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Wahlen
Elfenbeinküste – Machtkampf der alten Männer

Unterstützer von Alassane Ouattara
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Leo Correa

In den letzten Jahren behauptete sich die Côte d’Ivoire vor allem durch ihre positiven Wirtschaftsdaten. Alle ökonomischen Indikatoren zeigen seit 2011 kontinuierlich nach oben.  Mit dem Ende des Bürgerkrieges vor zehn Jahren liegt das Wirtschaftswachstum seit 2014 nahezu jährlich zwischen sieben und zehn Prozent. Die Côte d‘Ivoire hat sich damit zu einer der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften Afrikas entwickelt.

Parallel zu diesem wirtschaftlichen Aufschwung, schien sich auch die politische Lage konsolidiert zu haben. Mit Präsident Allassane Dramane Ouattara (ADO) und seinem liberal-konservativen Parteienbündnis RHDP kam eine politische Stabilität ins Land zurück, die zu dieser positiven Gesamtentwicklung entschieden beitrug. So fand das Land langsam in die Rolle zurück, die es bereits in den 1970er Jahren zu einem der fortschrittlichsten Staaten Westafrikas gemacht hatte.

Am 31.Oktober 2020 stehen nun Präsidentschaftswahlen an und mit der politischen Stabilität scheint es seit mehreren Wochen vorbei zu sein. Die Opposition droht mit Wahlboykott und es kommt in vielen Städten des Inlands immer wieder zu Unruhen und Protesten gegen die Regierung. Die Geister des längst vergessen geglaubten Bürgerkrieges vor zehn Jahren werden wiederbeschworen und dunkle Wolken möglicher neuer gewalttätiger Auseinandersetzungen ziehen herauf. Die Côte d‘Ivoire blickt auf einmal einer sehr ungewissen Zukunft entgegen.

Wie konnte es passieren, dass das Land, welches seit nahezu zehn Jahren als politischer und wirtschaftlicher Musterschüler in der Subregion angesehen wurde, nun erneut vor einer politischen Zerreißprobe steht? 

Ausschlaggebend waren hierfür die Ereignisse der letzten Monate. Bis Mitte des Jahres sah es tatsächlich so aus, dass das Land auch die kommende Präsidentschaftswahl als demokratische Reifeprüfung mit Bravour bestehen würde. Im Frühjahr 2020 hatte ADO seinen langjährigen Premierminister, den 68-jährigen Amadou Gon Coulibaly als Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen vorgeschlagen. Damit blieben die demokratischen Spielregeln gewahrt, die in der von ADO im Jahr 2015 per Referendum selbst eingeführten neuen Verfassung festgeschrieben waren und die keine dritte Kandidatur von ihm selber zuließ. Der 78-jährige ADO machte zudem sehr deutlich, dass es für ihn an der Zeit sei, die Verantwortung für das Land an eine jüngere Generation zu übergeben.

Damit waren die politischen Parameter gesetzt und es sah so aus, dass die Wahl hauptsächlich zwischen der regierenden RHDP Partei unter dem Premierminister Gon Coulibaly und der Hauptoppositionspartei PDCI unter ihrem 86-jährigen Führer, dem ehemaligen Staatspräsidenten Henri Konan Bedié, entschieden würde. Einer dritten Gruppierung, der politisch eher links stehenden Partei FPI, wäre dazu möglicherweise die Rolle des Königsmachers zugefallen. Das Bild dieser verschiedenen politischen Lager prägte den aufkommenden Wahlkampf. In diese Aufstellung traf sodann die Nachricht vom plötzlichen Tod von Gon Coulibaly. Am 03. Juli 2020 starb der Präsidentschaftskandidat der Regierungspartei RHDP völlig überraschend an Herzversagen während einer Kabinettsitzung.

Mit dem Tod ihres Kandidaten etwas mehr als drei Monate vor den Wahlen verfiel die Regierungspartei RHDP in eine Kurzschlussreaktion und  setzte auf eine dritte Kandidatur des amtierenden Präsidenten. In dieser sah man die einzige Möglichkeit, die Wahlen doch noch mit einer derartig kurzen Vorbereitungszeit zu gewinnen. In der kürze der Zeit sah sich die Parteiführung nicht in der Lage, verschiedene Lager der Partei zu einigen und einen anderen Kandidaten durchzusetzen. Man ging davon aus, dass nur ADO mit seiner präsidialen Autorität und der Aura der nationalen Vaterfigur den Wahlsieg der RHDP garantieren und gleichzeitig die parteiinternen ethnischen Gegensätze überbrücken könne. Dass eine derartige dritte Kandidatur gegen die Verfassung verstieß, umging man mit einer juristischen Argumentation:  Da die neue Verfassung erst seit 2015 in Kraft sei – so die Rechtfertigung – könne die Amtszeit des Präsidenten von 2011-2015 nicht als erstes Mandat zählen. In einer Flut von Sympathiekundgebungen aus der Partei heraus, wurde dem 78- jährigen ADO sodann nahegelegt zum Wohle des Landes nochmal anzutreten.

