Moldau
Schicksalswahl in Moldau: Entscheidet sich das Land für Europa oder Moskau?
Die Republik Moldau steht am 28. September 2024 vor einer historischen Wahl zwischen Westintegration und russischem Einfluss.
© picture alliance/dpa | Christophe GateauDie Republik Moldau erlebt am 28. September eine der historisch einschneidendsten Wahlen ihrer jungen Geschichte. Erstmals seit der Unabhängigkeit vor über 30 Jahren entscheidet sich, ob das Land seinen pro-europäischen Kurs hält oder wieder in den Einfluss Moskaus zurückfällt. Beobachter sprechen angesichts der massiven Einmischung des Kremls von einem regelrechten hybriden Krieg gegen Moldau, der längst im Gang ist.
Die Ausgangslage könnte dramatischer kaum sein: Im Oktober 2024 hatte eine knappe Mehrheit der Moldauer in einem Referendum den EU-Beitrittskurs in der Verfassung verankert – trotz beispielloser Störmanöver des Kreml. Denn Russland betrachtet die ehemalige Sowjetrepublik immer noch als Teil seiner Einflusssphäre und will deren Westintegration um jeden Preis verhindern. Gelingt es prorussischen Kräften am Sonntag, die proeuropäische Regierung abzulösen, droht nicht nur ein Abbruch der Reformen, sondern auch ein geopolitischer Rückschlag weit über Moldau hinaus. Das Land teilt eine lange Grenze mit der Ukraine; ein Machtwechsel in Chișinău zugunsten Moskaus könnte den EU-Kurs beider Länder entgleisen lassen und eine neue Sicherheitsbedrohung an Ukrainas Südwestflanke schaffen. Entsprechend sieht die prowestliche Präsidentin Maia Sandu die Wahl als Entscheidung „zwischen Demokratie und der Herrschaft der Diebe“ – während der Kreml bereits testet, ob er seinen verlorenen Einfluss in Osteuropa hier zurückerobern kann.
Was macht Russland und warum?
Russlands Motive für diesen umfassenden Angriff sind eindeutig: Moldau wieder auf Kurs Moskau zu bringen und ein Exempel zu statuieren. Putin will verhindern, dass eine weitere ex-sowjetische Republik erfolgreich in EU und NATO integriert wird – denn das würde sein Narrativ vom zerfallenden Westen und vom natürlichen Einflussrecht Russlands in der Region untergraben. Der Kreml spielt geopolitisch mit hohem Einsatz: Die Republik Moldau mag klein sein, aber ihr Schicksal sendet ein Signal an Länder wie Armenien oder Georgien oder in die Balkanstaaten. Ein Sieg der Demokratie in Chișinău wäre ein Prestigeverlust für Moskau, ein Sieg der kremlnahen Kräfte dagegen würde Putins Konzept der „russischen Welt“ bestärken. Entsprechend hat der Kreml seine „verfügbaren Hebel“ in Moldau zuletzt immer aggressiver eingesetzt. „Die anti-europäischen Kräfte verfügen über kolossale Budgets und arbeiten Tag für Tag daran, das Vertrauen der Bevölkerung in Staat und Demokratie zu zerstören“, beschreibt Ion Manole vom Think Tank Promo Lex die Lage bei einem FNF-Diskussionspanel zur Lage in der Moldau. Es ist ein Krieg um Herzen und Köpfe, den Moskau hier führt – mit Desinformation, Druck und mit Dollarscheinen statt offen mit Panzern. Doch das Ziel ist ähnlich zerstörerisch: die demokratische Entscheidung der Moldauer zugunsten Russlands zu beeinflussen. Etwa 350 Millionen Euro soll Moskau laut Medienberichten dafür einsetzen.
Pro-russische Bot-Netzwerke fluten die sozialen Medien durch Falschmeldungen, Regierungsbeschimpfungen und antiwestliche Narrativen mit Desinformation und Propaganda. Eugen Muravschi von der Denkfabrik WatchDog.md geht davon aus, dass Moskau „so viel Geld“ in diese Informationskriege investiere, dass man „kaum den Überblick behalten“ könne. Ein Schwerpunkt sei dabei der Stimmenkauf, also der massenhafte Aufkauf von Wählerstimmen, warnt Muravschi – diese Gefahr stelle die größte Bedrohung dar.
Täglich gibt es Berichte über konfiszierte Koffer voller Bargeld, die aus Russland kommen, um Stimmen oder Proteste zu kaufen. Die moldauischen Behörden nahmen allein in der Woche vor den Wahlen 74 Personen fest, die verdächtigt werden, im Auftrag des Kremls Unruhen zum Wahltermin anzuzetteln. Viele der Festgenommenen hatten „systematisch Trainingslager in Serbien“ durchlaufen und sollten offenbar gewaltsame Zwischenfälle inszenieren – ganz nach dem Drehbuch russischer Destabilisierung, das schon in der Ostukraine oder in Georgien angewandt wurde.
