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Tschechien
Eiszeit zwischen Tschechien und Russland

Protest gegen Putins verharmlosende Geschichtsdeutungen
Konew-Denkmal
General Konew-Denkmal als es noch stand © Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Die Coronakrise wurde schnell und effizient genutzt - jetzt, wo keine Proteste zu befürchten waren, wurde er entsorgt: General Konew, Marschall der Sowjetunion. Natürlich nicht er selbst, sondern sein Denkmal im Prager Stadtteil Bubeneč. Seither herrscht große Missstimmung zwischen Tschechien und Putins Russland. Die Demontage des Denkmals ist aber nur eine von einer langen Serie gezielter Provokationen an die Adresse des Kremls, mit denen man in Tschechien gegen die neostalinistische Geschichtspolitik Wladimir Putins und für eine angemessene Erinnerung an die Opfer des Kommunismus protestiert.

Seit 1980 stand er in Bronze auf Sockel in Prag: Iwan Stepanowitsch Konew. Dessen Rotarmisten waren am 9. Mai in Prag einmarschiert. Unter den Kommunisten wurde daher der 9. Mai als Tag der Befreiung von der Nazibesetzung gefeiert. Dieses Bild hing immer schon ein wenig schief, denn in Wirklichkeit hatten die deutschen Besatzer schon am Tag zuvor vor den militärischen Anführern des Prager Aufstandes kapituliert. Hauptsächlich von bürgerlichen Widerstandskräften getragen, sollte der Aufstand, der am 5. Mai begonnen hatte, die Nazis vertreiben und gleichermaßen verhindern, dass die Kommunisten die Stadt uneingeschränkt in die Hände bekamen. Erst seit der Samtenen Revolution von 1989 wird der 8. Mai als offizieller Tag der Befreiung gefeiert. Seither machte man sich immer mehr Gedanken über Konew. Der hatte 1956 bei der Unterdrückung Ungarns geholfen und mutmaßlich auch bei den militärischen Planungen zur Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahre 1968. Und daran erinnerte man sich wirklich nur ungern.

Farbbeutel werfen als Volkssport

Immer wieder – zuletzt 2015 und 2016 – gab es im Rat des Prager Stadtteils Bubeneč Debatten, ob man das Denkmal abbauen sollte. Dabei ließ man jedes Mal Gnade walten. Der Preis, den der Rat dafür zahlen musste, war jedoch hoch: den Marschall mit Farbbeuteln zu bewerfen hat sich nämlich zum allgemeinen Volkssport entwickelt, sodass enorme Reinigungskosten mit der Aufrechterhaltung des Denkmals verknüpft waren. Als der Rat im Oktober 2019 schließlich die Demontage beschloss, wusste er, dass dies diplomatischen Ärger verursachen würde. Deshalb zögerte man zunächst mit der Umsetzung des Beschlusses. Die russische Regierung und ihre Botschaft in Prag tönten auch umgehend, in Tschechien sei nun der Faschismus auf dem Vormarsch– ein Vorwurf, der den aus den Reihen der bürgerrechtlich geprägten Partei TOP09 stammenden Bürgermeister Ondřej Kolář empörte. Außerdem argumentierte man in Russland, die Demontage verstoße gegen internationale Verträge zum Schutz von Kriegsgedenkstätten und werde strafrechtliche Folgen für die Verursacher nach sich ziehen, obwohl das eigentlich nur für Kriegsgräber gilt und nicht für die Verherrlichung umstrittener Sowjetmarschalle. Den möglicherweise versöhnlich gemeinten Vorschlag des Prager Bürgermeisters, die Statue doch einfach in den Garten der im selben Stadtteil gelegenen russischen Botschaft zu platzieren, wurde von russischer Seite als zynisch zurückgewiesen. Am 3. April wurde daher – quasi im Schutz der Coronakrise – der Beschluss zum Abbau ausgeführt.

Womit man beim Thema Botschaft ist: Am 27. Februar 2020, dem 5. Jahrestag der Ermordung des russischen Oppositionspolitikers und Bürgerrechtlers Boris Nemzow, gab der Rat einer von unzähligen Bürgern unterzeichneten Petition statt, den Platz vor der russischen Botschaft in „Boris Nemzow Platz“ umzubenennen. Viele Beobachter gingen nach dem Mord an Nemzow davon aus, dass die russische Regierung an der Tat beteiligt war. Zu allem Überdruss für die russische Regierung stimmten auch die Hauptstadt Prag und Oberbürgermeister Zdeněk Hřib der Umbennung öffentlich zu. Da die russische Regierung immer ihre Unschuld beteuerte, lud man den russischen Botschafter zur Einweihung des neuen Straßenschildes ein, was die Wogen jedoch keinesfalls glättete. Erwartungsgemäß nahm der Botschafter nicht an der Zeremonie teil.

