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America First 2.0: Die Grand Strategy hinter Trumps neuer Handels- und Industriepolitik

Präsident Donald Trump spricht während einer Veranstaltung zur Ankündigung neuer Zölle im Rosengarten des Weißen Hauses,

Präsident Donald Trump spricht während einer Veranstaltung zur Ankündigung neuer Zölle im Rosengarten des Weißen Hauses.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Mark Schiefelbein

Seit 2016 wird Donald Trumps wirtschaftspolitischer Kurs häufig als protektionistisch, unberechenbar und isolationistisch charakterisiert. Doch ein zweiter Blick offenbart eine tiefere Strategie, insbesondere jetzt, da seine Zollpolitik ein neues Ausmaß erreicht. Trumps Wirtschaftspolitik ist weder planlos noch irrational. Sie folgt einer klaren, geoökonomischen Logik, die den USA kurzfristig nützen könnte – auch wenn sie langfristig erhebliche systemische Risiken birgt.

WTO-Schwächung: Rückgewinn nationaler Steuerungsmacht

Trump betrachtet die Welthandelsorganisation (WTO) nicht als neutrale Instanz, sondern als Hindernis amerikanischer Souveränität. Die Gleichbehandlung aller Mitgliedsstaaten, insbesondere Chinas Sonderstatus als „Entwicklungsland“, sowie die begrenzte Durchschlagskraft der WTO-Urteile gegenüber ökonomisch dominanten Staaten sind für ihn inakzeptabel. Die Konsequenz: Die USA sollen sich aus multilateralen Strukturen zurückziehen und ihre Handlungsfähigkeit durch bilaterale Abkommen sichern.

Die gezielte Blockade des WTO-Berufungsgremiums war daher kein Unfall, sondern Ausdruck dieser Strategie. Trumps Ziel ist ein System, in dem nationale Souveränität Vorrang hat und die USA durch ihr wirtschaftliches Gewicht die Regeln bestimmen.

China und Entwicklungsländer: Geopolitisches Feindbild und strategisches Ziel

China steht im Zentrum von Trumps Handelsstrategie - als wirtschaftlicher und geopolitischer Hauptgegner. Dabei wird das Land nicht als gleichberechtigter Handelspartner, sondern als strategische Bedrohung gesehen - ein Bild, das bereits seit der Obama-Administration existiert und inzwischen parteiübergreifend im US-Kongress geteilt wird.

Um Chinas Umgehung von US-Zöllen über Drittländer zu verhindern (sogenannte Transshipment-Praktiken), wurden gezielte Importzölle von bis zu 40 Prozent eingeführt. Das Ziel: China wirtschaftlich vom US-Markt zu isolieren, ohne die globale Lieferarchitektur vollständig zu zerstören.

Auch andere bilaterale Deals mit Ländern wie Mexiko oder Kanada folgen dieser Logik: Sie stärken amerikanische Interessen, fordern geopolitische Loyalität ein und begrenzen Chinas Einfluss in internationalen Lieferketten. Entwicklungsländer geraten dabei zunehmend in ein Spannungsfeld: Einige profitieren durch Standortverlagerungen kurzfristig, andere verlieren wirtschaftlichen Handlungsspielraum, abhängig davon, ob sie sich der US-Handelsordnung unterordnen oder nicht.

Bilaterale Dominanz statt Multilateralismus: Die USA als Plattformmacht

Trumps Vision ist kein Rückzug aus der Weltwirtschaft, sondern deren strategische Umstrukturierung. Abkommen wie das USMCA (Nachfolger von NAFTA) oder der „Phase-One“-Deal mit China zeigen, wie die USA ihre Macht in bilateralen Beziehungen ausspielen. Dabei agieren sie wie ein Plattformunternehmen: Zugang zum Markt wird politisch gesteuert -wer nicht geopolitisch oder technologisch konform ist, bleibt außen vor.

Diese Politik ersetzt Gleichheit durch Asymmetrie. Die USA kontrollieren Standards, Investitionsflüsse und Marktzugang -ein System hegemonialer Geoökonomie. Für transatlantische Partner und globale Akteure bedeutet das: Nur wer sich der amerikanischen Ordnung unterordnet, darf wirtschaftlich partizipieren.

Zölle als industriepolitisches Werkzeug: Strategischer Protektionismus

Trumps Zölle sind kein Selbstzweck, sondern Teil einer industriepolitischen Agenda. Sie dienen dem temporären Schutz systemrelevanter Industrien - etwa Stahl, Halbleiter oder Pharma - und sollen langfristig die strategische Resilienz der US-Wirtschaft stärken.

Ein Beispiel ist das jüngste Vietnam-Abkommen mit Anti-Transshipment-Zöllen, das darauf abzielt, chinesische Umgehungsexporte zu verhindern. Ziel ist es, die Kontrolle über Lieferketten zurückzugewinnen und gleichzeitig die Rückverlagerung industrieller Produktion (Reshoring) zu fördern, auch als Reaktion auf die zunehmende Automatisierung, die in klassischen Industrieberufen Arbeitsplätze verdrängt.

Trumps Zollpolitik ist somit auch ein Versuch, verloren gegangene industrielle Arbeitsplätze zumindest teilweise durch eine Reindustrialisierung zu kompensieren.

Inflation: Zwischen Entlastung und neuen Risiken

Ein zentrales Wahlversprechen Trumps ist die wirtschaftliche Entlastung der Mittelschicht - insbesondere durch Inflationsbekämpfung. Kurzfristig könnten seine Maßnahmen disinflationär wirken: Durch Reshoring werden Importabhängigkeiten verringert, Lieferketten stabilisiert und durch die massive Förderung fossiler und nuklearer Energieträger können Energiepreise gesenkt werden.

