Georgien nach der Wahl
Die Studierendenbewegung der Ilia State University und ihr Kampf um eine demokratische Zukunft

Protestaktion: Ein Protestierender verfasst einen Brief an Inhaftierte Protestierende auf der Rustaveli Avenue am 6. Januar 2025, organisiert von der Protestbewegung der Studierenden aus der Ilia State University
© Emilia HuppenbergerSeit den Parlamentswahlen am 26. Oktober 2024 hat sich das Leben vieler Georgierinnen und Georgier maßgeblich verändert. Ständig finden sich immer wieder Menschen zusammen, um für eine demokratische Zukunft zu protestieren. Seit die Partei „Georgischer Traum“, die den Wahlsieg für sich beansprucht, am 28. November 2024 verkündete, alle Beitrittsgespräche mit der Europäischen Union auszusetzen, fürchten junge Menschen umso mehr, ihre demokratische Zukunft in der Europäischen Union zu verlieren. Studierende der Ilia State University in Tbilisi schlossen sich zusammen, um gemeinsam eine Protestbewegung zu gründen und für ihre demokratische Zukunft einzustehen. Als Praktikantin der Friedrich Naumann Stiftung in Tbilisi, konnte ich mit Anni und Davit persönlich sprechen, die beide Teil der studentischen Protestbewegung sind.

Protestaktion: gemeinsames Schreiben von Protestschildern am 18. November 2024 der Studierenden aus der Ilia State University vor der Staatlichen Universität Tiflis
© Emilia HuppenbergerThe Ilia State University Movement
Am 14. November 2024 fanden sich in Batumi zum ersten Mal Studierende zusammen, um mit ihrem Sitzstreik gegen die manipulierten Wahlen Georgiens und für neue Wahlen zu protestieren. Dabei richteten sie sich ausdrücklich auch an die übrigen Studierenden im Land und forderten sie dazu auf, sich ihrem Protest anzuschließen. Zahlreiche Studierendenbewegungen aus unterschiedlichen Universitäten in Tbilisi fanden sich daraufhin zusammen und schlossen sich der Protestbewegung an.
Davit, ein 19-jähriger Student, der Teil der Bewegung aus der Ilia State University ist, erklärt, dass dies auch ein „Akt der Solidarität“ gewesen sei, da sie sich in der gleichen schwierigen Situation wiedergefunden hätten wie ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen in Batumi. Seitdem finden sich die rund 25 Studierenden regelmäßig zusammen, um gemeinsam Protestaktionen zu planen und darüber zu lernen, wie friedlicher Protest gegen autoritäre Regime stattfinden kann, berichtet Anni, eine 19-jährige Studentin der Ilia State University.
Sie erzählt, dass sie sich verantwortlich dafür fühlt, für die Freiheit ihres Landes und der inhaftierten Protestierenden einzustehen: „Du kannst deine Freiheit nicht einfach für nichts nutzen, wenn du so viel Potenzial hast, wenn es so viele Dinge gibt, die wir tun können.“

Protestaktion: Ein Protestierender verfasst einen Brief an Inhaftierte Protestierende auf der Rustaveli Avenue am 6. Januar 2025, organisiert von der Protestbewegung der Studierenden aus der Ilia State University
© Emilia HuppenbergerFriedlicher Protest als Weg des Widerstands
Davit ist sich sicher, dass sich die Stärke ihrer Aktionen in deren Friedlichkeit wiederfinden lässt. Er erklärt mir, dass es auf keinen Fall dazu kommen würde, dass sie eine gewaltvolle Art des Widerstandes einsetzen würden, „da das Benutzen von Gewalt nur ein Schritt in die Vergangenheit ist.“
Davit glaubt an die Macht der friedlichen Proteste, „da diese eine höhere Chance mit sich bringen, gegen autoritäre Regime zu gewinnen.“ Auch Maria J. Stephan und Erica Chenoweth veröffentlichten in ihrer Studie "Why Civil Resistance Works: The Strategic Logic of Nonviolent Conflict" im Jahr 2008, dass friedlicher Widerstand in 53 % der Fälle erfolgreich war, was im Gegensatz zu gewaltvollen Widerständen steht, die nur in 26 % der Fälle erfolgreich verliefen.
Daher will sich die Protestbewegung der Ilia State University hauptsächlich damit beschäftigen, wie Widerstand auf unterschiedliche Weise stattfinden kann und welche Formen sich davon als effektiv erweisen können. „Wir sind immer bereit und lernen neue Dinge über die Erfahrungen von anderen Ländern mit Protesten wie den unseren“, so Davit.
Der Student sagt, dass es ein langer Weg wäre, aber dass es viele unterschiedliche Strategien gäbe, einen Erfolg zu erreichen, und bezieht sich dabei auf eine Liste von 198 unterschiedlichen Methoden des friedlichen Protests. Daher führen auch die Studierenden der Ilia State University ganz unterschiedliche Protestaktionen durch.
Sie streiken, organisieren Märsche, nutzen kunstvollen Protest, geben auf den Protesten die Möglichkeit, Briefe an inhaftierte Protestierende zu schreiben, und versuchen, Reichweite auf Social Media zu erlangen.
Seit zwei Wochen besetzt die Protestbewegung nun die Ilia State University, um für die Freilassung aller inhaftierten Protestierenden und neue Wahlen zu protestieren.
Als ich Anni frage, ob sie sich einen Punkt vorstellen könne, ab dem sie nicht mehr auf die Straßen gehen würde, antwortet sie:
„Im Moment sehe ich nichts. Alles, was sie vermasseln, motiviert mich nur noch mehr. Wenn sie etwas Schlimmes tun, würde mein innerer Fokus nur noch stärker werden.“
Anni und Davit sind sich beide sicher, durch die unterschiedliche Weise des friedvollen Protests das zu erreichen, was die Studierenden der Studierendenbewegung fordern: neue Wahlen, ein demokratisches Georgien und eine Zukunft in der Europäischen Union.
Emilia Huppenberger
Quellen
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Stephan, Maria J., and Erica Chenoweth. Why Civil Resistance Works: The Strategic Logic of Nonviolent Conflict. International Security 33.1 (2008): 7-44.
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Sharp, Gene. The Methods of Nonviolent Action. In: The Politics of Nonviolent Action, Porter Sargent Publishers, Boston, 1973. Link zur Liste der 198 Protestmethoden.
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OC Media: Studierende in Batumi protestieren gegen Wahlbetrug
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JAM News: Studierendenproteste in Batumi lösen landesweite Solidarität aus
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McCarthy, Ronald M., Gene Sharp, and Brad Bennett. Nonviolent Action: A Research Guide. Routledge, 2013.