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Ist Spanien unregierbar?

Zunehmende Polarisierung und innenpolitische Konflikte bestimmen die Parlamentswahl

Source: flickr.com/Congreso de los Diputados_(CC BY 2.0) Spanien befindet sich zur Zeit im Superwahlmonat. Zwischen Ende April und Ende Mai finden auf der iberischen Halbinsel gleich vier Wahlen statt: nationale, kommunale, regionale und europäische Wahlen, die letzten drei sogar parallel. Eine Herausforderung für die spanische Parteien und ihre Anhänger. Die liberale Bürgerbewegung Ciudadanos (Cs) musste dafür beispielsweise rund 1.500 Kandidaten finden und schulen, unter ihnen auch zahlreiche unabhängige Kandidaten.

Dritte Wahl innerhalb von vier Jahren

Mehr noch als bei den Parlamentswahlen 2015 und 2016 ist die politische Ausgangssituation am 28. April komplex und Mehrheiten sind alles andere als ausgemacht. Nach dem Sturz des konservativen Premierministers Mariano Rajoy (Partido Popular, PP) durch die sozialistische Arbeiterpartei (PSOE), der linken Unidos Podemos sowie der baskischen nationalistischen Regionalpartei PNV mithilfe eines Misstrauensvotums, folgte im Juni 2018 der sozialistische Pedro Sánchez (PSOE). Er verfügte allerdings nicht über eine Mehrheit in der Regierung und rief infolge einer Haushaltsblockade durch katalanische Parteien im Februar 2019 vorgezogene Neuwahlen aus. Im Unterschied zu Deutschland kennt Spanien traditionell keine Koalitionsregierungen, das Land wurde bis vor einigen Jahren von den beiden großen Parteien PSOE und PP mit absoluten Mehrheiten regiert. Im letzten Jahrzehnt führte die Entstehung neuer Parteien, darunter die liberale Bürgerbewegung Ciudadanos und die linken Podemos sowie die erstmals zu einer auf nationaler Ebene antretende rechtsextreme Partei Vox, zu einer Polarisierung des Parteiensystems und einer zunehmenden Fragmentierung der politischen Landschaft. Hinzu kommt die Trennlinie zwischen Stadt und Land und eine zunehmende Entvölkerung spanischen Provinzen (España Vaciada, „entleertes Spanien“).

Innenpolitische Themen bestimmen die Debatte 

In diesem politischen Wettbewerb buhlen seit einigen Wochen neben den fünf genannten spanischen Parteien auch zahlreiche Regionalparteien um die Gunst der Wähler.  Trotz der zeitlichen Nähe zu den Europawahlen Ende Mai dreht sich der Wahlkampf hauptsächlich um innenpolitische Themen: Wirtschaftswachstum, Senkung der Staatsschulden, Zukunft der Sozialsysteme, nachhaltige Bekämpfung der (Jugend-)Arbeitslosigkeit, alternde Gesellschaft, Antworten auf den steigenden Migrationsdruck und natürlich die Katalonienfrage, die seit mehreren Jahren die nationalen Debatten bestimmen - dies ist nur ein Ausschnitt der zahlreichen Wahlkampfthemen. Anders als in Frankreich, wo sich Staatspräsident Emmanuel Macron und seine Partei La République en Marche bei den Präsidentschafts- wie Parlamentswahlen 2017 mit einer pro-europäischen Agenda bewusst vom euroskeptischen, rechtsextremen Rassemblement National (ex-FN) abgrenzten, vertreten in Spanien alle Parteien eine allgemeine pro-europäische Agenda. Den Wettstreit um europäische Themen vertage man auf den 26. Mai, erklärte ein Cs-Vertreter. Neben der Katalonienfrage besitzt auch das Migrationsthema ein großes Mobilisierungspotential in einem Land, das in den letzten Monaten zum Hauptankunftsland für Flüchtlinge in der EU geworden ist. Dies könnte am 28. April entscheidend sein, zumal jüngsten Umfragen zufolge 42 Prozent der Wähler noch unentschlossen sind. Die konservative PP vollzog beispielsweise unter ihrem neuen Parteichef Pablo Casado, größter Herausforderer von Premier Sanchez, eine konservative Rechtswende bei Themen wie Abtreibung, Migration und der Autonomie Kataloniens. Migration und insbesondere die Einrichtung legaler Migrationswege sind auch für Ciudadanos ein Thema. Die Partei möchte illegale Migration nach Europa bekämpfen und durch legale Einwanderungsmöglichkeiten unter anderem der Herausforderung einer alternden Gesellschaft entgegenwirken. Neben der Einheit Spaniens und der Unabhängigkeit des spanischen Rechtsstaates werben Cs ebenfalls für Transparenz und die Bekämpfung von Korruption, welche im vergangenen Jahr Premier Rajoy zu Fall brachte. https://twitter.com/malonsocs/status/1121731708997505024

Keine klaren Mehrheitsverhältnisse

Während die liberalen Ciudadanos im März 2018 noch mit 23 Prozent die nationalen Umfragen anführten, werden sie mittlerweile nur noch als drittstärkste Partei mit rund 15 Prozent gehandelt und nähern sich damit dem Wahlergebnis von 2016 (13 Prozent) an. Es gilt als sicher, dass die PSOE und Premier Sanchéz mit aktuellen Umfragewerten von knapp 30 Prozent zwar stärkste Kraft werden, jedoch auch gemeinsam mit Podemos keine absolute Mehrheit erreichen können. Auch das rechte Lager, bestehend aus PP (20 Prozent) und Cs, wird aus eigener Kraft wahrscheinlich keine Mehrheit erreichen. Entscheidend für die Regierungsbildung werden daher die aufstrebende rechtsextreme Vox (elf Prozent) sowie kleine katalonische Regionalparteien sein. Letztere weisen auf ihren Wählerlisten gar einige der im Katalonienprozess angeklagten Separatistenführer auf. Sollte es nicht für eine linke Regierung reichen, könnte es zu einer Wiederholung der „Andalusischen Allianz“ kommen. Nach den Regionalwahlen in Andalusien im Dezember 2018 formierte sich eine Koalition aus PP und Cs, welche formell von Vox geduldet wurde. Vox, bis November 2018 mit Umfragewerten von rund drei Prozent von vielen unbeachtet, gelang damit der Sprung auf die mediale und politische Bühne. Das setzt die Partei nun auf nationaler Ebene fort und hat sich damit in weniger als einem halben Jahr als Königsmacher entpuppt. Sollte es erneut zu einer Andalusischen Allianz kommen, dürfte dies im Vorfeld der Europawahlen insbesondere bei europäischen Partnern für ausreichend Konfliktpotential sorgen. Carmen Gerstenmeyer ist European Affairs Managerin im Regionalbüro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Brüssel.   An einer Nachwahlbeobachtung interessiert? 30. April, mit EP-Kandidat José Ramón Bauzá Díaz in Brüssel: https://fnf-europe.org/2019/04/19/liberal-breakfast-on-the-spanish-elections/