Platz im Prager Stadtteils Bubeneč
Nemzow-Platz mit russischer Botschaft und Fahne © Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Ein Koffer voll Gift?

Inzwischen soll es sogar Morddrohungen gegen Bürgermeister Kolář und Oberbürgermeister Hřib gegeben haben, die in den Medien russischen Hintermännern zugeschrieben werden. Eine bekannte Wochenzeitschrift berichtete von einem russischen Agenten, der schon vor drei Wochen mit einem kleinen Koffer voller Giftfläschchen nach Prag gekommen sei. Die Story klingt hanebüchen, aber die beiden Kommunalpolitiker stehen nun unter strengem Polizeischutz. Da man in Tschechien gegenüber Putin zu weniger Appeasement bereit ist als etwa in Teilen der deutschen Öffentlichkeit ließen es sich auch andere Stadtteilbürgermeister nicht nehmen, eine angriffige Politik zu fahren. Nur zwei Monate nach dem Beschluss zum Konew-Denkmal stimmte die von den konservativen Bürgerdemokraten geführte tschechische Stadtregierung des Stadtteils Řeporyje für die Errichtung eines neuen Denkmals zur Erinnerung an die Ereignisse im Mai 1945. Dieses sollte den Soldaten der sogenannten Wlassow Armee gewidmet werden. Die Wlassowsoldaten waren russische Militärkräfte, die 1944 mit Stalins Herrschaft gebrochen und sich auf die Seite Hitlers geschlagen hatten. Gegen Ende des Krieges fielen sie wiederum von Hitler ab und unterstützten den Prager Aufstand vom 5. Mai 1945. Über 300 von ihnen fielen im Kampf für die demokratischen Kräfte in der besetzten Tschechoslowakei. Man mag als Historiker die Wlassow Armee differenziert betrachten, aber als politisches Symbol ist die Entscheidung für ein Denkmal für zeitweilige Nazikollaborateure wohl nicht sonderlich glücklich gewählt, um es vorsichtig auszudrücken. Die Missstimmung zwischen Tschechien und Russland, wo die Wlassowsoldaten als Vaterlandsverräter gelten, wurde dadurch noch einmal dramatisch verschärft. Auch Řeporyjes Bürgermeister Pavel Novotný steht nun unter Polizeischutz.

Guerilla-Aktionen

Die seit der Niederschlagung des Prager Frühlings in Tschechien vorherrschende Skepsis gegenüber russischem Großmachtgehabe hat zu einer geradezu populären Neigung für derartige Guerilla-Aktionen „von unten“ geführt. Sie bringen die offizielle Außenpolitik manchmal in unbequeme Lagen, lassen sich aber auch nicht verhindern. Sie begannen schon 1991, als die letzten Sowjettruppen das Land verließen. Diese hinterließen ein Denkmal, auf dem sich ein großer Sowjetpanzer befand, der beim Einrücken am 9. Mai 1945 dabei gewesen sein soll. In einer Nachtaktion bemalte damals der Bildhauer und Aktionskünstler David Černý den Panzer rosa. Die Behörden reagierten humorlos und ließen den Panzer wieder in seinen Originalzustand zurückversetzen. Es gab Strafandrohungen und am Ende sogar eine kurzfristige Verhaftung des Künstlers. Schließlich nutzte eine Gruppe von 15 Parlamentariern ihre Immunität und malte am hellen Tage aus Solidarität den Panzer wieder rosa an. So kam es, dass der Panzer noch etliche Male die Farbe wechselte. Das Parlament strich schließlich den Status des Denkmals als nationales (schützenswertes) Monument. Am Ende wurde der Panzer – in rosa! – ins Militär Museum Lešany, rund 20 Kilometer südlich von Prag umgesetzt.

2018, zum 50. Jahrestag der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968, platzierte Černý - eine Art Robin Hood im Künstlergewand – das Fragment eines Panzers, der damals an der Invasion beteiligt war, halb vergraben auf demselben Platz im Stadtteil Smíchov. Wieder gab es Proteste seitens der russischen Botschaft. Diesmal ließ sich die Stadtregierung aber nicht beirren und erteilte nachträglich die Genehmigung für das unkonventionelle Denkmal, das dort bis heute steht.