Die Möglichkeit den demokratischen Spielregeln weiterhin zu genügen und beispielsweise den 50 Jahre jungen, populären Verteidigungsminister Hamadou Bakayoko als neuen Präsidentschaftskandidaten aufzustellen, wurde zwar ins Spiel gebracht, aber vom Parteivorstand nicht ernst genommen. Dass die RHDP ihren Doyen als Kandidaten schließlich problemlos durch den von ihren Mitgliedern dominierten ivorischen Verfassungsrat boxte, war dann kaum mehr verwunderlich; es sagt jedoch viel über den Zustand der Rechtsstaatlichkeit im Land.

Damit wurde der 78-jährige ADO zum dritten Mal in Folge zum legalen Präsidentschaftskandidaten gekürt. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet der Mann, der sich noch vor fünf Jahren wie kein anderer in der westafrikanischen Regionalorganisation ECOWAS gegen die Option eines dritten Mandats eingesetzt hatte und die „ewigen“ Präsidenten des Kontinents kritisierte, sich nun selbst für diese Kategorie qualifiziert. Statt als weiser „Elder Statesman“ in die Geschichte einzugehen ist er jetzt nur noch einer von den vielen afrikanischen Präsidenten, die nicht für Nachfolger Platz machen. . 

Die Auswirkungen dieses Schachzuges auf die politische Lage im Lande sind erheblich. Die Oppositionsparteien von links und rechts sprachen von einem verfassungsrechtlichen Staatsstreich und drohen mit einem Boykott der Wahlen, denen sie alle Transparenz und Unparteilichkeit von vornherein absprechen. Neben der Neubesetzung der nationalen Wahlkommission verlangen sie den Rücktritt ADOs von seiner Kandidatur. Der Wahlkampf selbst hat seit fast zwei Wochen begonnen und bisher ist es nur die Regierungspartei, die ihn führt. Gleichzeitig ruft der Kandidat der größten Oppositionspartei PDCI zu zivilem Ungehorsam auf.

Dem Land droht nun ein politisches Patt und im Zweifel eine Wahl, die boykottiert wird und zu der es dann nur einen Kandidaten gibt, womit sie zur Farce wird. . Eine mögliche Verhandlungslösung scheint derzeit ausgeschlossen. Die Vermittlungsmission der westafrikanischen ECOWAS führte in der letzten Woche zu keinem Erfolg und beide Seiten beharren auf ihren Positionen.   

Sollte sich diese Situation nicht mehr ändern, wird es im Land wahrscheinlich nicht friedlich bleiben. Vorboten von gewaltsamen Protesten erschüttern schon seit Wochen einzelne Regionen des Landes. Aufrufe zu zivilem Ungehorsam können in einem Land wie der Côte d’Ivoire, das erst vor zehn Jahren einen brutalen Bürgerkrieg hinter sich ließ, schnell in Gewaltspiralen ausarten. In diesem Kontext sind auch die Anhänger des oppositionellen ehemaligen Parlamentspräsidenten und Rebellenführers Guillaume Soro zu setzen, der im französischen Exil die Fäden zieht und durchaus gewaltbereite ehemalige Kämpfer im Inland unter seiner Kontrolle hat.

Die Auswirkungen sind nicht weniger negativ im regionalen Kontext. Bisher war es nur Guineas cholerischer Autokrat Alpha Condé, der als Paria der Subregion galt, da er sich eine neue Verfassung schrieb, um sich ein drittes Mandat zu sichern. Geht nun ein relativ bedeutendes und regional einflussreiches Land wie die Côte d’Ivoire einen ähnlichen Weg, könnte andere Präsidenten dasselbe versuchen.  Das Bild des „ewigen afrikanischen Präsidenten“ wird erneut hoffähig gemacht, obwohl es eigentlich als Auslaufmodell galt. Mit ihm einher geht die weitere Überalterung der Politik, von der man auch dachte, sie wäre längst überholt. Obwohl in der Côte d’Ivoire 62% der Bevölkerung unter 24 Jahre alt sind, wird  der 78-jährige ADO im Wahlkampf gegenüber seinem 86- jährigem Herausforderer Bedié als „die neue Generation“ bezeichnet. Doch ist der traditionelle Respekt vor dem Alter in vielen afrikanischen Gesellschaften ein bedeutender gesellschaftlicher Faktor, der diesen Politkern in die Hände spielt. Die Côte d’Ivoire ist da leider keine Ausnahme. 

Es bleibt aber die Hoffnung, dass es im Zeitalter von Digitalisierung und Social Media der politisch aktiven Jugend des Landes irgendwann gelingt, einen Bruch mit diesen Strukturen herbeizuführen und eine wahre „neue Generation“ in der Politik stellen zu können.

Zugleich ist es von großer Bedeutung, dass diejenigen, die an der Förderung und Wiederherstellung der liberalen Demokratie im Land interessiert sind, von denen es viele gibt, in den kommenden schwierigen Jahren Unterstützung benötigen und von liberalen Kräften weltweit unterstützt werden.