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America First – Trumps undifferenzierte Handelspolitik

Anspruch und Realität der US-amerikanischen Handelspolitik unter Donald Trump
Präsident Donald Trump bei seiner Kundgebung "Make America Great Again"
Präsident Donald Trump bei seiner Kundgebung "Make America Great Again" in Tulsa © picture alliance / AA | Kyle Mazza

Donald Trump hat die Handelspolitik stärker als viele seiner Vorgänger in das Zentrum seiner politischen Rhetorik gestellt. Das gilt sowohl für den letztlich erfolgreichen Wahlkampf im Jahr 2016 als auch für die ungefähr dreieinhalb Jahre, die er jetzt im Amt ist. In dieser Zeit hat seine Regierung auf diesem Feld verschiedene, teilweise einschneidende politische Entscheidungen getroffen. Es lohnt deshalb, einige wesentliche Felder der US-amerikanischen Außenhandelspolitik etwas genauer zu betrachten. Inwieweit bricht Trump mit der traditionellen amerikanischen Handelspolitik, inwieweit setzt er aber auch Ansätze seiner Vorgänger fort? Welche seiner Ankündigungen hat Trump wahrgemacht, welche Folgen sind für die globale Handelsordnung zu erwarten? 

Ein Blick zurück

Über Jahrzehnte waren die USA der Motor des Auf- und Ausbaus der globalen Handelsordnung. Ihr entschiedener Einsatz für den Freihandel prägte einen Prozess, der über zahlreiche globale Verhandlungsrunden vom GATT zur WTO und zu einem immer weniger von Zöllen und anderen Handelshemmnissen beschränkten internationalen Handel führte. Immer mehr Staaten wurden einbezogen. Während im Jahr 1947 23 Staaten GATT unterzeichneten, sind heute 164 Staaten Mitglied der WTO. Ein bis heute besonders stark nachwirkender Schritt war der Beitritt Chinas im Jahr 2001, den die USA massiv unterstützten.

Das globale Eintreten für den Freihandel war jedoch von Beginn an mit innenpolitischen Auseinandersetzungen verbunden, in denen sich organisierte Interessen äußerten, die vor allem die Bedrohungen durch die Öffnung für den globalen Handel artikulierten und erfolgreich für ein politisches Instrumentarium stritten, das einzelne Industrien vor als unfair wahrgenommener Konkurrenz schützen sollte. Das Argument, dass, vereinfacht gesagt, Importe per se gefährlich und schädlich, Exporte dagegen gut seien, findet in den USA, aber auch in vielen anderen Ländern breite Zustimmung. Trump hat dieses Denken aufgenommen, simplifiziert und radikalisiert.

Hinzu kamen Argumente, die die nationale Sicherheit betonten und vor einer zu starken Abhängigkeit von ausländischen Anbietern bei strategischen Gütern warnten. So wurden Gesetze geschaffen, die es US-Behörden ermöglichen, relativ leicht sogenannte Anti-Dumping-Maßnahmen zu ergreifen und Zölle zu erheben, wenn die Preise bestimmter Güter als unfair und zu niedrig angesehen werden. Dazu kommt z.B. die Regelung im Trade Expansion Act von 1962, die Strafzölle ermöglicht, wenn bei bestimmten Gütern, die verteidigungsrelevant sind, eine zu starke Abhängigkeit von Importen festgestellt wird.

Im Gegenzug für die immer größere Handlungsfreiheit, die der Kongress dem Präsidenten und seinem Handelsbeauftragten bei der Verhandlung von Freihandelsabkommen gab, erhielt das Department of Commerce immer mehr Spielraum bei der Verhängung von Gegenmaßnahmen, die letztlich natürlich bestimmte Interessengruppen befriedigten – neben der Automobil- und der Stahlindustrie wirkten immer mehr Wirtschaftszweige auf Anti-Dumping-Maßnahmen hin. Auf diese Weise haben die politischen Aushandlungsprozesse innerhalb der USA, die eine Politik für mehr Freihandel auf globaler Ebene ermöglichten, gleichzeitig die institutionelle und argumentative Grundlage für eine amerikanische Politik gelegt, die einem multilateralen Freihandel zunehmend skeptisch gegenübersteht und protektionistischer wird.

