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Den Bogen überspannt

[caption id="attachment_14154" align="alignnone" width="1600"] Der ungarische Premierminister Viktor Orban. Copyright: flickr.com/Europa_Pont: Európa Bizottság, Végel Daniel_CC_BY_2.0[/caption]

Ungarns politische Lage schien bis vor Kurzem noch recht vorhersehbar. In den letzten Wochen hat sich jedoch etwas geändert. Tagelang waren auf Budapests Straßen Zehntausende von Demonstranten. Zwar wurde auch schon früher gegen die Regierungspolitik demonstriert. Doch überrascht die Zahl der Demonstranten in einem Land, in dem die von Viktor Orbán geführte Regierung eine für freie Meinungsäußerungen äußerst erstickende Kultur der Angst herbeigeführt hat.

  Dieses Mal demonstrieren vor allem jene jungen Leute, die in der Vergangenheit den Abbau der liberalen Demokratie eher apathisch verfolgten. Außerdem waren die Demonstrationen nicht nur auf das immer recht protestfreudige Budapest beschränkt, sondern sie fanden auch in anderen ungarischen Universitätsstädten wie Pecs und Szeged und an der Grenze zu Serbien statt.     Schlag 1: Die Central European University Die Proteste wurden durch die ungewöhnlich schnelle Verabschiedung der so genannten „Lex CEU“ durch das Parlament Anfang April ausgelöst. Dieses Gesetz, formell eine Novelierung des Hochschulgesetzes, zielt darauf ab, die amerikanisch-ungarische Central European University (CEU) aus dem Land zu vertreiben. Insbesondere zielt es auf den Gründer der CEU, den ungarischstämmigen US-Finanzier und Philanthropen George Soros, der als Unterstützer der Opposition schon seit Längerem bei der Regierung Orbán in Ungnade gefallen ist. In Ungarn wird es aber auch als Angriff auf die akademische Freiheit schlechthin wahrgenommen.   Schlag 2: Die Zivilgesellschaft Nach der erneuten Attacke auf Soros wurden zivigesellschaftliche Nichtregierungsorganisationen (NRO) zur Zielscheibe. Es gibt zahlreiche NROs, die dem autoritären Regierungskurs kritisch gegenüber stehen. Ein neues Gesetz sieht vor, dass jede NRO, die mehr als 7,5 Millionen Forint (ca. 24.000 EUR) pro Jahr aus dem Ausland erhält, als "ausländisch-finanzierte Organisation" registriert werden muss und diese Bezeichnung in allen Publikationen anzuzeigen hat. Solch eine "Brandmarkung" wird man nur dann wieder los, wenn die ausländische Finanzunterstützung für 5 aufeinander folgende Jahre unter dieser Schwelle liegt. Sowohl das Vorgehen der Regierung Orbán gegen die CEU als auch das gegen die NROs wird aus dem Ausland heftig kritisiert. Unterstützungsbekundungen für eine der besten europäischen Universitäten kamen u.a. von der deutschen Bundeskanzlerin, aber auch von der US-Administration. Viktor Orbán, der selbsternannte Freund Donald Trumps, war von der eindrücklichen Warnung des US-Außenministeriums sichtlich überrascht.   Schlag 3: „Stoppt Brüssel“ Der Hintergrund beider Aktionen ist wohl allein wahltaktisch motiviert. Beide Gesetze müssen im Kontext der sich langsam beschleunigenden Kampagne vor den Parlamentswahlen im März 2018 gesehen werden. So hat Viktor Orbán nach dem Referendum zur Zuwanderung nun eine weitere Bürgerbefragung lanciert, die dieses Mal unverblümt als „Stoppt Brüssel“ benannt wurde. Sie dient mehr oder weniger indirekt der Unterstützung der Regierungspartei mit öffentlichen Mitteln und soll die nationalistische Stimmung in der Bevölkerung anheizen.   Oppositionskräfte erstmals gebündelt Immerhin: Die „Lex CEU“ wird nun vom Verfassungsgericht geprüft. Einer Koalition von Oppositionsabgeordneten gelang es, das 25%-Quorum im Parlament für die Einleitung des Verfahrens zu erreichen. Angesichts der sonst zu beobachtenden Zersplitterung der Opposition ist das ein gutes Zeichen. Von dem inzwischen FIDESZ-hörigen Verfassungsgericht ist zwar keine wesentliche Revision des Gesetzes zu erwarten, doch allein die Tatsache, dass rechte und linke Oppositionskräfte hier an einem Strang ziehen, ist bemerkenswert. Bisher konnte Viktor Orbán die Uneinigkeit in der Opposition meisterhaft ausnutzen und fast ungestört regieren.   Ende des europäischen Sanftmuts? Die neue Anti-EU-Kampagne rüttelte auch die bisher eher „sanftmütigen“ EU-Institutionen wach. Frans Timmermans, der Vizepräsident der Europäischen Kommission, hat angedeutet, die Kommission könne ihre Position zu Ungarn ändern. Hier gehe es um mehr als die 66 bereits bei der Kommission anhängigen Vertragsverletzungsverfahren: Nämlich um die Verletzung von Grundwerten im Sinne des Artikels 2 des Vertrags der EU. Viktor Orbán steht nun unter überraschend großem Druck. Vielleicht sitzt er gar weniger fest im Sattel als gemeinhin angenommen. Alles begann mit der Bewerbung Budapests für die Olympischen Spiele, die aufgrund öffentlichen Drucks zurückgezogen wurde. Kurz darauf geriet er für eine Verschärfung des Asylgesetzes heftig in die Kritik, die selbst manchem Konservativen zu weit ging und außerdem wohl gegen EU-Recht verstieß. Abgesehen von einer engen Verbindung zu Putins Russland und Kaczyńskis Polen scheint Orbán international immer isolierter zu werden. Er muss sich mittlerweile die Freunde suchen, wo er sie findet: Und so war Viktor Orban der einzige europäische Spitzenpolitiker, der dem türkischen Präsidenten Erdogan zu dem Referendum-Sieg gratulierte. Es bleibt abzuwarten, ob die Europäische Volkspartei, der Orbáns Fidesz-Partei immer noch angehört, endlich den Mut findet, mehr Druck auszuüben. Und es bleibt zu hoffen, dass die bislang fragmentierte Opposition in Ungarn die Dynamik der neuen Protestwelle gut zu nutzen versteht. Die erste Frage könnte schon Ende April während des EVP-Kongresses klarer werden. Die andere Frage beantwortet erst der ungarische Wähler im Jahr 2018.       Václav Bacovský ist Projektmanager im Prager Büro der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit.