches Abkommen. Konkret soll es anders als umfassende Handelsabkommen nur die weitere Marktöffnung lediglich auf klimaneutrale Technologien und Produkte beschränken wie zum Beispiel auf Windräder, Batterien, Wärmepumpen oder Elektrolyseure, Die US-Seite zeigte sich interessiert und TIST findet sich auch in der Abschlusserklärung des letzten TTC Treffens, bisher blieben die Zusagen jedoch unverbindlich. Denn auch wenn der Abbau von Handelshemmnissen in allen Bereich wünschenswert ist, wäre jede weitere Marktöffnung zwischen den EU und den USA ein wichtiger Schritt für das Wachstum und die strategische Ausrichtung beider Märkte.

Im Systemwettbewerb mit China und Russland haben liberale Demokratien nur eine Chance, wenn sie enger zusammenarbeiten. Das vierte Treffen des US-EU TTC bietet nun die Chance den nächsten Schritt in der transatlantischen Handelszusammenarbeit zu gehen. Man muss sie nur nutzen.