Skepsis gegenüber der WTO

Präsident Trump ist insgesamt außerordentlich skeptisch gegenüber bindenden internationalen Rechtssystemen – erst Recht beim Handel. Er bevorzugt „Deals“. Die Kritik an der WTO spielte folglich im Wahlkampf eine wichtige Rolle. Diese führte in seiner Amtszeit u.a. dazu, dass die USA die Neubesetzung von Richterstellen in der Berufungsinstanz des WTO-Streitschlichtungsmechanismus, im sogenannten Appellate Body, komplett blockierten. Dieses Vorgehen, das auf den ersten Blick wie ein technisches Detail wirkt, hat jedoch weitreichende Konsequenzen. Da inzwischen der Appellate Body mangels Richtern nicht mehr beschlussfähig ist, können Handelsdispute nicht abschließend geklärt werden, wenn Länder den Entscheidungen der ersten Instanz, den sogenannten Panels, nicht zustimmen. Somit schwindet der Nutzen des effektiven zweistufigen Mechanismus für die Mitgliedsländer. Die Kritik der USA an dieser Stelle ist nicht neu – bereits unter Präsident Obama blockierten sie die Neubesetzung eines Richterpostens über sechs Monate. Vor allem wird dem Appellate Body vorgeworfen, seine Kompetenzen zu überschreiten und über den Vertragstext hinausgehendes Recht zu schaffen – vor allem dadurch, nicht nur den Vertragstext, sondern eigene frühere Entscheidungen als Rechtsgrundlage anzusehen und sich in Entscheidungen darauf zu beziehen.

Diese Bedenken werden nicht nur von den USA vorgebracht, allerdings nur von diesen als Argument für die aktuelle Totalblockade genutzt. Insgesamt zeigen die USA derzeit wenig Bereitschaft, über Veränderungen am Regelsystem und dem institutionellen Design der WTO zu diskutieren. Sie nutzen also ihren großen Einfluss für plakative Einzelmaßnahmen, nicht jedoch für das Hinwirken auf ihre proklamierten Ziele.

China als globaler Konkurrent

Die Fokussierung auf China als globaler, strategischer Konkurrent und Gegner findet in den USA breite Unterstützung in beiden Parteien. Donald Trump hat schon im Wahlkampf immer wieder betont, dass China unfaire Handelspraktiken verfolgt, staatliches Dumping und der Diebstahl geistigen Eigentums sind nur zwei der Vorwürfe. Folglich war es nicht verwunderlich, dass er als Präsident einen Handelskrieg mit China vom Zaun brach. Damit erfüllte er, jedenfalls bei oberflächlicher Betrachtung, sein Wahlversprechen. Dazu nutzte er bestehende Gesetze, sowohl was sicherheitspolitische als auch die Anti-Dumping-Begründung seiner Zölle betraf. Damit wollte er China unter Druck setzen, verschiedenen amerikanischen Forderungen nachzukommen. Sein handelspolitisches Denken ist jedoch hauptsächlich auf „Deals“ und nicht auf gemeinsam akzeptierte und durchsetzbare Regeln fokussiert. So ist das erste Handelsübereinkommen mit China nach dem Beginn des Handelskrieges, der sogenannte  Phase One Deal,  nur ein Sammelsurium von Einzelzusagen, bestimmte Produkte zu kaufen und einige Zölle zu senken. China erklärte sich u.a. bereit, mehr landwirtschaftliche Güter zu kaufen.

Der Handelsstreit mit China zeigt sehr deutlich, dass Handelsmaßnahmen neben den Gewinnern, also den durch Zölle geschützten Industrien auch immer Verlierer haben. Das sind einerseits die Kunden für die Güter, bei denen der Import mit Restriktionen belegt wird. Sie zahlen höhere Preise und haben weniger Auswahl. Ein Beispiel dafür ist die US-Autoindustrie als Großkunde für Stahl und Aluminium.  Hinzu kommen natürlich auch die privaten Nachfrager für zahlreiche Güter. Ein wesentlicher Faktor sind auch die von Gegenmaßnahmen Betroffenen, hier vor allem die Farmer, die nicht mehr nach China exportieren können. Auch diese Gruppen können politischen Einfluss ausüben.

Von NAFTA zu USMCA, raus aus TPP

Am 1. Juli 2020 trat das Nachfolgeabkommen zu NAFTA, dem Handelsabkommen zwischen Mexiko, den USA und Kanada, in Kraft. Damit hat Präsident Trump ein zentrales Wahlkampfversprechen erfüllt. Letztlich gibt es jedoch nicht sehr viele Veränderungen gegenüber NAFTA. Ein tatsächlicher Fortschritt ist die Einfügung eines Abschnittes zur Digitalwirtschaft. Zudem gibt es von den US-amerikanischen Gewerkschaften ausdrücklich begrüßte Regelungen für eine stärkere Durchsetzung von Mindestlöhnen in der Automobilindustrie, die de facto vor allem Mexiko betreffen. Diese verringern die Konkurrenzfähigkeit mexikanischer Produktionsstätten – genau das war das Ziel von Trump, den Gewerkschaften und den US-amerikanischen Herstellern und Zulieferern. Letztlich werden jedoch die Kosten dafür von den Konsumenten in allen drei Ländern getragen.