Gleichzeitig wirken Zölle als Konsumbremse, da sie importierte Güter verteuern und somit die Nachfrage dämpfen können. All das kann die Preisstabilität kurzfristig fördern.

Langfristig jedoch besteht ein Risiko struktureller Inflation: gestörte Lieferketten, steigende Energiepreise in Regionen mit begrenzter Infrastruktur, sowie Arbeitsmarktverwerfungen durch technologische Transformationen könnten zu neuen Preisschüben führen.

Industrie, Energie und KI: Der Dreiklang von Protektion, Wachstum und Kompensation

Trumps Wirtschaftsstrategie zielt auf die Rückholung industrieller Kapazitäten in die USA und verbindet dafür Zölle, günstige Energie und technologische Infrastruktur zu einem industriepolitischen Gesamtansatz. Dabei sollen drei Ziele gleichzeitig erreicht werden: die Reindustrialisierung, die Kompensation automatisierungsbedingter Arbeitsplatzverluste und die Absicherung wachsender Energiebedarfe durch die KI-Ökonomie.

Im Rahmen der geplanten „Manhattan Project for AI“-Strategie soll die USA unter Trump eine globale Führungsrolle im geopolitischen Wettlauf um künstliche Intelligenz („Global AI Race“) einnehmen, insbesondere gegenüber China. Diese technologische Vorreiterrolle ist eng verknüpft mit dem Zugang zu einem günstigen und vielfältigen Energiemix, der den Vereinigten Staaten im Vergleich zu Wettbewerbern wie Europa einen strategischen Vorteil verschafft. Die Kombination aus industrieller Basis, Energieverfügbarkeit und digitaler Infrastruktur soll den USA eine dominante Position im Zeitalter der KI sichern.

Zölle wirken in diesem Kontext als protektionistisches Instrument, das amerikanische Unternehmen vor ausländischer Konkurrenz schützt und Standortverlagerungen ins Inland attraktiver macht. Gleichzeitig dient der massive Ausbau fossiler und nuklearer Energiequellen dazu, Energiepreise niedrig und planbar zu halten, insbesondere für energieintensive Industrien und sogenannte Hyperscale-Rechenzentren. Letztere verbrauchen teilweise so viel Strom wie eine mittelgroße US-Stadt, etwa Seattle, und sind für die KI-getriebene digitale Infrastruktur unverzichtbar.

Gleichzeitig ist Trumps Energiepolitik nicht rein fossil geprägt. Zwar steht die Förderung von Öl, Gas; Kohle und Kernkraft im Zentrum, um geopolitisch unabhängig zu bleiben und kurzfristig wettbewerbsfähige Energiepreise zu sichern. Doch viele Maßnahmen aus dem Inflation Reduction Act (IRA) der Biden-Administration wurden den „The One Big Beautiful Bill Act“ nicht wie oft behauptet ganz gestrichen. Es sind vor allem Solar- und Windenergieprojekte, die keine Förderung mehr erhalten. Andere grüne Technologien können weiterhin von teils erheblichen Steuererleichterungen profitieren. Trumps Politik ist hier weniger ideologisch kohärent als pragmatisch: Entscheidend ist die Sicherung der US-Wettbewerbsfähigkeit - egal, ob durch fossile oder erneuerbare Energiequellen. Gleichzeitig ist Solarenergie in vielen Bundesstaaten aufgrund sinkender Gestehungskosten auch ohne staatliche Förderung zunehmend wettbewerbsfähig.

Diese Kombination - Marktschutz durch Zölle, energiepolitische Steuerung und gezielte Hightech-Förderung - soll nicht nur Wachstum generieren, sondern auch einen Ausgleich schaffen: für Jobs, die durch Automatisierung in klassischen Industrien verschwinden. Programme wie die CHIPS-Förderung sollen neue Beschäftigungsmöglichkeiten bieten, doch der Übergang ist holprig. Viele Arbeiter sind für die neuen Hightech-Jobs nicht qualifiziert, was zu einem Mismatch am Arbeitsmarkt führt.

Fazit: Zölle als Teil einer strategischen Neuordnung

Trumps Wirtschaftspolitik ist kein kurzfristiger Protektionismus, sondern Teil einer umfassenden geoökonomischen Strategie. Zölle dienen dabei nicht nur dem Handelsschutz, sondern verfolgen mehrere Ziele gleichzeitig: die wirtschaftliche Isolierung Chinas, die Rückverlagerung industrieller Produktion in die USA sowie die Kontrolle globaler Lieferketten durch bilaterale Abkommen.

Im Zentrum steht der Versuch, die industrielle Basis der USA zu stärken - als Antwort auf Arbeitsplatzverluste durch Automatisierung und die zunehmende Bedeutung von KI. Da diese Transformation enorme Energiemengen erfordert, ergänzt Trump seine Zollpolitik durch eine expansive Energieagenda: fossile, nukleare und teilweise auch erneuerbare Quellen sollen günstige und verlässliche Versorgung für Industrie und Rechenzentren sichern.

Zölle, Energiepolitik und Technologieförderung wirken somit zusammen. Ziel ist eine strategisch gesteuerte Reindustrialisierung, die den USA wirtschaftliche Souveränität und geopolitische Kontrolle sichern soll. Doch dieser Kurs birgt Risiken: fragmentierte Lieferketten, Arbeitsmarktkonflikte und neue Inflationsgefahren. Die langfristige Tragfähigkeit dieser Ordnung hängt davon ab, wie gut wirtschaftlicher Wandel, soziale Stabilität und internationale Akzeptanz ausbalanciert werden können.