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Bauernproteste
Agrar-Proteste in Brüssel – Die EU im Spannungsfeld von Demonstration und Wahlen

Farmer Protest Brussels
© Getty Images

Was zunächst als eine lokale Antwort auf die Kürzung von Agrardieselsubventionen in Deutschland begann, entwickelte sich zu einem flächendeckenden Aufstand, welcher nun die gesamte Europäische Union betrifft. Zuletzt haben sich am 26.03.24 hunderte Traktoren aus verschiedenen europäischen Ländern auf den Weg nach Brüssel gemacht, um gegen eine neue Pestizidverordnung, Agrarauflagen, hohe Kosten und starke Bürokratisierung zu protestieren. Vor dem Hintergrund der anstehenden Europawahlen steht das Europäische Parlament unter Druck schnellstmöglich Lösungsvorschläge zu präsentieren. Fördermaßnahmen und Investitionen in Forschung und Innovation sind dabei nicht zu vernachlässigen, um die Umwelt durch technologische Fortschritte positiv zu beeinflussen und zur langfristigen Sicherung der Lebensmittelproduktion beizutragen.

Seit Monaten wird aufgrund der Unzufriedenheit mit der Agrarpolitik europaweit demonstriert. Während in Belgien Gespräche auf Landes- und Bundesebene allmählich zu Vereinbarungen führen, haben die aktuellen Proteste gegen die EU-Politik und die vereinbarten EU-Umweltauflagen, bürokratischen Hürden sowie Handelsabkommen wie das Mercosur-Handelsabkommen noch zu keiner zufriedenstellenden Einigung geführt. Die meisten Demonstrierenden sind junge Landwirte aus Familienbetrieben, die sich durch die steigenden Energiepreise und die Folgen des Klimawandels unter Druck gesetzt fühlen. Zudem kritisieren sie, dass sich die außereuropäische Konkurrenz nicht an die strengen EU-Vorschriften halten muss.

Agrarpolitik unter Druck: zwischen Subventionen, Naturschutz und Wettbewerb

Im Kern geht es folglich um den Schutz vor internationaler Konkurrenz sowie um die Umsetzung des European Green Deal und die damit einhergehenden Umweltauflagen. Dabei werden auch Änderungen an der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU thematisiert, durch die jährlich Milliarden in die Landwirtschaft fließen.

Es werden bessere Preise für die Produkte, den Erhalt oder die Erhöhung von Subventionen und eine Anpassung an die Landschafts- und Naturschutzauflagen, welche die Ertragsflächen betreffen, gefordert.

Das Problem ist jedoch, dass die Landwirtschaft für elf Prozent der Treibhausgasemissionen in Europa verantwortlich ist, weshalb die EU-Kommission im Zuge des Green Deal verschiedene stark regulative Maßnahmen initiiert hat. Daraufhin gab es allerdings bereits starken Widerstand gegen ein im Februar verabschiedetes Naturschutzgesetz, welches die landwirtschaftliche Flächennutzung beschränkt, mit dem Ziel künftig mehr Bäume pflanzen zu können sowie Moore und Flüsse wieder in ihren natürlichen Zustand zu versetzen.

Deshalb hat die Kommission bereits Wege eingeleitet, den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit zu geben, Umweltauflagen für Landwirte zu lockern. Es wurden aus den 27 Mitgliedsländern etwa 500 Vorschläge für flexiblere Regelungen eingereicht, die nun gründlich geprüft werden. Die Frage ist, ob dies ausreichend ist.

Agrarunzufriedenheit als Nährboden für Rechtspopulisten

Weniger als drei Monate vor den Europawahlen und zahlreichen nationalen Wahlen bringen die Proteste Bewegung in den politischen Wahlkampf. Politische Parteien bemühen sich bereits aktiv um die Stimmen der Landwirte. Besonders rechtspopulistischen Parteien kommt dies gelegen, da diese sich gegen eine verstärkte Zentralisierung in Brüssel aussprechen. Zum Beispiel hat der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders, auch wenn er nun auf das Amt des Regierungschefs verzichtet, die Proteste und entstandene Unzufriedenheit zu seinen Gunsten genutzt, um mehr Unterstützung für seine Positionen zu gewinnen und sich so der Bauernpartei BBB angenähert. Proteste sind demnach ein wichtiges Instrument für politischen Wandel. Sie geben Betroffenen nicht bloß eine Stimme, sondern können auch den politischen Diskurs beeinflussen und zur Neuausrichtung politischer Prioritäten führen. Besonders Parteien, die sich gegen die bestehende politische Ordnung oder gegen eine Zentralisierung aussprechen, finden in solchen Protesten eine Plattform, um ihre Positionen zu stärken und sich als Vertreter der „vernachlässigten“ Bevölkerungsgruppen zu präsentieren.