Die USA haben sich aus der Transpazifischen Partnerschaft (TPP), die von ihnen wesentlich mitinitiiert wurde, zurückgezogen. Das ursprüngliche Abkommen konnte deshalb nicht ratifiziert werden. Die verbliebenen Länder, unter ihnen Mexiko und Kanada, setzten jedoch ein nur leicht verändertes Abkommen in Kraft. Auch die Aufkündigung der TPP war Teil der Wahlversprechen von Trump, wird jedoch auch von vielen seiner Gegner geteilt.

Gewinner und Verlierer

Präsident Trump bewegt sich bei der Handelspolitik stärker als in anderen Bereichen nicht in einer Logik des Gemeinwohls oder der Wohlstandsmaximierung für alle, sondern in der politischen Logik des Verteilens von Wohltaten (Subventionen, Sanktionen gegen Konkurrenten) für wenige, aber gut organisierte Gruppen, und des Ignorierens und Totschweigens der Kosten für viele. Während seine Steuerreform sicher einen (wenn auch nicht den alleinigen) Beitrag zum anhaltenden Wirtschaftswachstum hat, führt seine Handelspolitik zu Wohlstandsverlusten in den USA und noch stärker in anderen Ländern. Ziel seiner Rhetorik ist es, die Gewinnerindustrien hervorzuheben und zum Schwerpunkt seines Wahlkampfes zu machen. Das fällt jedoch zunehmend schwerer. Die ihn mehrheitlich unterstützenden Farmer mussten schon mit einem massiven Subventionsprogramm in Höhe von ca. 26 Mrd. US-Dollar unterstützt werden, um die Folgen des Handelskrieges zu mildern. Gleichzeitig haben die Stahlzölle zum Verlust von Arbeitsplätzen in der Automobil- und in anderen Industrien geführt. Diese wurden zwar per Saldo durch die allgemeine Erhöhung der Beschäftigtenzahlen kompensiert, aber eben nicht in jedem Bundesstaat. Betroffen sind hier einige der Swing States, die wesentlich für die Wiederwahl sind, wie etwa Ohio, Pennsylvania oder Michigan.

Ein Blick nach vorn

Ohne Zweifel hebt sich die Handelspolitik der USA unter Donald Trump durch ihre undifferenzierte und oft brachiale Rhetorik von der seiner Vorgänger ab. Andererseits schließt er an institutionelle Entwicklungen und Denkweisen an, die den Protektionismus begünstigen und eine sehr lange Vorgeschichte haben und breite Zustimmung in großen Teilen des US-amerikanischen politischen Spektrums haben. Die Betonung der eigenen Souveränität und die Skepsis gegenüber der Unterwerfung unter internationale Gerichtsbarkeiten würden unter einem demokratischen Präsidenten ebenso wenig verschwinden wie die Kritik an der chinesischen Wirtschafts- und Handelspolitik oder das Beharren auf einem großen Handlungsspielraum für eigene wirtschaftspolitische Maßnahmen wie Sanktionen und Subventionen. Um die Welthandelsordnung weiterzuentwickeln und die WTO funktionsfähig zu halten, werden die Handelspartner der USA auf viele ihrer Forderungen eingehen müssen.

Das betrifft nicht zuletzt den Umgang mit China und seiner zunehmend stärker staatlich gesteuerten Wirtschaft. Hier ist neben den kurzfristigen Handelsinteressen, die derzeit im Vordergrund stehen, in der Zukunft auch auf europäischer Seite eine stärkere Betonung allgemeiner marktwirtschaftlicher Regeln und eine deutlichere Kritik an vielen Aspekten der politischen Steuerung der Wirtschaft und des Ignorierens von Eigentumsrechten geboten.

Da – nicht nur wegen der US-amerikanischen Haltung – kaum zu erwarten ist, dass die WTO kurzfristig den Rahmen für große handelspolitische Fortschritte bilden kann, sie aber gleichzeitig unverzichtbar ist, könnte eine Doppelstrategie sinnvoll sein: In der WTO auf Verhandlungen über graduelle Verbesserung drängen und gleichzeitig, bestehende regionale Handelsabkommen weiterentwickeln – gerade in Bezug auf funktionierende Streitschlichtungsmechanismen und größtmögliche Offenheit.