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Syria Untold
Warum machst du Fotos?

Ein syrischer Fotograf fragt sich, warum er den Krieg abbildet
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Eine zerstörte Straße im Saif al-Dawla Viertel in Aleppo, mit Sandsäcken als Barrikaden. Die Straße lag an der Frontlinie, eine Hälfte von Oppositionskräften kontrolliert, die andere von Kräften des Assad Regimes. Aufgenommen am 11. Mai 2015. Foto von Hosam Katan.

Ich habe mich oft gefragt: „Warum halten wir diese Geschehnisse eigentlich fest? Weil wir aufrichtig glauben, dass wir Gerechtigkeit in unserem Land erreichen können, indem wir die Wahrheit ans Licht bringen? Oder ist die Fotografie einfach nur ein Beruf, den ich erlernt und geliebt habe und in dem ich erfolgreich sein wollte?“

An vielen Orten in Aleppo und der Umgebung der Stadt fragten mich die Menschen, als sie mich mit meiner Kamera sahen: „Warum machst du Fotos?“

Manche fragten wütend, anderen suchten nur nach einer Erklärung. Ich antwortete immer knapp „Damit die Welt da draußen sieht, was hier vor sich geht.“

Meine Antwort ärgerte sie oft noch mehr. „Heißt das etwa, sie haben immer noch nicht gesehen, was hier mit uns passiert? Wir sterben an jedem einzelnen Tag und keinen interessiert es!“ Unsere Konversationen endeten oft an dieser Stelle. Manche ignorierten mich und meine Kamera, während andere nicht auf meinen Fotos auftauchen wollten.

Als syrischer Fotograf, der während der Revolution begann, Fotos zu machen, fragte ich mich oft selbst: „Warum halten wir diese Geschehnisse eigentlich fest? Weil wir aufrichtig glauben, dass wir Gerechtigkeit in unserem Land erreichen können, indem wir die Wahrheit ans Licht bringen und den Stimmen unserer Leidensgenossen Gehör verschaffen? Oder ist die Fotografie einfach nur ein Beruf, den ich erlernt und geliebt habe und in dem ich erfolgreich sein wollte?“

Ich finde die erste Möglichkeit, auf diese Frage zu antworten - dass wir aufrichtig glauben, wir könnten Gerechtigkeit in unserem Land erreichen, indem wir die Wahrheit ans Licht bringen - irgendwie naiv, einfach weil es tausende von Fotos und Videos gibt, die das Töten dokumentiert haben und weil Medienunternehmen täglich vom syrischen Leiden berichten. Ich habe das Gefühl, die zweite Antwort - Fotografie als Beruf, den ich liebe - ist unethisch, weil jemand doch nicht einen Beruf oder den eigenen Erfolg auf den Schmerz anderer gründen kann.

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Menschen begutachten die Zerstörung eines Ortes, der von den Fassbomben des Regimes getroffen wurde. Al-Sukari Viertel, Aleppo. Aufgenommen am 07. März 2014. Foto von Hosam Katan. 

 

Eines Morgens, als der Himmel klar ist, erwarten ein paar Freunde vom Aleppo Media Center und ich, dass Kriegsflugzeuge die Stadt angreifen und bombardieren werden. Wir begeben uns zum Rettungszentrum der White Helmets, um die Aktivitäten der Bomber im Himmel auszumachen und als sie auftauchen, sind wir alle wachsam.

Die Orte, die getroffen werden, sehen alle ähnlich aus. Der Staub, die Zerstörung, das Blut, die Rufe, das Schreien und Weinen, das Rennen. Du siehst viele Menschen, die in unterschiedliche Richtungen rennen. Die White Helmets und die Sanitäter sind oft die Ersten, die in den getroffenen Gebieten eintreffen, um Hilfe zu leisten. Die Einwohner sind immer hier, um mit anzupacken und nach ihren Familien, Verwandten und Nachbarn zu sehen. 

Jeder hilft mit, den Schutt beiseite zu schaffen, wenn sich herausstellt, dass jemand darunter begraben ist. Rettungsaktionen und die Beseitigung des Gerölls dauern mehrere Stunden und manchmal sogar Tage. Nachdem ich das obige Foto aufgenommen hatte, dauerte es zwei Tage, bis die Retter den letzten Körper aus dem Schutt befreit hatten. Es war der Körper eines Kindes.

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Ein Junge taucht in einem mit Wasser gefüllten Krater im al-Shaar Viertel in Aleppo. Der Krater entstand durch einen Fassbombe, die die Regime-Kräfte abgeworfen hatten. Aufgenommen am 10. Juli 2014. Foto von Hosam Katan.