Die Unzufriedenheit unter den Landwirten wird auch von rechtspopulistischen Gruppierungen in Deutschland genutzt. Während der Proteste hat etwa die AfD ihre Solidarität zum Ausdruck gebracht. In ihrem Parteiprogramm fordert die Partei unter anderem eine „Verdoppelung der Rückerstattung für Agrardiesel“, um Landwirte an sich zu binden. Trotzdem finden sich im Grundsatzprogramm der AfD teilweise gegensätzliche Aussagen und es zeigen sich Widersprüche, so spricht sich die AfD dort beispielsweise prinzipiell gegen Subventionen von EU, Bund und Ländern aus. Auch hinsichtlich der Europawahl verspricht die AfD in ihrem Programm, die „Unabhängigkeit der Landwirte zu stärken“, lehnen dabei aber alle Maßnahmen auf EU-Ebene ab, mit dem Argument, die Staaten würden sonst ihre nationale Souveränität verlieren. Populistische Parteien nutzen absichtlich emotionsgeladene Themen und geben auf diese radikale und schnelle Antworten, um so Wählerschaft für sich zu gewinnen. Dies stößt besonders in ländlichen Gebieten auf Zuspruch, denn dort fühlen sich Menschen eher von der Politik – insbesondere die, die in entfernten Zentren wie Brüssel konzentriert ist – übersehen und fassen sie als ungreifbar auf. Die Vorstellung, schnelles Handeln und sofortige Lösungsvorschläge - trotz mangelnder substanzieller Machbarkeit oder Tiefe – könnten die Herausforderungen lösen, ist dann besonders verlockend.  

Auch im Europäischen Parlament wird an Lösungsvorschlägen gearbeitet. Die liberale Fraktion Renew Europe etwa hat bereits einen Aktionsplan für eine nachhaltige, wettbewerbsfähige und fair entlohnte EU-Landwirtschaft erstellt. Dieser umfasst eine Reihe kurzfristiger Maßnahmen, um die Schwierigkeiten des globalen Handels, der steigenden Energiepreise und der administrativen Last zu bewältigen. Zudem werden auch Maßnahmen für längerfristige Herausforderungen vorgeschlagen, wie beispielsweise für den Umgang mit dem Klimawandel und zukünftigen Marktkrisen oder die Beilegung von Handelsstreitigkeiten mit Drittländern.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat zudem vor einigen Tagen Maßnahmen bekanntgegeben, um den Landwirten entgegen zu kommen:

Der Fokus liegt dabei allerdings vorrangig darauf, gegenwärtigen Problemen entgegenzuwirken. Langfristig ist aber auch die Rolle von neuer Technologie und Innovation entscheidend. Wichtig wäre es zu erforschen, wie sich die neuen Technologien auf die Produktionssysteme, die Betriebsführung und die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschafts- und Gartenbaubetriebe auswirken. Weiterhin stellt sich die Frage, was Politikerinnen und Politiker tun können, um sicherzustellen, dass neue Technologien positive Auswirkungen auf die Umwelt haben und negative Folgen vermieden werden.

Durch die Erforschung und Implementierung neuer Technologien in Produktionssystemen und Betriebsführung können landwirtschaftliche Betriebe nicht nur effizienter und wettbewerbsfähiger werden, sondern auch nachhaltiger agieren. Horizont Europa ist das wichtigste Finanzierungsprogramm der EU für Forschung und Innovation mit einem Budget von 95,5 Mrd. EUR und sollte mehr in den Vordergrund gerückt und öffentlich diskutiert werden.

Viele Landwirte leiden unter Existenzängste und sind emotional aufgeladen. Es ist nun essentiell, dass die EU nun wenige Monate vor der Europawahl fundierte Lösungsansätze – kurzfristig als auch langfristig - bietet, um rechtspopulistischen Kräften keine weitere Gelegenheit zu bieten, die gegenwärtige Lage auszunutzen und so zusätzliche Wählerstimmen zu mobilisieren. Offen bleibt nichtsdestotrotz, ob die Vorschläge ausreichend sind, dass die Landwirte sie annehmen werden und wie sich dies auf den politischen Diskurs auswirkt.