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Türkei
Erdoğan droht NATO-Partnern kurz nach Zustimmung zu Nord-Erweiterung

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht während einer Pressekonferenz auf einem NATO-Gipfel in Madrid, Spanien

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht während einer Pressekonferenz auf einem NATO-Gipfel in Madrid, Spanien

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Manu Fernandez

Je näher der Nato-Gipfel von Madrid aus der vergangenen Woche rückte, umso pessimistischer äußerten sich Beobachter über die Aussichten einer Einigung mit der Türkei zur Norderweiterung der Allianz. Ankara hatte sein Veto eingelegt und eine Reihe von Forderungen, insbesondere zur Terrorbekämpfung, an Finnland und Schweden gerichtet. Die scharfe Rhetorik ließ nicht auf eine schnelle Einigung hoffen.

Doch es kam anders. Am Vorabend des Treffens in Madrid unterschrieben die beteiligten Parteien ein Memorandum, das die türkischen Forderungen weitgehend aufgreift, und die Türkei gab ihren Widerstand gegen die Erweiterung auf. In dem gemeinsamen Dokument verpflichten sich Schweden und Finnland zur verstärkten Terrorbekämpfung und zur Aufhebung eines seit 2019 bestehenden Waffenembargos gegen die Türkei. Auch soll ein gemeinsamer Dialog- und Kooperationsmechanismus eingerichtet werden.

Wer das Ringen um den Nato-Beitritt der beiden nordischen Staaten gewonnen hat, darüber gehen die Meinungen auseinander. Dass das Memorandum die türkischen Forderungen der Türkei fast vollständig adressiert und damit ihre elementaren Sicherheitsbedürfnisse anerkennt, lässt es wie einen Sieg der Türkei erscheinen.

Doch der Teufel liegt im Detail. Enthaltene Formulierungen wie „PKK und alle anderen terroristischen Organisationen und ihre Ableger“ sowie „Einzelpersonen in mit diesen terroristischen Organisationen verbundenen oder von ihnen inspirierten Gruppen oder Netzen“ definieren beide Seiten nämlich durchaus unterschiedlich. Aus türkischer Sicht gehört dazu praktische jede Art zivilgesellschaftlicher Organisation, die sich für die Belange von Kurdinnen und Kurden einsetzt. Das dürften sich die EU-Staaten kaum zu eigen machen.

Unterschiedliche Auslegungen rufen Konflikte hervor

Konkret werden sich die unterschiedlichen Auslegungen sehr bald vor allem an den Auslieferungsersuchen zeigen: Der türkische Justizminister Bekir Bozdağ wurde in den Medien mit der Ankündigung zitiert, die Türkei werde um Auslieferung von 33 Terrorverdächtigen bitten, 21 aus Schweden und 12 aus Finnland. Etwa die Hälfte der Personen sollen wegen Verbindungen mit der PKK angeklagt werden, die anderen wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung, die nach offizieller türkischer Lesart hinter dem gescheiterten Putschversuch von 2016 steckte. 

In welchen Fällen die nordischen Länder die Terrorvorwürfe als begründet ansehen und den Auslieferungsbegehren nachgeben, werden schwedische und finnische Gerichte zu befinden haben. Und sie werden sich dabei streng an ihre gesetzlichen Standards halten. Dabei werden sie nicht immer die Erwartungen der Türkei bedienen, wo der Terrorismusbegriff inzwischen inflationär gebraucht wird und allein zwischen 2016 und 2020 zu 1,6 Millionen Anklagen geführt hat. Die schwedische Außenministerin versuchte, entsprechende Sorgen kurdischer Gruppen bereits auf dem Nato-Gipfel zu zerstreuen: „Wir werden keiner Auslieferung zustimmen, solange es keine Beweise für terroristische Aktivitäten gibt“, sagte sie und versicherte, es gebe keinen Grund für in Schweden lebende Kurden, um ihre demokratischen Rechte zu fürchten.

„Das wirkliche Veto fängt jetzt erst an“

Vom Tisch ist das Ringen um den schwedischen und finnischen Nato-Beitritt daher noch lange nicht. Das Veto der Türkei verhinderte bisher nur, dass den beiden Interessenten eine Beitrittseinladung ausgesprochen werden konnte. Nachdem dies erfolgt ist, muss der Beitritt selbst nun in den nationalen Parlamenten aller 30 Nato-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden, ein Prozess von mehreren Monaten. „Das wirkliche Veto fängt jetzt erst an“, sagte der türkische Außenminister dazu in einem Interview. „Sie müssen sich an das unterschriebene Dokument halten, andernfalls werden wir sie nicht in der Nato akzeptieren.“

Beate Apelt ist Projektleiterin Türkei bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Instanbul.

Dieser Beitrag erschien erstmals am 8. Juli auf FOCUS online und ist auch hier zu finden.