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Menschen kaufen Obst und Gemüse ein auf einem Markt, der von einem Luftangriff des Regimes getroffen wurde. Busan al-Qasr Viertel. Aufgenommen am 14. Oktober 2015. Foto von Hosam Katan.

 

Es war von Priorität, die Bombardements und Kämpfe an den Fronten zu fotografieren, da die Presse weltweit Interesse daran hatte. Aber ich liebte es, durch die Viertel von Ost-Aleppo zu laufen, um das alltägliche Leben der Menschen auf meinen Fotos einzufangen. Das gab mir die Gelegenheit, Luft zu holen zwischen den ganzen blutigen Ereignissen und machte irgendwie Spaß. 

Ich traf immer neue Menschen und entdeckte neue Geschichten über die Situation der Einwohner dort. Nach und nach realisierte ich, wie wichtig es war, alltägliche Momente zu dokumentieren in einer Stadt, die als die gefährlichste der Welt deklariert worden war. Wir mussten einfach ein größeres Bild von der dortigen Lage übermitteln. Die Momente der Bombeneinschläge und des bitteren und grauenvollen Todes dauern nicht 24/7 an. Das Leben geht weiter, so wie die Widerstandsfähigkeit der Menschen und ihr Kampf, am Leben zu bleiben. 

Die meisten bekamen gar nicht erst die Chance, ins Ausland zu reisen, aber so liebten andere ihre Stadt und taten ihr Bestes, zu bleiben und das Leben erträglich zu machen. 

Die Nachricht des syrischen Regimes war eindeutig seit dem Beginn der syrischen Revolution: „Assad, oder wir brennen das Land nieder.“ In der Tat lebten ganz normale Menschen unter diesen Umständen. Es erübrigt sich, zu erwähnen, dass eine Fassbombe stärker ist als der menschliche Körper. Aber der Körper ist zäher. Er kann versuchen sich anzupassen und Wege finden zu leben, zu überleben, weiterzumachen.

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Küchenutensilien hängen im Freien, nachdem ein Haus im al-Myassar Viertel in Aleppo von einer Fassbombe des Regimes zerstört wurde. Aufgenommen am 09. Februar 2014. Foto von Hosam Katan.

 

Die Orte zu besuchen, die wenige Tage zuvor bombardiert worden waren, war immer eine interessante und wunderbare Erfahrung. Jeden Tag zu leben, wie er kommt, das war der kleinste gemeinsame Nenner der Menschen. Eine Person muss nicht für den nächsten Tag planen, da alles innerhalb einer Sekunde anders werden könnte und dann alle Pläne ruiniert sind. 

Jedoch bedeutete das nicht aufzugeben, sondern eher wieder aufzustehen und einen zweiten und dritten Anlauf zu nehmen, bis uns die Energie ausgeht und all unsere Optionen dahinschwinden. Das ist es, das ich von den Leuten gelernt habe, dass Veränderung nicht einfach ist und Ausdauer und Geduld erfordert. Jemand mag viel oder wenig verlieren, aber solange derjenige noch laufen kann, hat er Glück und immer noch Zeit,  um weiterzumachen.

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Die Reaktion eines Mannes auf die Zerstörung, die eine Fassbombe des Regimes im al-Shaar Viertel in Aleppo angerichtet hat. Aufgenommen am 27. April 2014. Foto von Hosam Katan.

Falls meine Arbeit darauf abzielt, etwas zu verändern, wird sie ihre Früchte in kleinen Mengen tragen, wird sie das Leben mancher Menschen berühren. Aber radikale Veränderung braucht Zeit, Ausdauer und große Gesten von Entscheidungsträgern.

Es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen, ein ambitionierter Fotograf zu sein, der Fortschritt in seiner Arbeit sehen möchte und seiner Kamera und dem Beruf treu ist. Vielleicht dokumentieren wir heute Zerstörung, doch wir hoffen dafür, morgen Aufbau zu dokumentieren. In Wahrheit sind nicht die Fotografen diejenigen, die diese Verbrechen verüben. Sie sind genauso wie alle anderen auch in Gefahr.

Ende 2015 hatte ich das Gefühl, dass mich die Kraft zu fotografieren verließ. Ich lebe jetzt in Deutschland, aber viele andere mutige Fotografen arbeiten immer noch hart in Syrien unter gefährlichen Umständen. Sie glauben heute noch an ihre Sache und den Beruf und sie werden nicht aufhören, sich zu widersetzen und auf Veränderung zu hoffen.

Über den Autor: Hosam Katan

Hosam Katan ist ein freiberuflicher Fotograf und Videograf, der zu Themen arbeitet, die mit dem Nahen Osten in Zusammenhang stehen. Er hat mehr als 1.200 Bilder vom syrischen Konflikt veröffentlicht und acht internationale Auszeichnungen erhalten. Seine Arbeit wurde weltweit ausgestellt.