Gedenkstätte
Cernys vergrabener Invasionspanzer von 1968 © Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Antitotalitaristische Erinnerungspolitik

Fest steht: Der Kommunismus und die Besetzung von 1968 haben in Tschechien eine immer noch äußerst lebendige Erinnerungskultur geprägt. Man erinnert gerne daran, dass das Land die einzige funktionierende Demokratie gewesen sei, die nach dem Ersten Weltkrieg entstanden war, und dass dieses demokratische Experiment zweimal von außen beendet worden war – zuerst von den Nazis 1939 und dann durch die sowjetisch gesteuerten Kommunisten 1948. Im Gegensatz zur geschichtspolitischen Diskussion in Deutschland spielt dabei auch noch der Begriff des Totalitarismus eine wichtige Rolle. Dabei geht es um die Vergleichbarkeit von Nationalsozialismus und Kommunismus aufgrund der durchaus auch vergleichbaren Strukturmerkmale von Gewaltherrschaft im Sinne einer totalen Unterwerfung der Gesellschaft im Dienste einer Ideologie. Aber während große Teile der tschechischen Öffentlichkeit anerkennen, dass sich die deutsche Politik vom Unrecht der Nazibesetzung klar distanziert, herrscht gegenüber Russland Eiszeit. Zu klar arbeitet die Geschichtspolitik Putins auf eine Rehabilitierung Stalins hin. Immer wieder kommt es auch seitens russischer Vertretungen und Lobbys in Prag zu kleinen, aber verletzenden Nadelstichen, bei denen das Unrecht der Sowjetbesatzung relativiert oder gar beschönigt wird.

2014 musste etwa die Friedhofsverwaltung des russischen Soldatenfriedhofs ein neues Denkmal entfernen, das in Prag lebende Veteranen des Afghanistankrieges hatten aufstellen lassen. Darauf befand sich eine zweisprachige Plakette, die auf Tschechisch dem Gedenken russischer Soldaten gewidmet war, die bei Friedensmissionen gefallen waren. Der Haken war nur, dass beim russischen Text nicht von Friedensmissionen, sondern von „Internationalisten und Friedenstiftern“ die Rede war, was bei der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 der verharmlosende Terminus war, mit dem die Sowjets die Invasionstruppen bezeichneten. Es hagelte Proteste und die Plakette musste verschwinden. Auch werden die Kriegsgräber für die Rote Armee ostentativ am 9. Mai (und nicht am tschechischen Befreiungstag, dem 8. Mai) mit russischen Fahnen überschüttet. Das alles wird von den meisten Tschechen nicht gerade als vertrauensbildende Maßnahme gewertet. Die russische Seite betrachtet das Wirken der Roten Armee im Lande grundsätzlich als eine Serie von Befreiungsakten.

Nebeneingang auf der Visitenkarte

Und wie geht die „große Politik“ Tschechiens mit der Aufsässigkeit der Prager gegenüber Russland und Putins Politik um? Der tschechische Senat, die zweite Parlamentskammer, verurteilte in einer Resolution die Kritik Russlands an der Konew-Demontage als „Angriff auf die nationale Souveränität“ und erinnerte in Anspielung an die Morddrohungen daran, dass russische Agenten schon öfters unliebsame Kritiker in anderen Ländern ermordet hätten (man denke an den Fall Sergei Skripal im Jahr 2018). Angesichts solch harter Töne schlug dann Außenminister Tomáš Petříček doch marginal mildere Töne an. Der Beschluss des Rates zum Konew-Denkmal sei rechtlich unangreifbar und müsse akzeptiert werden, sagte er, aber man werde helfen, die Statue sicher nach Moskau zu transportieren, sofern man sie dort aufstellen wolle. Die Härte in der Sache, aber Freundlichkeit im Ton glättete ein wenig die Wogen. Auch Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babiš betonte, dass Russland die Entscheidung zur Demontage akzeptieren müsse und sich jede Einmischung von russischer Seite verbete, aber dass man auch gegen jede Eskalierung arbeite. Vizepremier Karel Havlíček erklärte, man warte auf die Analyse des tschechischen Geheimdienstes, wie ernst die Bedrohung für die tschechischen Bürgermeister wirklich sei. Erst dann werde man über Maßnahmen – etwa die Ausweisung von russischen Diplomaten – nachdenken.

Und auch der russische Botschafter hat eine gesichtswahrende Lösung für das Problem gefunden, dass seine offizielle Adresse auf der Visitenkarte nun „Boris Nemzow Platz“ lautet. Kurzerhand wurde ein Nebeneingang zu einer anderen Straße zum offiziellen Haupteingang der Botschaft erklärt – und damit die peinliche Erinnerung an das mutmaßliche Tun der russischen Regierung jedenfalls auf der Visitenkarte des Botschafters vermieden.