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Antisemitismus
Antisemitismus ist bittere Realität

Nach 1700 Jahren jüdischen Lebens in Deutschland ist Antisemitismus immer noch bittere Realität
Polizisten vor dem Eingang der neuen Synagoge in Berlin
Noch immer müssen zahlreiche Synagogen in Deutschland von der Polizei geschützt werden © picture alliance/dpa | Fabian Sommer

Wir feiern in diesem Jahr ein Jubiläum, das angesichts unserer Geschichte keine Selbstverständlichkeit ist: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Die Geschichte des Judentums ist eine Geschichte von Gewalt, Unterdrückung, Verfolgung und Genozid. Und noch immer ist Deutschland kein sicheres Land für die 95.000 hier lebenden Juden.

Das hat der Angriff auf die Synagoge in Halle mit erschreckender Brutalität gezeigt. Er reiht sich ein in eine Serie antisemitischer Gewalttaten in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Unvergessen bleibt der Mord an dem Verleger Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke 1980; zu oft vergessen werden unzählige Brandanschläge auf Synagogen, jüdische Schulen, Kindergärten, Cafés und Friedhöfe überall im Land. Für 2019 meldete das Bundesinnenministerium mehr als 2000 erfasste Gewalttaten gegen Juden, so viel wie nie seit Beginn der Aufzeichnung. „Wehret den Anfängen?“ Dafür ist es zu spät.

Den Kampf gegen den Antisemitismus gilt es daher jeden Tag von Neuem zu führen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Der Antisemitismus ist kein abstraktes Schreckgespenst, sondern bittere Realität. Ob auf dem Schulhof, im Büro oder im Seniorenheim – vielerorts sehen sich Juden aller Altersgruppen und Einkommensklassen mit latentem oder sogar offenem Antisemitismus konfrontiert. In jüdischen Gemeinden wächst seit Jahren die Angst vor Übergriffen und sozialer Ausgrenzung aus nachvollziehbaren Gründen.

Den Kampf gegen den Antisemitismus gilt es daher jeden Tag von Neuem zu führen. Konzepte dafür gibt es viele, finanziell ausgestattet und verwirklicht werden zu wenige. Seit Jahren fordern Politiker, Aktivisten und Betroffene, Initiativen der Prävention und Intervention zu stärken, die nicht nur auf wenige Monate oder Jahre befristet sind. Dazu gehört sowohl die Aufarbeitung der Geschichte des Antisemitismus in allen Ausbildungs- und Fortbildungsplänen und der Besuch eines Konzentrationslagers als fester Bestandteil von Schulausbildung und Beamtenlaufbahn als auch ein verstärkter Austausch mit Israel. Es braucht staatlich finanzierte Anlaufstellen und ein wirksames Monitoring.

Schließlich müssen auch die Strafverfolgungsbehörden mit Sensibilität und Ressourcen ausgestattet sein, um auch Straftaten wie Beleidigungen nachzugehen. Elan Carr, der Sonderbeauftragte der amerikanischen Regierung, hat angeregt, antisemitische Straftäter mit vergleichsweise geringer Schwere der Tat zu verpflichten, eine Gedenkstätte, ein Museum oder eine Aufklärungsveranstaltung zu besuchen. Wichtig wäre es auch, direkte Begegnungen mit Menschen jüdischen Glaubens zu ermöglichen.

Wenn Antisemiten Juden in Deutschland das Existenzrecht absprechen, ist es unsere Aufgabe, ihnen zu zeigen, wie falsch sie damit liegen. Wir müssen dafür einstehen, dass es weitere 1700 Jahre und darüber hinaus in Deutschland jüdisches Leben geben kann.