Wie reagiert die EU?
Angesichts dieser existenziellen Bedrohung hat die Europäische Union Moldau in beispielloser Weise Unterstützung zugesagt, und nicht nur finanziell. Bereits im Juni 2022 erhielt die Republik Moldau den Status eines EU-Beitrittskandidaten, nun ist der Screening Prozess abgeschlossen und die Beitrittsverhandlungen sind offiziell aufgenommen.
Auch symbolisch zeigt der Westen Flagge. Am moldauischen Unabhängigkeitstag Ende August reisten Emanuel Macron, Friedrich Merz und Donald Tusk gemeinsam nach Chișinău – ein diplomatisches Novum. Nur wenige Tage später folgte Rumäniens Präsident Nicusor Dan. Diese hochkarätigen Besuche kurz vor der Wahl unterstreichen: Europa steht an der Seite Moldaus. Präsidentin Maia Sandu wurde am 9. September im EU-Parlament in Straßburg mit stehenden Ovationen empfangen.
Im Juli verhängte die EU Sanktionen gegen sieben Personen und drei Drahtzieherorganisationen aus Moldau, die an der Unterwanderung der Demokratie beteiligt sind – also jene, die Stimmenkauf betrieben und korrupte Politiker bestachen. Die Sanktionierten erhielten Einreiseverbote und ihre Vermögen wurden eingefroren. Auch Rumänien untersagte mehreren bekannten prorussischen Akteuren (etwa Chișinăus Bürgermeister Ion Ceban) die Einreise in die EU. Brüssel signalisiert damit klar: Wer Moldaus Souveränität attackiert, wird international geächtet.
Auch der moldauische Oligarch Plahotniuc wurde jetzt aus dem Exil in Griechenland an die moldauischen Behörden ausgeliefert. Er war wegen der Plünderung des moldauischen Bankensystems um eine Milliarde Euro verurteilt worden. Für die Regierungspartei Maia Sandus, welche die vergangenen Parlamentsahlen mit Antikorruptions- und Justizreformversprechen gewonnen hatte, war die Auslieferung mehr als nur ein moralischer Sieg.
Wer hat die besten Chancen am Sonntag?
Die proeuropäische Regierungspartei PAS von Präsidentin Maia Sandu tritt als Hauptkraft für Reform und EU-Integration an. Nach ihrem historischen Sieg 2021 hat sie wichtige Fortschritte in der Justiz und im Kampf gegen Korruption erzielt, doch Sparmaßnahmen und harte Reformen haben Zustimmung gekostet. In den Umfragen liegt die PAS nur noch bei rund 25 bis 30 Prozent – stark genug für den ersten Platz, aber zu schwach für eine Alleinregierung.
Demgegenüber steht ein zusammengewürfeltes, aber gerade dadurch gefährliches prorussisches Lager. Sozialisten und Kommunisten um Igor Dodon und Vladimir Voronin versprechen Stabilität im Moskauer Orbit, während die nach dem Exil-Oligarchen Șor benannten Parteien mit gekauften Stimmen, populistischen Geschenken und offener Kreml-Propaganda agieren. Neu hinzugekommen ist der Wahlblock „Alternativa“ von Bürgermeister Ion Ceban und Ex-Generalstaatsanwalt Stoianoglo, der sich „pro-moldauisch“ gibt, in Wahrheit aber russische Interessen bedient. Gemeinsam könnten diese Kräfte eine Mehrheit erreichen und Moldaus EU-Kurs abrupt stoppen. Auch ein weiterer Oligarch, Renato Usatii, könnte mit seiner Partei die 5-Prozent-Wahlhürde schaffen.
Der Wahlausgang hängt stark von der Mobilisierung ab. Hunderttausende Auslands-Moldauer, die bei früheren Wahlen klar proeuropäisch votierten, sowie die große Gruppe der Unentschlossenen (ca. 15%) könnten den Ausschlag geben. Im besten Fall gelingt der PAS eine knappe Mehrheit über die Umverteilung der 101 Sitze des Einkammerparlaments, im schlimmsten Szenario übernehmen prorussische Parteien die Mehrheit. Damit entscheidet sich am Sonntag nicht nur die Zusammensetzung des Parlaments, sondern der geopolitische Kurs der Republik Moldau.
Die Schlacht an den Wahlurnen wird somit zum Gradmesser, ob Moldaus Demokratie dem Druck standhält. Europa blickt gespannt – und nicht ohne Sorge – nach Chișinău. Fest steht: Diese Wahl ist mehr als nur ein innenpolitischer Urnengang. Es ist die Fortsetzung eines vom Kreml erklärten Krieges gegen die freiheitliche Demokratie. Am Sonntag entscheidet sich, ob Moldau seinen mutigen Weg nach Europa fortsetzen kann.